Ellrich-Juliushütte

1. Mai 1944 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Die SS richtete im Frühjahr 1944 im Südharz mehrere neue Außenlager ein, deren Häftlinge auf unter- und oberirdischen Baustellen bei Woffleben und Niedersachswerfen zum Einsatz kamen. Eines von ihnen entstand in der Kleinstadt Ellrich. Für das neue Lager hatte die SS Gebäude der stillgelegten Gipsfabriken Kuhlmann und Juliushütte unmittelbar neben dem Bahnhof beschlagnahmt. Als Unterkünfte für Tausende Häftlinge dienten einige halb verfallene Gebäude ohne Sanitäranlagen und Heizungen. Zum Teil verfügten sie anfangs nicht einmal über Dächer. Auch an Schlafplätzen mangelte es. Das Areal, auf dem die SS weitere notdürftige Unterkünfte errichten ließ, war von einem elektrisch geladenen Zaun und Wachtürmen umgeben. Die Baracken der Wachmannschaft lagen direkt neben dem Lager. Das neue Außenlager erhielt den Tarnnamen „Erich“, später „Mittelbau II“. Zum KZ Buchenwald gehörte das Lager lediglich bis Ende Oktober 1944. Danach wurde es Teil des verselbstständigten KZ Mittelbau. Parallel zum Lager Ellrich-Juliushütte richtete die SS im Norden der Stadt ein zweites, kleineres KZ-Außenlager der SS-Baubrigade IV ein: Ellrich-Bürgergarten.

Die Häftlinge

Die ersten 200 bis 300 Häftlinge trafen am 1. Mai 1944 in Ellrich-Juliushütte ein. Vermutlich kamen sie aus dem Außenlager Dora oder aus Buchenwald. Durch weitere Überstellungen aus Dora, Buchenwald und dem Außenlager Harzungen stieg die Lagerbelegung sehr schnell an. Für Ende Mai 1944 sind bereits rund 1.700 und Ende Oktober 1944 schließlich rund 8.000 Männer im Lager „Erich“ belegt. Die Stadt Ellrich hatte zu diesem Zeitpunkt lediglich etwas mehr als 4.500 Einwohner und Einwohnerinnen. Die große Mehrheit der Männer galt als politische Häftlinge. Gefangene aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich bildeten die größten nationalen Gruppen unter ihnen, gefolgt von Belgiern, Tschechoslowaken, Jugoslawen, Niederländern und vielen weiteren. Die SS besetzte die Funktionsposten im Lager vor allem mit Männern aus der kleinen Gruppe der deutschen Häftlinge. Viele von ihnen waren als „Berufsverbrecher“ Verfolgte. Ende Oktober 1944 befanden sich zudem über 500 jüdische Häftlinge, vor allem aus dem damaligen Ungarn, und über 360 Sinti und Roma im Lager – viele von ihnen noch jugendlich.

„Der Tod setzte seine Arbeit mit alarmierender Regelmäẞigkeit fort. Die Zahl der täglichen Todesfälle stieg von zehn bis fünfzehn im August auf zwanzig bis fünfundzwanzig Ende September.“
Serge Miller
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Ellrich-Juliushütte zählte wie das nahegelegene Außenlager in Harzungen zu den sogenannten Baulagern. Die Häftlinge leisteten auf Baustellen für verschiedene SS-Führungsstäbe körperliche Schwerstarbeit. Die schlimmsten Verhältnisse herrschten in den Stollenbaukommandos, die unterirdische Fabriken für die deutsche Rüstungsindustrie errichten sollten, vor allem für den Junkers-Konzern. In diesen Kommandos waren die meisten Männer eingesetzt. Die Arbeitszeit betrug laut einem SS-Bericht von Juli 1944 täglich 13 Stunden, mit einer nur einstündigen Pause. Beim Stollenvortrieb ohne Sicherheitsvorkehrungen kam es bei den Häftlingen nahezu täglich zu Arbeitsunfällen oder Verletzungen. Zu den Baustellen, die bis zu zehn Kilometer vom Lager entfernt lagen, wurden die Häftlinge in der Regel mit dem Zug gefahren. Durch die lange Arbeitszeit und die Wege zur Arbeit und zurück ins Lager konnten die Häftlinge täglich nur rund fünf Stunden schlafen. Zudem mussten sie beim Ausbau des Lagers und zeitweise für lokale Unternehmen arbeiten.

Krankheit und Tod

Trotz der katastrophalen hygienischen Verhältnisse im Lager, der auszehrenden Zwangsarbeit und zahlreicher Arbeitsunfälle verzichtete die SS zunächst darauf, eine Krankenstation einzurichten. Erst nach einigen Wochen entstand auf dem fensterlosen Dachboden eines der Gebäude ein kleines improvisiertes Krankenrevier. Ab August 1944 kümmerten sich hier u.a. ein Häftlingsarzt und einige Pfleger um die Kranken. Eine echte Versorgung war nicht möglich. Nahezu täglich wurden deshalb kranke oder sterbende Häftlinge in die Krankenstationen in den Außenlagern Harzungen oder Dora überstellt. Erst zur Jahreswende 1944/45 ließ die SS ein größeres Revier errichten. Die Schwerstarbeit, die Gewalt der SS, die hygienischen Verhältnisse und grassierende Infektionskrankheiten forderten bereits nach wenigen Wochen erste Todesopfer. Insgesamt starben zwischen Mai und Ende Oktober 1944 laut den sogenannten Stärkemeldungen der SS mindestens 150 Häftlinge vor Ort im Lager. Diese Zahl stieg im Winter 1944/45 steil an, als das Lager „Erich“ jedoch nicht mehr dem KZ Buchenwald unterstand.

