
Jean-Henry Tauzin kam am 2. Juni 1906 im französischen Saint Dizier zur Welt. In Paris arbeitete er als Schneider und engagierte sich in einem Verein von Dramakünstlern. Die Gestapo verhaftete ihn Ende November 1941. Die deutschen Behörden verdächtigten ihn der Spionage. Nach zwei Jahren in französischen Gefängnissen wurde Jean-Henry Tauzin Anfang 1944 nach Buchenwald deportiert. Über die Außenlager in Schmiedebach und Ellrich-Juliushütte gelangte er im Sommer 1944 für zwei Monate nach Harzungen. Nach der Befreiung kehrte er nach Frankreich zurück, wo er noch 1945 seine Erinnerungen niederschrieb. Jean-Henry Tauzin starb 1974 in Créteil bei Paris.
Aus den Erinnerungen von Jean-Henry Tauzin
Von Ellrich nach Harzungen
„Am 14. Juli 1944 wird ein Appell durchgeführt und ich erfahre, dass ich auf einer Liste von Personen stehe, die in ein anderes Lager gehen. Wir sind 500. Es ist 8 Uhr und wir werden um 10 Uhr aufbrechen. [...] Einige Stunden später brachen wir auf, zu Fuß, in Kolonnen zu fünft. Wir marschierten 12 Kilometer und kamen in einem sehr kleinen Lager an, das am Eingang eines Dorfes lag, das aus etwa 20 Häusern bestand. Dieses kleine Lager liegt inmitten einer riesigen, freundlich aussehenden Wiese und da die Gegend so schön ist, scheint uns das wiedergefundene Grün ein gutes Omen zu sein und wir glauben, dass diese neue Station unseres Leidensweges weniger schmerzhaft sein wird als die, die wir in Buchenwald und vor allem in Ellrich erlebt haben.“
Zwangsarbeit
„Das Leben im Lager Harzungen ist zwar, wenn man die Umstände berücksichtigt, ein fast normales Leben in einem Deportationslager, aber das Leben auf den Baustellen ist erneut die Hölle. Die Kapos, die Vorarbeiter, die SS-Männer und auch die zivilen deutschen Aufseher sind wie wilde Tiere. Wir müssen um 4.00 Uhr morgens aufstehen und um 4.30 Uhr geht es los, um 5 Kilometer zu Fuß zu gehen und gegen 6.00 Uhr in Niedersachwerfen anzukommen. Dort, in einem riesigen Tunnel, der von deportierten Kameraden aller Nationalitäten gegraben wurde, und viel zu viele bezahlten dies mit ihrem Leben, werden die berühmten V1 und V2 hergestellt. […] Ich selbst hatte das Glück (wenn man das Wort überhaupt auf etwas anwenden kann, das aus diesen Lagern hervorging), nie in diesem Tunnel arbeiten zu müssen. Da ich jede Facharbeit abgelehnt hatte, wurde ich immer in den schwersten Kommandos eingesetzt, aber immer im Freien, d.h. Erdarbeiten, Transport von Schienen, Schwellen, Platten, Balken und Telegrafenmasten. Und all diese Arbeit wurde unter der Aufsicht von sehr jungen SS-Männern – zwischen 18 und 20 Jahren – verrichtet, die sich uns gegenüber alle abscheulich und niederträchtig verhielten, wie richtige Folterknechte, ohne die geringste Gnade. [...] Um 18.00 Uhr wurde die Arbeit niedergelegt. Natürlich Appell auf dem großen Platz, dann gegen 19.00 Uhr gingen wir zu Fuß zum Lager. Wenn unsere Aufseher schlechte Laune hatten oder uns schikanierten, mussten wir diese fünf Kilometer im Laufschritt zurücklegen, obwohl wir im wahrsten Sinne des Wortes erschöpft waren.“
Die deutsche Bevölkerung
„Um zu unserer Baustelle zu gelangen, müssen wir morgens und abends die kleine Stadt Niedersachwerfen durchqueren. [...] Es ist ein solch erbärmlicher Leidenszug, dass es manchmal so aussieht, als hätten wir einen Hauch von Mitleid in den Augen einiger Frauen gesehen, die uns beim Vorbeigehen zusahen. Echte Rührung oder Nervenreflex, wer weiß? Andere blieben angesichts unserer erbärmlichen Notlage absolut gleichgültig. Aber wie viele andere sahen uns provozierend, mit verächtlicher Dreistigkeit und sogar mit unverfrorener Frechheit an. So kommt eines Tages ein kleiner Junge von etwa vier Jahren auf mich zu und sagt: ,Speck Hirnʼ, was so viel wie ,Schweinskopfʼ bedeutet. Als die Kolonne in diesem Moment zum Stehen kam, sprach ich das Kind an und fragte es, warum es mich so beschimpft habe. Er senkte den Kopf und antwortete: ,Das hat mir die Mama gesagtʼ.“
Die Meister
„Wir hatten Meister (deutsche oder polnische Zivilisten), die die Arbeiten leiteten und die größtenteils genauso rücksichtslos waren wie die SS. Einer von ihnen, ein Deutscher und ehemaliger SS-Mann, befiehlt uns eines Tages, eine kleine Lokomotive von einem Plattformwagen herunterzuholen. Wir montieren mobile Schienen, um sie zu den anderen Schienen rollen zu können, die sie aufnehmen sollen. Der Meister befiehlt uns dann, die besagte Lokomotive zu schieben. Wir sind eine Gruppe von acht Deportierten, alle abgemagert und deprimiert. Trotz unserer gemeinsamen Anstrengungen erreichen wir natürlich nichts, und dann hagelt es Schläge auf jeden von uns. Ich leide an diesem Tag und kann nichts Nützliches tun, obwohl ich mich mit aller Kraft anzustrengen scheine, denn ich halte es für unmöglich, diese Lokomotive zu bewegen. Der Meister geriet in einen wahren Zornesrausch, stieß mich an und merkte, dass ich nur zum Schein schob. Sofort warf er mich zu Boden und hämmerte mit den Absätzen (die ich so gut es ging zur Seite schob) auf meinen Körper ein, wobei er vor allem auf den Kopf und noch mehr auf das Gesicht zielte. Außer sich vor Wut sprang er mir dann mit beiden Füßen auf den Bauch. Ich frage mich immer noch, welches Wunder es war, dass er mir nicht den Brustkorb zertrümmerte. Und weder meine Kameraden noch ich konnten verstehen, wie ich an diesem Tag dem Tod entkommen konnte!“
Aus: Jean-Henry Tauzin, Quatre ans dans les bagnes hitlériens. Buchenwald, Laura, Ellrich, Harzungen, Dora, Corbeil 1945, S. 74 ff. (Übersetzung aus dem Französischen)