Berlstedt

5. Februar 1939 – 4. April 1945

Das Lager

Ende April 1938 gründete die SS das Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST). Der SS-Betrieb sollte vor allem Baumaterialien für geplante Großbauprojekte herstellen. Für den Bau des monumentalen „Gauforums“ in Weimar plante die DEST kurz nach ihrer Gründung die Errichtung einer Ziegelei im 13 Kilometer nördlich gelegenen Berlstedt (seit 2019 Ortsteil der Gemeinde Am Ettersberg). Das erforderliche Gelände mit einer Tongrube fand sie westlich des Dorfes an der heutigen Hauptstraße. Zur Errichtung des sogenannten Klinkerwerks wurden Häftlinge aus dem rund sieben Kilometer entfernten Konzentrationslager Buchenwald eingesetzt. Zunächst mussten sie jeden Abend nach der Arbeit nach Buchenwald zurückmarschieren. Erst ab Februar 1939 waren die in Berlstedt eingesetzten Häftlinge in zwei Holzbaracken auf dem Werksgelände untergebracht. Berlstedt wurde so zum ersten auf Dauer angelegten Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Zur Lagerinfrastruktur gehörten zudem eine Wachbaracke am Eingang des DEST-Geländes, eine doppelte Umzäunung sowie acht Wachtürme. Die Unterkünfte der SS befanden sich etwa 250 Meter vom Lager entfernt.

Ziegelei Berlstedt im Bau. Die Fotos wurden im Sommer 1938 im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Karl Koch zu Repräsentationszwecken aufgenommen.
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Ziegelei Berlstedt im Bau. Die Fotos wurden im Sommer 1938 im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Karl Koch zu Repräsentationszwecken aufgenommen. ©International Court of Justice, The Hague
Ziegelei Berlstedt im Bau. Die Fotos wurden im Sommer 1938 im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Karl Koch zu Repräsentationszwecken aufgenommen.
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Ziegelei Berlstedt im Bau. Die Fotos wurden im Sommer 1938 im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Karl Koch zu Repräsentationszwecken aufgenommen. ©International Court of Justice, The Hague
Ziegelei Berlstedt im Bau. Die Fotos wurden im Sommer 1938 im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Karl Koch zu Repräsentationszwecken aufgenommen.
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Ziegelei Berlstedt im Bau. Die Fotos wurden im Sommer 1938 im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Karl Koch zu Repräsentationszwecken aufgenommen. ©International Court of Justice, The Hague

Die Häftlinge

Zum Aufbau der Ziegelei brachte die SS ab Frühjahr 1938 täglich eine kleine Gruppe Häftlinge aus Buchenwald nach Berlstedt. Nach der Inbetriebnahme der Ziegelei Ende 1938 stieg ihre Zahl. Sehr oft wurden Häftlinge aus dem Außenlager mit Häftlingen aus dem nahegelegenen Hauptlager ausgetauscht. Die Belegung des Außenlagers schwankte deshalb stark. Im Januar 1942 beispielsweise befanden sich 106 und im August 1942 rund 270 Männer in Berlstedt, was den Höchststand darstellte. Wie viele Häftlinge insgesamt das Außenlager Berlstedt durchliefen, ist nicht genau zu sagen. Vermutlich waren es über eintausend. Die Männer stammten aus Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, den Niederlanden, aus Italien und anderen Ländern. Der Großteil von ihnen galt als politische Häftlinge, andere waren als „Berufsverbrecher“, „Asoziale“ oder als Zeugen Jehovas nach Buchenwald eingewiesen worden. Als Funktionshäftlinge setzte die SS vor allem Deutsche ein, wie den langjährigen politischen Häftling Johann Küpper. Er fungierte in Berlstedt als sogenannter Lagerältester.

„Jedenfalls lebten die Berlstedter neben dem ‚Kommando‘, das in unmittelbarer Nähe des Dorfes lag und auf einer Seite von einer asphaltierten Straße und auf der gegenüberliegenden Seite von einem Feldweg gesäumt war, den die Bauern benutzten, um zu ihren Feldern zu gelangen.“
François Perrot
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Nach der Fertigstellung des Klinkerwerks arbeiteten die meisten Häftlinge in der Ziegelproduktion. Sie mussten den Ton aus der Tongrube holen und zu Ziegeln verarbeiten, die Ziegel trocknen, brennen und sortieren. Zwischen 1939 und 1943 sank die Zahl der Zivilangestellten im Werk von 27 auf sieben, so dass Häftlinge auch Büroarbeiten übernahmen. 1942 verlegte die SS ihre Keramikwerkstatt aus Buchenwald nach Berlstedt. Neben Ziegeln wurden dort nun zusätzlich Schüsseln, Blumentöpfe, Urnen oder Kultgegenstände für die SS, zum Beispiel „Julleuchter“, produziert. Auch außerhalb des Werks leisteten die Häftlinge Zwangsarbeit: bei der Instandsetzung einer nahegelegenen Kläranlage, im Straßenbau oder bei anderen Bauarbeiten. Die meisten Häftlinge galten als Hilfsarbeiter, für die das Werk pro Einsatztag und Mann 0,5 Reichsmark (ab Sommer 1944 1 Mark) an die SS zahlte. Die Arbeitszeiten sind nicht für die gesamte Lagerzeit überliefert. Im Juni 1942 mussten die Häftlinge 11 ¼ Stunden arbeiten. Für Ende 1941 ist eine vorübergehende, winterbedingte Anpassung der Arbeitszeit auf siebeneinhalb Stunden belegt. In den Jahren 1942 bis 1944 wurde sonntags in der Regel verkürzt gearbeitet.