Bewachung

Die Häftlinge des Lagers Ellrich-Juliushütte mussten vor allem bei Bauprojekten zur Untertageverlagerung der Junkers-Flugzeugproduktion arbeiten. Daher bildeten Soldaten der Luftwaffe den Großteil der Wachmannschaft. Ab September 1944 gehörten sie offiziell zur SS. Wie viele Soldaten zur Bewachung des Lagers „Erich“ eingesetzt waren, ist nicht überliefert. Die Buchenwalder SS stellte lediglich einige SS-Männer für die Verwaltung des Lagers und des Arbeitseinsatzes der Häftlinge. Als Kommandoführer des Außenlagers fungierte zunächst SS-Untersturmführer Hans-Joachim Ritz (1923-1998). Der gelernte Bankkaufmann war zuvor im Außenlager Dora eingesetzt gewesen. Auf ihn folgte im August 1944 der für seine Grausamkeit bekannte SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch (1903-1945). Der gelernte Dachdecker trat 1930 in die SS ein und stand seit 1933 im KZ-Dienst, u.a. in Dachau, später in Auschwitz und Flossenbürg. Zuvor hatte er bereits das Kommando im Außenlager Harzungen geführt. Weder Ritz noch Fritzsch wurden nach dem Krieg strafrechtlich belangt.

Übernahme durch das KZ Mittelbau

Am 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager Ellrich-Juliushütte dem neu verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau zugeordnet. Fortan war es kein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mehr. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Lagers befanden sich 8.000 Häftlinge vor Ort. Als Außenlager des KZ Mittelbau existierte das Lager Ellrich-Juliushütte weiter bis zu seiner Räumung im April 1945.

Spuren und Gedenken

Heute gibt es nur noch wenige bauliche Überreste aus dem Lager. Dadurch, dass Ellrich an der deutsch-deutschen Grenze während des Kalten Krieges lag, gab es an beiden Seiten in den 1950er- und 1960er-Jahren Demontagen bzw. Sprengungen. Ein erstes Gedenkzeichen, das auf der östlichen Seite in der Form einer Platte an die französischen Häftlinge erinnerte, wurde bis zum Mauerbau entfernt. Seit 1989 unternahmen Bürger und Bürgerinnen sowie Gedenkinitiativen und die lokalen Behörden Anstrengungen, die noch vorhandenen Spuren freizulegen, zu sichern und zu kennzeichnen sowie das ehemalige Lagerareal als Lern- und Gedenkort zu gestalten: Seit 1989 erinnert ein Gedenkstein an den Ruinen des im Frühjahr 1945 errichteten Krematoriums an die Opfer des Außenlagers, 1994 folgte ein dreisprachiger Gedenkstein auf dem ehemaligen Appellplatz. 2001 brachte der Verein „Jugend für Dora“ die ersten Informationstafeln auf dem Gelände an. Derzeit laufen Arbeiten für eine würdige Gestaltung von zwei im Jahr 2019 in der Nähe des Krematoriums gefundenen Aschengräbern.

Link zum heutigen Standort und zum Standort der Gedenksteine auf GoogleMaps

Kontakt:
KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Ellrich 1944/45. Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt, Göttingen 2009.


Serge Miller, nach 1945
Serge Miller, nach 1945 ©Service Historique de la Défense, 21 P 598 520
„Der Tod setzte seine Arbeit mit alarmierender Regelmäẞigkeit fort. Die Zahl der täglichen Todesfälle stieg von zehn bis fünfzehn im August auf zwanzig bis fünfundzwanzig Ende September.“

Serge Miller

Serge Miller kam am 23. Mai 1917 in Warna im heutigen Bulgarien zur Welt. Seine Familie emigrierte 1926 nach Frankreich und wurde 1931 naturalisiert. 1939 in die französische Armee eingezogen, geriet er im Juni 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er floh und schloss sich 1942 einer Widerstandsgruppe in Südfrankreich an. Die Gestapo nahm Serge Miller Ende Oktober 1943 in Lyon fest und deportierte ihn Ende Januar 1944 nach Buchenwald. Ab Mai 1944 musste er auf den Baustellen im Südharz arbeiten, zunächst im Außenlager in Harzungen, dann in Ellrich-Juliushütte. Auf einem Räumungstransport nach Bergen-Belsen gelang ihm im April 1945 die Flucht. Nach der Rückkehr nach Frankreich arbeitete er als Sekretär in einem Bekleidungsunternehmen in der Nähe von Paris. Serge Miller starb 1989.



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