Pinchas Gutter

(geb. 1932)

Pinchas Gutter im Alter von 14 Jahren in England, 1946
Pinchas Gutter im Alter von 14 Jahren in England, 1946 ©Courtesy of The Azrieli Foundation

Pinchas Gutter kam am 21. Juli 1932 in Łódź (Polen) zur Welt, wo er in einer jüdischen Familie aufwuchs. Die deutschen Besatzer zwangen die Familie, im Warschauer Ghetto zu leben. Im Frühjahr 1943 wurde Pinchas mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Konzentrationslager Majdanek deportiert. Er überlebte als einziger und durchlief verschiedene Zwangsarbeitslager der HASAG, unter anderem in Tschenstochau (Częstochowa). Über Buchenwald gelangte er nach Colditz. Nach einem Todesmarsch befreite ihn die Rote Armee in Theresienstadt. Später lebte er in Großbritannien, Israel, Südafrika und seit 1985 in Kanada. 2014 war er einer der ersten Teilnehmer des Projekts „Dimension in Testimony“ der USC Shoah Foundation, ein Hologramm-Projekt mit Überlebenden der Shoah.





„und als wir durch die deutschen Städte zogen, bewarfen uns die Bewohner mit Steinen, beschimpften uns und verweigerten uns jegliche Nahrung oder Wasser.“

Aus den Erinnerungen von Pinchas Gutter

Von Buchenwald nach Colditz
„Ich kann mich nicht erinnern, wie lange ich in Buchenwald war, aber eines Tages wurden Namen aufgerufen, und wenn der eigene aufgerufen wurde, musste man zum Turm mit der Uhr am Eingang des Lagers gehen. [...] Dieses Mal wurden diejenigen aufgerufen, die aus Częstochowa gekommen waren, darunter auch ich. Wir alle gingen zum Turm. Dann saß ich plötzlich mit anderen wieder in einem Zug. Wir wussten es damals nicht und erfuhren erst später, dass die HASAG nach uns gesucht hatte. Sie brauchten uns zum Arbeiten.

Wir wurden nach Colditz verfrachtet, berühmt für sein Schloss. Wir kamen nicht in einem Lager an, sondern in einer Fabrik, in der riesige Hallen umgebaut und mit Kojen für die Arbeiter ausgestattet worden waren. Der Kommandant des Lagers war ein SS-Mann mittleren Alters, wie die meisten SS-Männer dort. Ich nehme an, dass die jungen Leute alle an der Front kämpften. Der Kommandant war nicht einmal ein Offizier, er war ein Oberscharführer, ein Oberfeldwebel. Er schaute über uns hinweg und sagte auf Deutsch, dass alle Jungen nicht so hart arbeiten könnten, und wir wussten alle, was das bedeutete. Aber als er die Jugendlichen aufforderte, vorzutreten, war ich der Einzige, der es tat.“

In der SS-Küche
„Als die anderen Häftlinge abtraten, nahm mich der Oberscharführer an die Hand und führte mich in die SS-Küche. Als er mir sagte, dass ich dort arbeiten würde, konnte ich mein Glück kaum fassen. Die Arbeit in der Küche bedeutete nur eines – Essen. Aber der Kommandant schickte mich nicht aus Gutherzigkeit in die Küche – er hatte einen Hintergedanken. Er hatte eine Tasche bei sich, die er in einer Ecke versteckte; er erklärte mir, dass niemand davon wissen dürfe und dass ich bei jeder Gelegenheit Kartoffeln oder andere Lebensmittel für ihn hineinlegen solle. Dann würde er nachts kommen und den Sack mitnehmen. Am nächsten Morgen war der Beutel wieder in seinem Versteck, leer und wartete darauf, dass ich ihn wieder auffüllte.“

Todesmarsch
„Wir waren mehrere Monate lang in Colditz, bis Mitte April 1945. Eines Morgens erfuhren wir, dass das Lager evakuiert werden sollte. Jeder von uns erhielt Brot, etwas Wurst und Käse und den Befehl zu marschieren. Am frühen Abend waren wir in einem Wald in Deutschland, als einer der SS-Wachen, ein volksdeutscher Korporal, der Polnisch sprach, uns sagte, dass wir frei seien und dass sie ihre Uniformen ausziehen würden, weil die Amerikaner kommen würden. Alle drehten durch und fingen an, alles zu essen, was sie noch hatten, weil wir alle so hungrig waren. Plötzlich kam ein Trupp der SS und schoss in die Luft. Sie zwangen uns, uns mit dem Gesicht in die Erde zu legen und sagten, dass jeder, der den Kopf hebt, erschossen wird. Wir lagen die ganze Nacht dort und am nächsten Morgen marschierten wir wieder. So viel zur Freiheit.

Wir waren buchstäblich am Verhungern, als wir Tag für Tag marschierten, und als wir durch die deutschen Städte zogen, bewarfen uns die Bewohner mit Steinen, beschimpften uns und verweigerten uns jegliche Nahrung oder Wasser. Jede Nacht trieben uns die Wachen in Scheunen, und jeden Morgen zählten sie uns, um herauszufinden, wie viele von uns in der Nacht gestorben oder weggelaufen waren. [...] Manchmal, wenn wir in einer Scheune schliefen, aßen wir das rohe Getreide, das wir fanden. Wenn wir das Glück hatten, eine Pumpe zu finden, bekamen wir frisches Wasser zu trinken. Wenn wir nichts fanden, tranken wir das schmutzige Regenwasser aus den Straßengräben und aßen Blätter und Gras am Straßenrand. Wir waren so verzweifelt, dass manche sogar Insekten aßen, um am Leben zu bleiben.“

Aus: Pinchas Gutter, Memories in Focus, Toronto 2018, S. 79 ff. (Courtesy of the Azrieli Foundation) (Übersetzung aus dem Englischen)