Orest W. Dwornikow

(1916-2000)

Orest W. Dwornikow, 1954
Orest W. Dwornikow, 1954 ©Familie Kuznetsowa

Orest W. Dwornikow wurde am 26. Dezember 1916 in Odessa in der heutigen Ukraine geboren. Er war Truppenarzt in der Roten Armee. Nachdem er Ende 1941 seine Einheit verloren hatte, kam er schwerkrank nach Kirowograd, der Geburtsstadt seiner Frau. Weil er Partisanen unterstützte, verhaftete die Gestapo ihn im Februar 1943 und deportierte ihn nach Buchenwald. Seit März 1944 setzte die SS ihn als Häftlingsarzt in Wansleben ein. Nach der Befreiung in seine ukrainische Heimat zurückgekehrt, verhaftete ihn 1946 der sowjetische Geheimdienst wegen angeblichen „Verrats des Vaterlandes“. Nach zehn Jahren Haft in einem sibirischen Arbeitslager kehrte er nach Cherson zurück, wo er wieder als Arzt arbeitete. Orest W. Dwornikow starb im Jahr 2000.





„Das Salz setzte sich auf der Haut ab, es schmolz dort, dieses Salz, löste sich auf. Es bildeten sich Geschwüre, Schorf – das war sehr, sehr schwer und schrecklich.“

Aus den Erinnerungen von Orest W. Dwornikow

Das Lager
„So fand ich heraus, dass sich dieses Kommando – A6 – in der Kleinstadt Wansleben am See befand. Das Kalibergwerk hatte 26 Jahre stillgestanden – dort gibt es wirklich Stollen – und in diesen Stollen, in großer Tiefe, sollten riesige Produktionshallen errichtet werden, um die Produktionstechnik von Messerschmitt aus Leipzig dorthin zu verlagern und Flugzeugteile herzustellen. Und ich organisierte dort ein Krankenrevier, wo ich Menschen rettete. […]

Wir waren 250 Personen, die fuhren, es war der erste Transport […]. Das Lager wurde immer größer, es wurde weiter gebaut, ein Betrieb errichtet, es gab dort zwei Schachtanlagen: Neu-Mansfeld und Wansleben, zwei Kalibergwerke.“

Im Schacht
„Ich fuhr selbst in die Stollen hinein, schaute, wie es dort aussah. Es war kein Kohleschacht, es brauchte dort keinerlei Befestigungen, es war Kalisalz, müssen Sie wissen. Dort hatte man eine Montagehalle gebaut – mit einer Kuppel wie in einer Kathedrale! Eine riesige, riesige Grubenkammer, wie Sie sich denken können.

Die Werkshallen dort waren sehr, sehr lang, so vielleicht 150 Meter, 100 Meter lang, wie ein Fußballfeld, so breite Stollen, und dort standen die Maschinen, eine ganze Fertigungslinie. Der Boden war natürlich betoniert und so weiter. […] Als man dort die Stollen baute, hat man gesprengt, verstehen Sie? […] Das war furchtbare Schwerstarbeit. Der Kalistaub geriet in die Lunge, geriet hinein. Heiß war es dort, unheimlich stickig. Das Salz setzte sich auf der Haut ab, es schmolz dort, dieses Salz, löste sich auf. Es bildeten sich Geschwüre, Schorf – das war sehr, sehr schwer und schrecklich.“

Weihnachten
„Als ich in Wansleben in diesem Kommando A6 im Lager war, kam dieser Dolmetscher, Jan Pilecki auf mich zu und sagte: ‚Orest, heute ist der 25. Dezember, heute ist Boże Narodzenie, nicht wahr? Heute ist Weihnachten. Können meine Landsleute nach dem Appell kommen und hier feiern?‘ Worauf ich antwortete: ‚Gerne.‘ Alle Ausländer, darunter auch die Polen, bekamen Päckchen, verstehen Sie? Und vom Internationalen Roten Kreuz – Polen war fast zur Hälfte schon besetzt, sodass diejenigen, die aus diesen Gegenden waren, von Zuhause vielleicht keine bekommen konnten, aber vom Internationalen Roten Kreuz.

Ich habe es also erlaubt und gesagt: ‚Gerne, mir macht das keine Arbeit, ganz im Gegenteil, es ist doch schön.‘ Und habe dabei gehofft und gedacht, dass sie auch mir etwas anbieten würden – einen Tee und Gebäck vielleicht … Vorher noch, das sollte ich erwähnen, hat man aus allen Museen Münzen zu uns ins Kommando nach Wansleben gebracht. Kupfermünzen, weil es schon kein Kupfer mehr für die Patronenfabrik gab, die in Erfurt war, nur 17 Kilometer von Buchenwald entfernt. Und alle Bronzestatuen, Fensterriegel und Griffe – nun, alles, dessen man habhaft werden konnte und das irgendwie Kupfer oder Bronze enthielt.

All das brachte man zu uns ins Bergwerk – es landete direkt im Tiegelschmelzofen. Es wurden dort echte Kunstwerke und all die Münzen aus den Museen eingeschmolzen – unglaublich kostbare Sachen! Ich aber sammelte Münzen, ich habe sie von Kindesbeinen an gesammelt, besonders gern alte Zarenmünzen, wie wir sie nannten. Ich sah all diese Schätze – eine jede Münze, die aus einem Museum kommt, ist doch eine Rarität, verstehen Sie? Ich bastelte mir einen Feuerhaken und stocherte damit auf der Suche nach etwas besonders Interessantem herum. Und plötzlich zog ich ein Kruzifix heraus. Ganz, ganz leicht, nicht groß, klein, aber es war ein Kunstwerk, weil diese Krone mit den Dornen, die Jesus ins Haupt stachen, und dieses Lendentuch um seine Hüften – das war einfach ein Wunderwerk!“

Aus: Interview mit Orest W. Dwornikow, 26. April 1998. (Visual History Archive, USC Shoah Foundation) (Übersetzung aus dem Russischen)