Michel van Ausloos

(1916-2006)

Michel van Ausloos, Mitte 1945
Michel van Ausloos, Mitte 1945
©Archiv KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2005-2

Der Belgier Michel van Ausloos wurde am 13. Februar 1916 in Ixelles, einem Vorort von Brüssel, geboren. Wie sein Vater arbeitete er als Polizist. Nach der deutschen Besetzung Belgiens engagierte er sich in der Untergrundbewegung. Im Februar 1942 verhaftete ihn die Gestapo wegen des Verdachts der Spionage. Nach Monaten in verschiedenen Gefängnissen wurde er Ende 1942 in das KZ Neuengamme eingewiesen. Im März 1944 kam er zur SS-Baubrigade nach Köln und kurz darauf in das Außenlager in Essen. Auch ohne entsprechende Ausbildung setzte die SS ihn dort als Sanitäter ein. Nach seiner Befreiung im KZ Dachau kehrte Michel van Ausloos nach Brüssel zurück und arbeitete wieder als Polizist. Er starb 2006.





„Sobald wir uns innerhalb dieser Umzäunung befinden, können wir von auẞen nicht mehr gesehen werden.“

Aus den Erinnerungen von Michel van Ausloos

Das Lager
„Dieses Essener Kommando unterstand ebenfalls dem Konzentrationslager Buchenwald. Untergebracht war es in dem einzigen noch intakten Gebäude in einem von einem Bombenangriff niedergebrannten Viertel. Es befindet sich in der Königstraße 35 in der Nähe des Arbeitsamts. Zum Glück für mich gibt es in diesem Kommando sechs Franzosen und vier Holländer, sonst wäre ich allein zwischen Russen, Polen, Tschechen, Italienern und sogar Dänen gewesen. [...] Wir werden von zwei echten SS-Männern befehligt und von einem Dutzend einberufener älterer Polizisten bewacht. [...] Ein großer L-förmiger Platz umgibt das Gebäude; der Teil vor der Wand dient als Appellplatz, während der seitliche Teil als Lagerraum und als Zugang zur Küche dient. Der Platz ist mit Brettern eingezäunt, über denen Stacheldraht angebracht ist; eine zweiflügelige Holztür bietet Zugang zum Ganzen. Das Haus hat zwei Stockwerke, wobei ich eher von dem Doppelhaus sprechen sollte, da sich die Eingangstür des Gebäudes selbst in der Mitte befindet. Sobald wir uns innerhalb dieser Umzäunung befinden, können wir von außen nicht mehr gesehen werden. Etwa zwanzig Meter links neben dem Gebäude befindet sich hinter dem Zaun ein Bungalow aus Ziegelsteinen, in dem die SS und die Wachmänner untergebracht sind. Der Lagerkommandant ist Unterscharführer Sichelschmidt, den Namen des anderen SS-Mannes kenne ich nicht. Links von der Eingangstür des Gebäudes, im Erdgeschoss, befindet sich der Waschraum mit etwa zehn Waschbecken aus Blech und Rohren, die an der Decke entlanglaufen, mit etwa zwanzig Duschköpfen. Es gibt auch Kellerräume, die umgebaut und verstärkt wurden, um als Luftschutzbunker zu dienen. Die oberen Stockwerke dienen ausschließlich als Schlafräume mit zweistöckigen Kojen.“

Zwangsarbeit
„Die Hauptarbeit der Männer dieses Kommandos besteht darin, alle noch stehenden Mauern einzureißen, in diesem Viertel, das nach einem Phosphorbombardement in Flammen aufgegangen ist, und wenn es Windstöße gibt, muss man sehr vorsichtig sein, denn die Gerippe der Häuser könnten plötzlich über den Unvorsichtigen zusammenstürzen. Es reicht übrigens nicht aus, die Mauern einzureißen, wir müssen auch die noch brauchbaren Ziegelsteine sammeln, von denen wir große Haufen machen, die von Bauunternehmern abgeholt werden, natürlich gegen Bezahlung, um sie an anderer Stelle wiederaufzubauen oder zumindest leicht beschädigte Gebäude zu reparieren.“

