Lippstadt (Eisen- und Metallwerke GmbH) (Frauen)

31. Juli 1944 – 29. März 1945

Das Lager

Im Juli 1944 richtete die Lippstädter Eisen- und Metallwerke GmbH auf ihrem Werksgelände an der damaligen Cappeler Landstraße 132 (heute Beckumer Straße) ein Außenlager für weibliche KZ-Häftlinge ein. Obwohl das KZ Buchenwald erst im Herbst 1944 offiziell die Leitung der Frauenaußenlager übernahm, begleitete die Buchenwalder SS die Errichtung des Lagers von Beginn an. Das zwischen Lippstadt und der Nachbargemeinde Cappel gelegene Rüstungswerk hatte erst 1937 seinen Betrieb aufgenommen. Wie bei vielen Rüstungsbetrieben entstanden im Krieg rund um das Werk Barackenlager für ausländische Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene. Das KZ-Außenlager lag am nordöstlichen Rand des Werksgeländes und bestand aus drei Baracken, in denen zuvor sowjetische Zwangsarbeiterinnen untergebracht gewesen waren. Ein Zaun trennte es vom übrigen Gelände. Berichten zufolge hatten die Unterkünfte Waschräume und dreistöckige Betten. In der Buchenwalder Lagerverwaltung firmierte das Lager als „SS-Kommando Lippstadt (Eisen- und Metallwerke)“ oder als „Lippstädter Eisen- und Metallwerke“.

Die Häftlinge

Nach einer mehrtägigen Bahnfahrt trafen am 31. Juli 1944 die ersten 530 Frauen aus Auschwitz in Lippstadt ein. Es waren ausschließlich ungarische Jüdinnen im Alter von 14 bis 50 Jahren. Wenige Monate zuvor hatte die SS sie mit ihren Familien aus ihrer Heimat nach Auschwitz deportiert. Anders als viele ihrer Familienangehörigen überlebten die Frauen die dortigen Selektionen, weil sie als arbeitsfähig galten. Ende November 1944 trafen nochmals 300 jüdische Frauen aus Auschwitz ein. Von der Zusammensetzung war diese zweite Gruppe heterogener. Die 14- bis 48-jährigen Frauen stammten aus der Slowakei, aus Polen, Ungarn, Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien. Viele von ihnen hatten bereits eine jahrelange Verfolgung und Aufenthalte in Ghettos und anderen Lagern hinter sich, als sie in Lippstadt eintrafen. Bis Februar 1945 blieb die Belegung des Lagers relativ konstant. Am 12. Januar und am 9. Februar brachte die SS insgesamt 75 Frauen nach Bergen-Belsen, vermutlich, weil sie als nicht mehr arbeitsfähig galten. Fluchten sind keine dokumentiert.

„Ich habe meinen einundzwanzigsten Geburtstag im Lager verbracht.“
Iby Knill
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Lippstädter Eisen- und Metallwerke GmbH war ein reiner Rüstungsbetrieb. Außer den in der Krankenstation oder zu Tätigkeiten im Lager eingesetzten Frauen arbeiteten alle in der Fabrik. Über die Produktpalette der Rüstungsfabrik liegen keine Dokumente vor. Berichten zufolge wurden die Frauen jedoch zur Fertigung von Flugzeugteilen, Handgranaten und Munition eingeteilt. Mitunter arbeiteten sie an der Seite ausländischer Zwangsarbeitender, die die Mehrheit der Belegschaft des Werks ausmachten. Deutsche Vorarbeiter kontrollierten die Arbeit. Die Häftlinge waren in wechselnden Tag- und Nachtschichten eingesetzt. Dies galt für einen Teil der Frauen auch sonntags. Ausnahme bildeten die arbeitsfreien Weihnachtstage und Neujahr. Das Unternehmen zahlte vier Reichsmark pro Tag und Häftling an die SS, den Tarif für ungelernte Hilfsarbeiter. Aussagen von Überlebenden zufolge kam es im Februar und März 1945 wiederholt zu Produktionsausfällen. Kleine Gruppen setzte die SS nun auch zur Trümmerräumung außerhalb des Werksgeländes ein.

Krankheit und Tod

In einer der Baracken ließ die SS eine improvisierte Krankenstation einrichten. Anfang September überstellte die SS eine Ärztin und eine Hebamme aus Auschwitz nach Lippstadt. Ende November trafen weitere medizinisch geschulte Frauen in Lippstadt ein. Neben der Wiener Ärztin Dr. Regina Kohane kümmerten sich fortan zwei Häftlingsärztinnen und einige Pflegerinnen um die Kranken. Ein örtlicher Vertragsarzt und ein SS-Sanitäter überwachten sie. Für Zahnbehandlungen brachte die SS die Frauen zu einem Zahnarzt in Lippstadt. Der Krankenstand war relativ hoch, auch bedingt durch Arbeitsunfälle. Anfang November 1944 etwa wurden 64 Frauen stationär oder ambulant behandelt. Unter den Frauen befanden sich einige Schwangere. Belegt ist mindestens eine Geburt. Ein am 1. August 1944 geborener Junge überlebte nur einen Monat. Berichten zufolge waren unter den Anfang 1945 nach Bergen-Belsen gebrachten Frauen auch einige Schwangere und Frauen mit Säuglingen. Bis zur Räumung des Lagers sind sieben Todesfälle belegt. Die Toten und der in Lippstadt gestorbene Säugling wurden in einem Sammelgrab auf dem jüdischen Friedhof Anröchte beerdigt.

