Curt Herzstark wurde am 26. Januar 1902 in Wien geboren und wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Als junger Ingenieur trat er in den Betrieb seines Vaters, die Rechenmaschinenfabrik „Austria“, ein. Sein Vater stammte aus einer jüdischen Familie. Gemäß den NS-Rassengesetzen galt Curt Herzstark deshalb als „Halbjude“ und durfte den väterlichen Betrieb daher nicht übernehmen. Die Gestapo Wien nahm ihn im Juli 1943 fest und deportierte ihn nach Buchenwald, weil er sich für verhaftete Kollegen eingesetzt hatte. Er musste im Buchenwalder Gustloffwerk arbeiten und entwarf nebenbei Pläne für eine neue Rechenmaschine. Später wurde sie als Curta bekannt. Im März 1945 kam Curt Herzstark in das Außenlager Billroda. Nach der Befreiung kehrte er nach Wien zurück, gründete eine Familie und arbeitete als Berater für Büromaschinenhersteller. Curt Herzstark starb 1988 in Lichtenstein.
Aus den Erinnerungen von Curt Herzstark
Von Buchenwald nach Billroda
„Der Bombenangriff auf die Fabrikhallen in Buchenwald hatte die Produktion ziemlich lahmgelegt. Um weiterarbeiten zu können, wurde ich zusammen mit einer größeren Zahl weiterer Häftlinge im Spätherbst 1944 [Anm.: im März 1945] gut bewacht per Zug nach Billroda gebracht. Der Ort liegt etwa 35 km nordöstlich von Weimar. In der Region war Kalibergbau betrieben worden. Davon zeugten noch eine Anzahl verwaister Fördertürme. In einem der stillgelegten Bergwerke hatte man die Salinen ausbetoniert, den Förderturm wieder in Betrieb genommen.“
Das Lager
„Dicht neben der Kaligrube wurden wir in einem mit Stacheldraht gesicherten Lager untergebracht. Als Erstes mussten wir Latrinen graben. Im übrigen blieb alles ziemlich provisorisch. Für mich war der Ortswechsel recht bitter. In Buchenwald hatte ich mir eine zweite Decke und andere Kleinigkeiten organisieren können, die ich leider dort zurücklassen musste. Mein kleines Köfferchen enthielt neben dem Notwendigsten nur noch die Zeichnungen der Rechenmaschine.“
Zwangsarbeit untertage
„Kaum waren wir notdürftig eingerichtet, ging es täglich morgens im Förderkorb 600 Meter tief unter die Erde. Während wir oben im Lager bei winterlicher Witterung und bis zu minus 10 Grad froren, herrschte unten durch die Erdwärme eine gleichbleibend angenehme Temperatur von ungefähr plus 20 Grad. Bei meiner Ankunft in Billroda habe ich leicht gehustet. Nach dem Krieg stellte man mehrere verkapselte TB-Herde in der Lunge fest. Die Wärme und die salzhaltige Luft im Bergwerk haben die Tuberkulose offenbar günstig beeinflusst und gestoppt.
Mit der Förderschale wurden Werkzeugmaschinen in die Tiefe gebracht, die ich mit Hilfe von 30 bis 40 Leuten aufstellen musste. Trotz aller Mühe kamen wir nicht recht voran, weil die Salzluft das Metall stark angriff. Abends haben wir alle Maschinen gut gefettet und geölt, morgens lag schon wieder ein roter Film darauf. Zu einer richtigen Produktion ist es nicht mehr gekommen. Sie blieb rudimentär. Es war auch schon keine Organisation mehr zu erkennen.
Einen schlimmen Zwischenfall gab es, als der Fördermechanismus einmal versagte und wir unten festsaßen. Als einziger Ausweg bot sich die Benützung einer alten Nottreppe an. Mit dem Mut der Verzweiflung quälten wir halbverhungerte Gestalten uns 600 Meter weit dem Tageslicht entgegen. Die körperliche und nervliche Anstrengung ist kaum zu beschreiben. Ob es alle geschafft haben, weiß ich nicht mehr. Ich kam unter Aufbietung meiner letzten Kräfte an die Oberfläche. Wieder an der Luft, brach ich zusammen. Dass ich keinen Fangschuss erhielt, verdanke ich wahrscheinlich meiner ‚Brauchbarkeit‘.
Billroda blieb mein letzter Einsatz vor der Befreiung.“
Aus: Curt Herzstark, Kein Geschenk für den Führer. Schicksal eines begnadeten Erfinders, Norderstedt 2005, S. 211 f.