
Biografie
Tadeusz Sobolewicz kam am 25. März 1923 im polnischen Poznań zur Welt. Als Verbindungsmann in einem Widerstandsnetzwerk wurde er mit 16 Jahren verhaftet und im November 1941 in das KZ Auschwitz deportiert. Über Buchenwald brachte die SS ihn im Oktober 1943 zur Zwangsarbeit in das Außenlager in Leipzig-Thekla. Von dort kam er 1944 in das KZ Flossenbürg. Die Befreiung erlebte er auf einem Todesmarsch aus einem Flossenbürger Außenlager in Regensburg. 1946 kehrte er nach Tarnów zurück. Er machte Karriere als Schauspieler und veröffentlichte 1993 seine Erinnerungen an die Zeit in den Konzentrationslagern. Tadeusz Sobolewicz starb 2015 in Krakau.
Aus den Erinnerungen von Tadeusz Sobolewicz
In Leipzig-Thekla
„Das Lager lag auf freiem Feld. Ringsherum zogen sich, soweit das Auge reichte, bestellte Felder hin. Im Nordwesten konnte man am Horizont ein paar Gebäude und mehrere Schornsteine erkennen. Etwas näher sah man ganze Reihen von Fabrikhallen. Das war die Munitionsfabrik ‚Hasag‘, die 3 bis 4 km von unserem Lager entfernt lag. Im Osten stand eine große Fabrikhalle mit halbrundem Dach, um die herum sich eine Reihe kleinerer Gebäude hinzog. In eben dieser Halle sollten wir arbeiten. Im Süden erstreckten sich ebenfalls Äcker und Felder. Die Landschaft war völlig eben, leicht zu beobachten für die SS-Leute auf den sechs Wachtürmen, die das Lagergelände umringten. Im Westen, wo auch Häftlinge eingesetzt waren, wuchsen Fabrikhallen und Schornsteine empor.“
Zwangsarbeit
„Die Einrichtung des Lagers ging zu Ende. Tag für Tag wurden immer mehr Häftlinge dem eigentlichen Arbeitskommando zugeteilt und marschierten morgens zu der unweit gelegenen Fabrikhalle. Schließlich wurde auch ich dem Arbeitskommando zugeordnet, das von der riesigen, 100 m langen Halle verschluckt wurde. Unter der Aufsicht deutscher Meister und Vorarbeiter hatten wir bestimmte Arbeitsgänge auszuführen. Die Montage der Tragflächen für das Jagdflugzeug ME-109 erfolgte von fahrbaren Montagebrücken aus, den sogenannten Traversen. Die Arbeitsgänge an den Flügeln mußten innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ausgeführt werden, die durch das Vorrücken der Traverse von einer blauen Linie bis zu einem roten Strich vorgegeben war. Wenn der vorgesehene Arbeitsablauf nicht restlos erfüllt war, mußten die Schiebebrücken manchmal angehalten werden. Dadurch verzögerte sich natürlich die Produktion. Die Fertigstellung der Tragflächen konnte dann nicht zum vorgesehenen Termin erfolgen. Der Bedarf an Flugzeugen aber war zu damaliger Zeit gewaltig. […]
Meine Aufgabe bestand darin, innerhalb einer Viertelstunde – vom blauen bis zum roten Strich – ein Stückchen Blech an jener Stelle des Tragflügels zu befestigen, an der später die Räder der Messerschmitt eingefahren wurden. Zu diesem Zweck mußte ich das Duralblech mit der pneumatischen Säge beschneiden und das eingepaßte Stück mit mehreren Schrauben befestigen. In den unteren Teil des bereits verschraubten Blechs mußten neun Löcher gebohrt und dann vernietet werden, damit das befestigte Blech drauf vorbereitet war, vom nächsten Häftling weiterarbeitet und ergänzt zu werden, und damit dieser Teil des Flügels endgültig fertiggestellt werden konnte. Die Arbeit verlangte Aufmerksamkeit und Konzentration. Daher war ich ständig angespannt bemüht, meine Aufgabe in der vorgeschriebenen Viertelstunde zu schaffen. Erst nach einigen Tagen verursachte ich keine Verzögerungen mehr.
Trotz der Aufmerksamkeit und Konzentration verletzte ich mich eines Tages sehr schmerzhaft, ich riß mir eine Kante des zu befestigenden Blechs unter den Fingernagel. Ich nahm die Verletzung nicht ernst, denn es gelang mir mühelos, das Blut zu stillen. Doch nach zwei Tagen schwoll der Finger an, und ich wurde von der Arbeit ausgeschlossen. Im Revier riß man mir unter einer miserablen Narkose den ganzen Nagel heraus, desinfizierte die Wunde und verband mich. Ein paar Tage lang mußte ich nicht zur Arbeit.“
Luftangriffe
„Damals wurde zum ersten Mal – vormittags gegen zehn – Fliegeralarm gegeben. Die Sirenen heulten lange von allen Seiten her. Die Häftlinge wurden von der Fabrik ins Lager getrieben, und die Zivilarbeiter suchten zusammen mit den Deutschen in den Luftschutzkellern Zuflucht. Irgendwo in den Wolken vernahm ich Maschinengewehrfeuer und das Brummen von Flugzeugen. Nach einiger Zeit erreichte uns aus der Ferne das Getöse von Bombeneinschlägen. Den Häftlingen wurde befohlen, in die Blocks zu gehen und sie nicht zu verlassen. Nach zwei Stunden kam die Entwarnung, und die Arbeitsgruppen kehrten an ihre Arbeit in der Halle zurück. […]
In der nächsten Nacht tauchten plötzlich sehr tief fliegende amerikanische Bomber auf und begannen, die benachbarten Fabriken zu bombardieren. Die Erde zitterte unter unseren Füßen, und die Dachbinder der Baracken krachten in ihren Halterungen. Die Sirenen heulten auf, als die Bomber ihre todbringende Last längst abgeworfen hatten und wieder abgeflogen waren. Es wurde lange keine Entwarnung gegeben. Trotz der innerlichen Spannung und Besorgnis schlief ich ein. Was geschehen sollte, würde auch ohne mich geschehen – philosophierte ich vor mich hin. […]
Der nächste Luftangriff in unserem Gebiet fand am Tag statt. Es war ein schwerer Angriff, der ziemlich lange dauerte. Von der Halle in die Baracken getrieben, vernahmen wir das Pfeifen der herabsausenden Bomben und die Einschläge, aber nur zwei fielen in der Nähe der Halle nieder und richteten keinen größeren Schaden an. Nach der Entwarnung qualmten im Westen und im Norden in Brand gesetzte Objekte. Am nächsten Tag erfuhren wir von Paul, der mit Deutschen in Berührung kam, daß die benachbarten Fabriken, in denen ebenfalls Häftlinge aus Buchenwald arbeiteten, schwer beschädigt worden waren. Etwa 20 Häftlinge waren ums Leben gekommen. Eine Bombe hatte auch das Wirtschaftsgebäude der Munitionsfabrik ‚Hasag‘ zerstört. Die Verluste waren erheblich, und die Deutschen liefen wütend herum. Die Zerstörung auch nur einer der Zulieferfabriken für Flugzeugteile legte die ganze Produktion lahm.“
Aus: Tadeusz Sobolewicz, Aus der Hölle zurück, S. 161 f. Aus dem Polnischen von Siegfried Schmidt. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1999. Mit freundlicher Genehmigung der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.