Altenburg

27. November 1944 – 12. April 1945

Das Lager

Seit 1937 betrieb die Hugo-Schneider-AG (HASAG) im thüringischen Altenburg, rund 50 Kilometer südlich von Leipzig, ein Rüstungswerk. Es lag am nördlichen Stadtrand in der heutigen Poststraße in der Nähe eines Bahnanschlusses. Neben Zwangsarbeitern, Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangenen aus den deutsch besetzten Ländern Europas beutete die HASAG in ihrem Werk in Altenburg seit August 1944 weibliche KZ-Häftlinge aus. Das hierfür eingerichtete Frauenaußenlager unterstand seit September 1944 offiziell dem KZ Buchenwald. Wie an anderen HASAG-Standorten forderte die Werksleitung einige Monate später zusätzlich männliche KZ-Häftlinge von der SS an. Wo genau die Ende November 1944 eintreffenden Männer untergebracht waren, ist nicht eindeutig belegt, vermutlich in einem der Steingebäude in der Nähe oder im Bereich des Frauenaußenlagers südlich des HASAG-Geländes zwischen der Bahnlinie und der heutigen Feldstraße.

Die Häftlinge

Am 27. November 1944 brachte die SS die ersten 50 männlichen Häftlinge aus Buchenwald nach Altenburg. Bis auf zwei nichtjüdische Männer aus Deutschland und Österreich, die vermutlich als Kapos eingesetzt wurden, handelte es sich um jüdische Häftlinge zwischen 16 und 60 Jahren. Der kleinere Teil von ihnen stammte aus der Region um Krakau und hatte zuvor das Arbeitslager in Płaszów und das KZ Groß-Rosen durchlaufen. Den weitaus größeren Teil bildeten Männer und Jungen aus Budapest, die im Rahmen der letzten Deportationen aus Ungarn im November 1944 aus ihrer Heimat nach Buchenwald verschleppt worden waren. Erst im Februar und März 1945 vergrößerte die SS das Männerlager durch die Ankunft von weiteren rund 170 jüdischen Häftlingen aus verschiedenen Ländern. Die Mehrheit von ihnen kam erst im Januar und Februar mit Räumungstransporten aus Auschwitz und dem KZ Groß-Rosen nach Buchenwald. Mit insgesamt 227 Häftlingen war das HASAG-Männeraußenlager um ein Vielfaches kleiner als das benachbarte Frauenaußenlager.

„Buchenwald war ein riesiges Lager. Aber ich blieb nicht lange dort, nur ein paar Tage. Dann verfrachteten sie mich, verfrachteten sie uns hinaus.“
Sandor Stern
zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Wie die weiblichen Häftlinge arbeiteten auch die Männer im nahegelegenen HASAG-Werk, wo sie Munition und Panzerfäuste fertigten. Unter anderem mussten sie verschiedene Maschinen bedienen. Es ist davon auszugehen, dass die Werksleitung versuchte, vor allem Häftlinge mit spezifischen beruflichen Erfahrungen und handwerklichen Fertigkeiten gestellt zu bekommen. Im Januar 1945 erkannte die Betriebsleitung 20 Häftlinge als Facharbeiter an. Sie waren als Schlosser, Klempner, Elektriker und Dreher eingesetzt. Deutsche Meister, Arbeiter und Ingenieure leiteten die Häftlinge an. Gearbeitet wurde in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten von 6 bis 18 Uhr und von 18 bis 6 Uhr mit einer Pause von 45 Minuten bis zu einer Stunde. Auch sonntags mussten die Häftlinge im HASAG-Werk arbeiten, wenn auch in reduzierter Form.

Krankheit und Tod

Berichten zufolge war die im benachbarten Frauenlager eingesetzte Häftlingsärztin Etel Kinberg für die Versorgung der Kranken im Männerlager zuständig. Gleiches gilt für den verantwortlichen SS-Sanitäter namens Gentzsch und den als Vertragsarzt für die SS tätigen Dr. H. Kanter, ein in Altenburg niedergelassener praktischer Arzt. Im März 1945 befanden sich durchschnittlich jeden Tag zehn Männer in Behandlung. Dreieinhalb Wochen vor der Räumung des Lagers schickte die Lagerführung 21 kranke Männer im Austausch gegen neue Häftlinge zurück nach Buchenwald. Bis Ende März meldete das Männerlager in Altenburg zwei Todesfälle: Der 44-jährige Uhrmacher Armand Szamosi starb im Januar 1945 laut Angaben der SS an Herzversagen. Der 22-jährige Leon van Hachgenberg aus Rotterdam starb im März 1945 an einem Lungenödem, so die vom Vertragsarzt bestätigte Todesursache. Die Toten wurden auf dem städtischen Friedhof beigesetzt.

