
Das Lager
Nach der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie beschloss die SS-Führung, die auf der Kanalinsel Alderney stationierte SS-Baubrigade I auf das Festland zu verlegen. Auf Schiffen und in Güterzügen erreichten die Häftlinge nach einer rund vierwöchigen Odyssee den neuen Standort der Baubrigade in Belgien. Das Hauptlager richtete die SS in der flämischen Gemeinde Kortemark ein. Ein kleineres improvisiertes Lager entstand in der kleinen Ortschaft Proven, rund 40 Kilometer von Kortemark entfernt. Heute ist die damals noch selbstständige und sehr ländliche Gemeinde ein Ortsteil der Stadt Poperinge. Die SS brachte die Häftlinge in dem Gebäude der städtischen Jungenschule unter. Das Schulgelände, das sich mitten in der Ortschaft befand, hatten Soldaten der Wehrmacht eine Woche vor der Ankunft der Häftlinge für die Erfordernisse der SS umgerüstet und entsprechend eingerichtet. Die nach Flandern verlagerte SS-Baubrigade I, die bis zu diesem Zeitpunkt dem Konzentrationslager Neuengamme unterstand, gehörte ab dem 5. August 1944 offiziell zum Konzentrationslager Buchenwald.
Die Häftlinge
Rund 570 Häftlinge der SS-Baubrigade I trafen Ende Juli 1944 in Flandern ein. Etwa 350 von ihnen blieben Berichten zufolge in Kortemark. Die übrigen rund 220 Männer brachte die SS in Proven unter. Der Großteil der Häftlinge der Baubrigade stammte aus der Sowjetunion und trug den roten Winkel der politischen Häftlinge. Eine zweite größere Gruppe bildeten circa 50 überwiegend deutsche Männer, die als Zeugen Jehovas verfolgt worden waren. Hinzu kamen politische Häftlinge aus Polen, der Tschechoslowakei, Frankreich, Jugoslawien, den Niederlanden und weitere deutsche Männer, die als Politische, „Berufsverbrecher“ oder „Asoziale“ in das Konzentrationslager eingewiesen wurden. In Kortemark und Proven boten sich für die Häftlinge aufgrund der Unterstützung durch die einheimische belgische Bevölkerung viele Möglichkeiten zur Flucht. Es sind zwar keine genauen Zahlen dokumentiert, Überlebende berichten jedoch von einer großen Anzahl Geflohener.
Zwangsarbeit
Die Häftlinge wurden zum Bau von Abschussbasen für die Flugbombe Fieseler (Fi) 103, die sogenannte Vergeltungswaffe 1 („V1“), eingesetzt. Weitere Details hierzu liegen nicht vor.
Krankheit und Tod
Informationen über die Krankenversorgung vor Ort in Proven liegen bisher nicht vor. Während der rund einmonatigen Existenz des Lagers gab es mindestens einen toten Häftling: Der 21-jährige Grigorij Kukobko aus der Ukraine starb am 11. August 1944 in Proven. Als Todesursache vermerkte die SS in den Haftunterlagen: Herz- und Kreislaufschwäche bei Dünndarmentzündung. Sein Leichnam wurde auf dem örtlichen Gemeindefriedhof beerdigt.
Bewachung
Wie bereits auf Alderney fungierte der gelernte Vermessungstechniker SS-Obersturmführer Georg Braun (geb. 1911) nach der Verlagerung auf das belgische Festland als Führer der SS-Baubrigade I und somit auch als Kommandoführer der Lager in Kortemark und Proven. SS-Hauptscharführer Otto Högelow (geb. 1895) kommandierte die Wachmannschaft der Baubrigade und SS-Oberscharführer Kurt Wittwer (geb. 1912) war als Arbeitsdienstführer der Brigade eingesetzt. Details über die in Proven tätige Wachmannschaft liegen bisher nicht vor. Strafrechtliche Verurteilungen wegen der Geschehnisse in Proven hat es nicht gegeben. Ermittlungsverfahren gegen einige Angehörige der Wachmannschaft der SS-Baubrigade I wurden ergebnislos eingestellt.
Räumung
Am 2. September 1944 begann die Verlagerung der SS-Baubrigade I aus Kortemark und Proven. Die SS brachte die Häftlinge per Bahn in Richtung Westen. Erst nach sechs Tagen erreichte der Zug die deutsche Grenze. Nach weiteren vier Tagen kam die Baubrigade mit 441 Häftlingen an ihrem neuen Einsatzort im thüringischen Rehungen an.
Spuren und Gedenken
Das ehemalige Schulgebäude, das als Häftlingsunterkunft genutzt wurde, existiert heute nicht mehr. Auf dem damaligen Schulareal befindet sich heute ein Kulturzentrum. Vor Ort erinnert nichts an die Existenz des Außenlagers. Auf dem Friedhof der Ortschaft ist heute noch das Grab des in Proven im August 1944 verstorbenen Ukrainers Grigorij Kukobko zu finden.
Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Friedhofes in Proven auf GoogleMaps
Literatur:
Karola Fings, Krieg, Gesellschaft und KZ. Himmlers SS-Baubrigaden, Paderborn 2005.