Die Tongrube in Berlstedt, einer der Arbeitsorte der Häftlinge. Das Foto wurde im Sommer 1938 im Auftrag des Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Koch, zu Repräsentationszwecken aufgenommen.
Die Tongrube in Berlstedt, einer der Arbeitsorte der Häftlinge. Das Foto wurde im Sommer 1938 im Auftrag des Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Koch, zu Repräsentationszwecken aufgenommen. ©International Court of Justice, The Hague

Krankheit und Tod

Vor Ort kümmerte sich ein als Sanitäter eingesetzter Häftling um die Kranken. Für längere Zeit war dies der deutsche politische Häftling Willi Usinger, ein gelernter Bankkaufmann aus Hessen. Ab September 1944 ist der belgische Arzt Louis Ronsmans als Sanitäter belegt. Das medizinische SS-Personal des Hauptlagers kontrollierte sie. Schwerer erkrankte oder geschwächte Häftlinge ließ die SS regelmäßig zur Behandlung in den Krankenbau nach Buchenwald bringen. Viele kehrten später nach Berlstedt zurück, andere starben im Hauptlager.
In den SS-Unterlagen sind drei Tote für das Außenlager belegt. Als offizielle Todesursache wurde bei allen Freitod angegeben. Drei weitere Häftlinge, ein deutscher und zwei sowjetische Häftlinge, erschoss die SS Anfang September 1944 bei einem Fluchtversuch – sehr wahrscheinlich aus dem Außenlager Berlstedt. Die beiden deutschen Häftlinge Walter Kiele und Kurt Schröder wurden nach ihrer Flucht aus Berlstedt im November 1941 wiederergriffen. Das Sondergericht Erfurt verurteilte sie im Januar 1942 zum Tode. Die Hinrichtung erfolgte am 5. März 1942 in Weimar. Die genauen Umstände sind nicht bekannt.

Bewachung

Über die Wachmannschaft in Berlstedt liegen bisher nur fragmentarische Informationen vor. Unterschiedliche Kommandoführer waren im Außenlager eingesetzt. Namentlich bekannt ist der SS-Oberscharführer Erich Martin (geb. 1914), der vermutlich in den Jahren 1940 bis mindestens 1942 als Kommandoführer fungierte. Für November 1944 ist ein SS-Oberscharführer namens Jänisch in gleicher Funktion belegt. Eine leitende Funktion in Berlstedt nahm ungefähr zur selben Zeit ein SS-Sturmscharführer namens Strahlberg ein. Die Wachmannschaft umfasste im November 1944 insgesamt 36 SS-Männer. Zahlen für die übrige Zeit liegen nicht vor. Verurteilungen wegen den in Berlstedt begangenen Verbrechen gab es nicht. Ermittlungen führten in den 1970er-Jahren in der Bundesrepublik zu keinem Ergebnis.

Räumung

Aufgrund der heranrückenden US-Armee löste die SS das Außenlager Berlstedt am 4. April 1945 auf. Rund 200 Häftlinge befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch vor Ort. Die SS brachte sie zurück in das Hauptlager Buchenwald. Viele von ihnen verließen in den Tagen danach mit Todesmärschen oder Räumungstransporten Buchenwald.

Spuren und Gedenken

Vom Außenlager in Berlstedt ist heute nur noch das leerstehende Ziegeleigebäude erhalten. Der Ort, wo die Häftlingsunterkünfte einst standen, ist bewachsen; die mit Wasser gefüllte Tongrube dient als Teich. Ein kleiner Teil des ehemaligen Ziegeleigeländes wird gewerblich genutzt. Ebenfalls auf dem ehemaligen Gelände der Ziegelei befindet sich seit Ende der 1960er-Jahre eine Schule, das heutige Lyonel-Feininger-Gymnasium und die Aktiv-Schule „An der Via Regia“. Vor der Schule, an der heutigen Hauptstraße, steht seit 1976 ein Betonpfeiler aus dem Lagerzaun mit einem Gedenkstein mit der Inschrift „Nie wieder“. Ergänzend dazu stellte die Ortschronisten-Gruppe Berlstedt mit Unterstützung der Gedenkstätte Buchenwald im Oktober 2024 zwei Tafeln auf, die über die Geschichte des Außenlagers Berlstedt informieren.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenkzeichens auf GoogleMaps

Kontakt:
Ortschronisten-Gruppe Berlstedt
E-Mail: ortschronik-berlstedt@web.de

Literatur:

Christian Wussow, Berlstedt, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 388-392.


François Perrot (2. von links) mit seiner Familie kurz nach Kriegsende
François Perrot (2. von links) mit seiner Familie kurz nach Kriegsende ©Familie Perrot
„Jedenfalls lebten die Berlstedter neben dem ‚Kommando‘, das in unmittelbarer Nähe des Dorfes lag und auf einer Seite von einer asphaltierten Straße und auf der gegenüberliegenden Seite von einem Feldweg gesäumt war, den die Bauern benutzten, um zu ihren Feldern zu gelangen.“

François Perrot

François Perrot kam am 29. November 1921 in Straßburg zur Welt. Nach der Besetzung Nordfrankreichs schloss er sich der Résistance an. In Paris, wo er Politikwissenschaften studierte, wurde er im März 1943 aufgrund einer Denunziation verhaftet und im September nach Buchenwald deportiert. Von Oktober 1943 bis zur Räumung des Lagers war er zur Zwangsarbeit in Berlstedt eingesetzt. Die Befreiung erlebte er nach Todesmärschen in Untertraubenbach in der Oberpfalz. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich arbeitete er als Beamter, unter anderem im Kommissariat für Atomenergie. Ab den 1980er-Jahren übernahm er Funktionen in Überlebendenverbänden und anderen Gedenkinstitutionen wie der Fondation pour la Mémoire de la Déportation. François Perrot starb 2016 in Paris.



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