Bewachung

Die Wachmannschaft bei den Lippstädter Eisen- und Metallwerken bestand anfangs aus 22 SS-Männern und vier SS-Aufseherinnen. Mitte März 1945 umfasste sie schließlich 27 SS-Männer und 15 SS-Aufseherinnen. Als Kommandoführer setzte die SS den SS-Hauptscharführer Alfred Bieneck (1898-1962) ein. Seit 1935 Mitglied der SS, war der gelernte Webermeister ab 1942 im KZ Buchenwald tätig. Nach Aussagen von Überlebenden handelte es sich beim Großteil der SS-Männer um ältere Wehrmachtssoldaten, die zur Lagerbewachung an die SS überstellt worden waren. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld zu Verbrechen im Außenlager bei den Lippstädter Eisen- und Metallwerken und zu möglichen Tötungen während der Räumung des Lagers führten in den 1970er-Jahren zu keiner Verurteilung.

Räumung

Aufgrund der herannahenden alliierten Truppen beschloss die SS Ende März 1945, das Lager zu räumen. Vermutlich am Abend des 29. März trieb die SS die über 700 Frauen aus dem Lager. Zu Fuß sollten sie in das Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht werden. Berichten zufolge marschierten die Frauen wegen der Tieffliegergefahr nur nachts. Die Tage verbrachten sie in Scheunen. Am Morgen des 1. April 1945, Ostersonntag, erreichte die Marschkolonne die rund 25 Kilometer von Lippstadt entfernte Ortschaft Kaunitz, östlich von Gütersloh. Kurz vor dem Eintreffen der amerikanischen Einheiten setzte sich die Wachmannschaft ab. Die amerikanischen Soldaten brachten die Frauen zunächst in Privathäusern unter. Während die aus Westeuropa stammenden Frauen schon bald wieder in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, blieben die meisten der nun heimatlosen Jüdinnen im neu eingerichteten displaced persons camp in Kaunitz. Zum Teil warteten sie dort jahrelang auf eine Möglichkeit, Deutschland verlassen zu können.

Befreite Frauen aus dem Außenlager Lippstadt in Kaunitz, April 1945
Befreite Frauen aus dem Außenlager Lippstadt in Kaunitz, April 1945 (3. von rechts Krystyna Klemanska, 4. von links Valeria Schwarcz und 5. von links, mit schwarzer Mütze Margit Fürst) ©National Archives at College Park, Maryland

Spuren und Gedenken

Die britischen Streitkräfte nutzten das Gelände der Lippstädter Eisen- und Metallwerke nach dem Krieg bis 1958 für Panzerinstandhaltungen. Die Unterkunftsbaracken des ehemaligen KZ-Außenlagers wurden in dieser Zeit abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Nach mehrmaligen Verkäufen ist das Werksgelände an der Beckumer Straße heute im Besitz der Hella GmbH, einem Unternehmen aus der Automobilbranche. In den 1990er-Jahren setzte die Aufarbeitung der Geschichte des Außenlagers ein, zunächst im Rahmen eines Projekts einer Gütersloher Schule. Seit 1994 erinnert in der Graf-Adolf-Straße eine Gedenktafel an die Existenz des Frauenaußenlagers.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Literatur:

Burkhard Beyer, Zum Arbeitseinsatz nach Lippstadt. Die jüdischen Frauen in den KZ-Außenkommandos Lippstadt 1944 und 1945, Lippstadt 1993.

Ders., Lippstadt I und II, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 507-511.

Ders., Die Buchenwald-Außenlager in Lippstadt 1944/45, in: Jan Erik Schulte (Hg.), Konzentrationslager im Rheinland und Westfalen 1933-1945. Zentrale Steuerung und regionale Initiative, Paderborn u.a. 2005, S. 259-270.


„Ich habe meinen einundzwanzigsten Geburtstag im Lager verbracht.“

Iby Knill

Iby Knill kam am 25. November 1923 als Ibolya Kaufmann in Košice in der heutigen Slowakei in einer jüdischen Familie zur Welt. 1942/43 floh ihre Familie aus Bratislava nach Ungarn, wo Ibolya als Kindermädchen nahe Budapest arbeitete. Nach dem deutschen Einmarsch wurde sie Mitte Juni 1944 verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Sechs Wochen später brachte die SS sie Ende Juli 1944 nach Lippstadt. Dort war sie zunächst als Krankenpflegerin und später in der Fabrik tätig. 1946 kehrte sie nach Bratislava zurück. Ihren Vater hatte die SS in Auschwitz ermordet. Sie heiratete einen britischen Offizier. 1947 gingen sie nach England und gründeten eine Familie. Mit 98 Jahren starb Iby Knill 2022 in Leeds.



weiterlesen