
Raphaël Lassandre wurde am 7. April 1913 in Lafeline in der französischen Auvergne geboren. Er arbeitete im elterlichen Landwirtschaftsbetrieb. Mit 19 Jahren schloss er sich 1942 der kommunistischen Widerstandsgruppe FTP (Francs-tireurs et partisans) an, für die er Flugblätter verteilte und neue Mitglieder rekrutierte. Nach dem Verrat der Gruppe und seiner Verhaftung im März 1944 deportierte die Gestapo ihn zwei Monate später nach Buchenwald. Über Ellrich-Bürgergarten kam er im Sommer 1944 nach Günzerode. Auf einem Todesmarsch wurde er im April 1945 befreit. Er kehrte nach Frankreich zurück, arbeitete als Friedhofswärter und engagierte sich in Verfolgtenverbänden. Raphaël Lassandre starb 2012 in Moulins.
Aus den Erinnerungen von Raphaël Lassandre
Das Lager Günzerode
„In Günzerode ist das Lager vorbereitet (andere Häftlinge waren vor uns gekommen). Das Lager besteht zum größten Teil aus Politischen. Es ist ein Schafstall, der von Stacheldraht und drei Wachtürmen umgeben ist. […] Der Lagerkommandant, ein SS-Feldwebel, der in Russland verwundet wurde, sein rechtes Bein amputiert bekam und mit einem Stock geht, ist ein Trunkenbold, der keine Gelegenheit auslässt, einen Häftling zu schlagen. Doch jedes Mal, wenn er seinen Stock anhebt, verliert er das Gleichgewicht, was ihn in eine wahnsinnige Wut versetzt. Sein Vorgesetzter ist der Kommandant des Lagers in Ellrich, dem wir immer noch unterstehen. Die Wachen sind dieselben Wehrmachtssoldaten.
Dieser Schafstall ist ein großes Gebäude. Im Erdgeschoss dient eine Hälfte als Krankenstation (Revier) und die andere Hälfte als Schlafsaal. Der erste Stock oder Dachboden ist ebenfalls ein Schlafsaal, mit Ausnahme eines Teils, der in zwei Hälften geteilt ist. Die eine Hälfte ist für den Chef des Lagers, seinen Stellvertreter, den Lagerverwalter (Stubendienst) und die Kapos reserviert. Die andere Hälfte dient als Lager für Lebensmittel (Brot, Margarine, Kaffee usw.). In der Mitte dieses Gebäudes verläuft ein Schornstein. Ich weiß nicht, auf welche Weise ein Ofen gerettet worden war, aber er leistete uns im Winter 44/45 bei minus 25° bis minus 28° C und vor allem an den Tagen der Desinfektion gute Dienste. Von Zeit zu Zeit bringen die Kommandos Holz und Kohlebriketts aus den Vorräten für die Lokomotiven mit, die zum Ziehen der Loren verwendet werden.
Die Betten sind dreistöckig mit einer Strohmatte und einer Decke. Der Tagesablauf ist der gleiche wie in Ellrich: Wecken um 5 Uhr, Ausgabe von Kaffee, Brot, Margarine oder manchmal Wurst; Arbeit von 7 bis 19 Uhr. Appell um 20 Uhr, danach Suppe und Ruhe.“
Zwangsarbeit
„Es werden vier Arbeitskommandos gebildet:
- Kommando Nr. 1, Kapo Ludwig, besteht nur aus Polen;
- Kommando Nr. 2, Kapo Wilhelm, Vorarbeiter Lefranc, Dolmetscher René Maire, bestehend aus Franzosen, Polen und Russen;
- Kommando Nr. 3, Kapo Frantz, Vorarbeiter René Bach, ein Elsässer, bestehend aus Franzosen, Polen und Russen;
- Kommando Nr. 4, Kapo Charles Pick (auch Dolmetscher), Vorarbeiter Roger Rocipan, das nur aus Franzosen bestand (zu denen ich gehörte);
- schließlich das Lagerkommando, das etwa 20 Häftlinge unter der Aufsicht des Stubendienstes, eines deutschen Politikers, umfasste. […]
Nach einem viertelstündigen Marsch erreichen wir die Arbeitsstätten, wo ein deutscher Bauleiter auf uns wartet. Er trägt am linken Arm eine rote Armbinde mit einem Hakenkreuz auf weißem Grund, die er später nicht mehr tragen wird. Er gibt dem Kapo Befehle. Es geht um den Bau einer strategischen Eisenbahnlinie von Dora nach Kassel, die für den Transport der neuen Rakete bestimmt ist. Wir rüsten uns mit Schaufeln und Hacken aus und beginnen mit der Arbeit. Ein Teil des Kommandos ist für die Planierung des Geländes zuständig (das ist die Gruppe, der ich angehöre), während der andere Teil die Schienen verlegt, auf denen eine kleine Dampflokomotive fahren wird, die mit Erde beladene Loren zieht oder schiebt.“
Die Bewacher
„Unsere Bewacher sind keine Unmenschen, ich glaube nicht, dass sie den Nationalsozialismus als ihr Ideal ansehen. Was den Bauleiter betrifft, so kam es vor, dass er sich manchmal aufregte, aber nicht sehr, abgesehen von dem Tag, an dem die Arbeiten begannen.
Auf zehn Häftlinge kommt ein Aufseher; oft sind es aber nur fünf für sechzig oder siebzig Häftlinge. Wir sind auf einer Strecke von 300 m gestaffelt. Etwa zwei- bis dreimal pro Woche kommt der Kommandant aus Ellrich zur Kontrolle. Obwohl die Arbeit mühsam ist, haben wir zunächst das Glück, unter Franzosen zu sein und einen französischen Kapo zu haben.“
Einen Tag länger leben …
„Wenn wir entlang der Strecke durch Felder mit Kartoffeln, Zuckerrüben oder Karotten fahren, können wir ohne große Probleme einige davon einsammeln, was das Essen deutlich verbessert. Wir kochen sie auf einem Feuer, das wir selbst machen, wenn die Kälte kommt. Gelegentlich bringen wir sie abends in unseren Hosenbeinen versteckt zurück mit ins Lager, um sie unseren müden oder kranken Kameraden zu geben, die im Lager geblieben sind. Eine Kartoffel, ein Stück Rote Beete oder eine Karotte bedeutet, einen Tag länger zu leben […].“
Aus: Raphaël Lassandre, Douze mois dans l’enfer nazi, ohne Ort 1995, S. 29 ff. (Übersetzung aus dem Französischen)