Bewachung

Für die Bewachung des Frauen- und Männerlagers war dieselbe Wachmannschaft zuständig. Zur Zeit der höchsten Belegung beider Lager im März 1945 bestand sie aus rund 70 SS-Männern und etwa 40 SS-Aufseherinnen. Letztere wurden ausschließlich im Frauenlager eingesetzt. Der 1900 geborene SS-Oberscharführer Johann Frötsch führte das Kommando in beiden Lagern. Zuvor war er Blockführer in Buchenwald und schon dort für seine Brutalität gefürchtet gewesen. Überlebende des Frauenlagers berichteten später auch von zahlreichen Gewalttätigkeiten in Altenburg.
Das Landgericht Gera verurteilte 1951 den Betriebsleiter der HASAG, Friedrich Ferdinand Borch, wegen der Misshandlung weiblicher Häftlinge in Altenburg zu einem Jahr und sechs Monaten Haft. Weitere Verurteilungen sind nicht bekannt. Ein Ermittlungsverfahren der Zentralen Stelle in Ludwigsburg zur Überprüfung der Geschehnisse in den beiden Altenburger Lagern wurde 1975 ergebnislos eingestellt.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich 2.435 Frauen und rund 200 Männer in den beiden HASAG-Außenlagern in Altenburg. Am 12. April räumte die SS beide Lager. Die Männer und Frauen mussten vermutlich in unterschiedlichen Kolonnen zu Fuß in Richtung Glauchau in Sachsen marschieren. Am 14. April befreiten amerikanische Soldaten 800 jüdische Frauen und Männer in Waldenburg. Die übrigen Häftlinge trieb die SS weiter über das Erzgebirge in Richtung Tschechoslowakei. Wann und wo sie befreit wurden, ist bisher nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Amerikanische Soldaten sprengten 1945 einen Großteil der HASAG-Werksanlagen. Die sowjetische Militäradministration demontierte zwei Jahre später die Reste. Bis auf wenige Gebäude wie das ehemalige HASAG-Verwaltungsgebäude und eine Lagerbaracke (Baracke 14) ist heute alles abgerissen oder überbaut. 2006 wurde am ehemaligen Verwaltungsgebäude eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie die KZ-Häftlinge der HASAG in Altenburg angebracht. Auf dem Friedhof Altenburg, wo die Toten des Außenlagers beerdigt wurden, gibt es seit Oktober 2002 Gedenkstelen mit den Namen.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort der Gedenktafel auf GoogleMaps
Link zum Standort des Friedhofes in Altenburg auf GoogleMaps

Kontakt:
Altenburger Geschichtsverein e.V. (AGV)
Albert-Lelvy- Straße 22
04600 Altenburg
E-Mail: altenburgergeschichtsverein@t-online.de

Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand
1/2
Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand
2/2
Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Diana Blaas, Christian Brumme, Felix Otto, Die HASAG in Altenburg, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge des Außenlagers Buchenwald im Rüstungskonzern, Altenburg 2009.

Charles-Claude Biedermann, Altenburg (Männer), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 365-366.


„Buchenwald war ein riesiges Lager. Aber ich blieb nicht lange dort, nur ein paar Tage. Dann verfrachteten sie mich, verfrachteten sie uns hinaus.“

Sandor Stern

Sandor Stern kam am 12. Dezember 1927 im rumänischen Satu Mare in einer jüdischen Familie zur Welt. Im Alter von 13 Jahren zog er mit seinen Eltern und drei Brüdern nach Budapest. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn 1944 begann für ihn und seine Familie die Verfolgung. Nach Zwangsarbeit in Ungarn wurde Sandor Stern im November 1944 nach Buchenwald deportiert und kurz darauf nach Altenburg verlegt. Bei der Räumung des Lagers gelang es ihm zu fliehen. Amerikanische Soldaten fanden ihn und brachten ihn nach Buchenwald, wo er medizinische Versorgung erhielt. Sandor Stern gehörte zu der Gruppe junger KZ-Überlebender, die im Juni 1945 von Frankreich aufgenommen wurden. 1948 emigrierte er in die USA, wo er mehrere Jahre in der Air Force diente. Sandor Stern starb 2009 in Longwood, Florida.



weiterlesen