Sanitäter
„Der Lagerkommandant fragte mich, ob ich nicht Krankenpfleger werden wolle, aber ich hatte keine Zeit zu antworten, denn zufällig kam der Kapo in Begleitung mehrerer hoher Offiziere. Einer von ihnen hatte rote Streifen an der Hose, er war also jemand Wichtiges. Alle stellen sich vor usw., aber ich stehe im Flur und wage nicht, mich zu bewegen. Wenn ich könnte, würde ich mich in Luft auflösen. Da fängt der ranghöchste Offizier, von dem ich mir aufgrund der Abzeichen vorstellen kann, dass er Arzt ist, an, unseren SS-Mann zu beschimpfen, weil es im Kommando keine organisierte Krankenstation gibt. Dem SS-Mann ist die Situation peinlich und er antwortet fast stammelnd. Ich muss über diese absurde Szene lachen, denn wir befinden uns immerhin in einem KZ-Kommando. Plötzlich sieht mich einer der Untergebenen, runzelt die Stirn und fragt mich unvermittelt ‚Was machen Sie hier?‘, worauf ich nur antworten kann, dass ich wegen der Verletzung an meinem Bein Schonung habe. Daraufhin fragt er mich ‚Was machen Sie in zivil?‘. Ich kann ihm natürlich nur antworten, dass ich ein belgischer Polizist sei. Was mich hierzu veranlasst hat, weiß ich nicht, aber ich füge hinzu, dass ich zwei Jahre lang die Kurse des belgischen Roten Kreuzes besucht habe – natürlich in gebrochenem Deutsch. Aber der Deutsche versteht, worum es geht. Er geht zum ranghöchsten Offizier und unterhält sich mit ihm. Dann sagte er etwas zu unserem SS-Mann, der nur nickt. Dieser dreht sich zu mir um und sagt im Namen der anderen ‚Jetzt sind sie Sanitäter hier‘ und geht wieder zurück, um mit den anderen zu sprechen.“

Ein Unfall
„Jetzt gibt es keine Zweifel mehr, wenn die Alliierten nicht bald kommen, werden auch wir nach Buchenwald evakuiert. Aber vorher wird mich eine neue Tragödie ernsthaft erschüttern. Es gibt nämlich erneut Bombenangriffe und es brennt in der Stadt. Ein Trupp von uns machte sich auf den Weg zu einem Großhändler für Kartoffeln und Kohlen – das Haus und das Lager sind in Flammen aufgegangen. Die Kohlen werden im Erdgeschoss und die Kartoffeln im Keller gelagert. Wie immer gingen zwei Russen gleich nach der Ankunft in den Keller. Ein unglücklicher Windstoß lässt ein Stück Mauer über die von den Phosphorbomben glühenden Kohlen kippen und das Ganze rutscht in den Keller, wo sich die beiden Männer befinden. Ich werde schnell mit Handkarren, Ausrüstung usw. abgeholt und begebe mich an den Ort des Geschehens. Die beiden Unglücklichen sind von den Füßen bis über die Knie verbrannt […]. Ich tue sofort, was ich kann. Aber es ist nicht viel, und sie werden in die Krankenstation gebracht. Auf dem OP-Tisch muss ich das ganze Fleisch abschneiden, vor allem das der Fußsohlen. Ich lege Verbände mit Perubalsam an und gebe intramuskuläre Beruhigungsspritzen. Danach, rund drei Stunden später, gehe ich zu unserem SS-Mann, damit die beiden Männer in ein Krankenhaus gebracht werden, wo sie angemessen versorgt werden. Er will davon aber nichts wissen, weil die Krankenhäuser überfüllt sind, und er erklärt mir, dass man sogar die Armee heranziehen musste, um die vielen verwundeten Zivilisten zu versorgen. Ich bin verzweifelt, weil ich in beiden Fällen machtlos bin. Tatsächlich stirbt zwei Tage später einer der Russen, und wie üblich, Sarg, Polizeiwagen usw.“

Aus: Michel van Ausloos, Souvenirs. Septembre 1938 – Juni 1945, Brüssel 1991. S. 147 ff. (Übersetzung aus dem Französischen)