Nordhausen („Dora“)

28. August 1943 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Ein britischer Luftangriff zerstörte in der Nacht zum 18. August 1943 weite Teile der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Das Rüstungsministerium ordnete daraufhin an, die Produktion der A4-Rakete – von der NS-Propaganda als „Vergeltungswaffe 2“ (V2) bezeichnet – in ein unterirdisches Treibstofflager im Kohnstein bei Nordhausen im Harz zu verlagern. Die Stollen boten eine Fläche von rund 100.000 Quadratmetern. KZ-Häftlinge sollten die Anlage zu einer Raketenfabrik ausbauen. Dem hierfür eingerichteten Außenlager gab die SS den Tarnnamen „Dora“. Die ersten Häftlinge trafen Ende August 1943 am Kohnstein ein. Ein Barackenlager existierte noch nicht. In den ersten Monaten lebten und arbeiteten die Häftlinge untertage. Vier Querkammern dienten als sogenannte Schlafstollen mit vierstöckigen Holzpritschen. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal. Ab Ende 1943 ließ die SS am Südhang des Kohnsteins ein Barackenlager bauen und bis Juni 1944 die Häftlinge schrittweise in das Lager verlegen. Es umfasste 56 Unterkunftsbaracken und zahlreiche Funktionsbauten.
Das Außenlager Dora unterstand bis Ende Oktober 1944 der Verwaltung des KZ Buchenwald. Danach wurde es zum Hauptlager des nun selbstständigen KZ Mittelbau.

Der elektrisch geladene Lagerzaun mit Wachtürmen, 1945 (nach der Befreiung)
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Der elektrisch geladene Lagerzaun mit Wachtürmen, 1945 (nach der Befreiung) ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Blick auf den ehemaligen Appellplatz, den Lagereingang und den Lagerzaun. Dahinter die Gebäude des SS-Bereichs, Sommer 1946. Foto: Franz Becker
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Blick auf den ehemaligen Appellplatz, den Lagereingang und den Lagerzaun. Dahinter die Gebäude des SS-Bereichs, Sommer 1946. Foto: Franz Becker ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Gebäude im ehemaligen Häftlingslager, Sommer 1946. Foto: Franz Becker
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Gebäude im ehemaligen Häftlingslager, Sommer 1946. Foto: Franz Becker ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Getarnter Eingang des Fahrstollens A, 12. April 1945. Foto: John R. Driza (U.S. Army Signal Corps)
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Getarnter Eingang des Fahrstollens A, 12. April 1945. Foto: John R. Driza (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland

Die Häftlinge

Die ersten 107 Häftlinge brachte die SS am 28. August 1943 nach Dora. In den nächsten Wochen und Monaten folgten fast täglich weitere Häftlingstransporte aus Buchenwald. Ende 1943 hatte die SS über 10.000 Häftlinge in den Stollen zusammengepfercht, in der „Hölle von Dora“, wie Überlebende es später nannten. Bis zum Frühjahr 1944 starben fast 3.000 Männer, 3.000 Todkranke schob die SS in andere Lager ab. Als Ersatz stellte die Buchenwalder SS weitere Tausende Häftlinge. Zum Zeitpunkt der Herauslösung des Lagers aus dem KZ Buchenwald befanden sich Ende Oktober 1944 rund 14.000 Häftlinge in Dora.
Die Häftlinge stammten aus fast allen Teilen Europas. Ihre Inhaftierungsgründe waren sehr verschieden. Die größte Gruppe bildeten Gefangene aus Polen, der Sowjetunion und Frankreich, gefolgt von Männern aus dem damaligen Deutschen Reich und Belgien. Weitere kamen u.a. aus Ungarn, der Tschechoslowakei, Italien, Jugoslawien und den Niederlanden. Ab dem Frühjahr 1944 schickte die SS zudem jüdische Häftlinge sowie Sinti und Roma aus Auschwitz über Buchenwald nach Dora. Die meisten von ihnen verlegte die SS nach kurzer Zeit weiter in die Außenlager Ellrich-Juliushütte und Harzungen.

„Ein Block im Tunnel von Dora ist aber ein ganzer Stollen, 200 Meter Stollen im Fels. Da drinnen leben, leiden und sterben 1500 bis 2000 Häftlinge.“
Michel Fliecx
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

In den ersten Monaten mussten nahezu alle Häftlinge körperliche Schwerstarbeit beim Ausbau des Stollens leisten. Gearbeitet wurde abwechselnd in 12-stündigen Schichten. Unter den Schlägen der SS und unzureichend bekleidet stellten die Häftlinge unter anderem einen der beiden Fahrstollen fertig, planierten und betonierten die Böden, verlegten Gleise, zogen Stromkabel und montierten alle Vorrichtungen für die Raketenfabrik. Die hohe Luftfeuchtigkeit, der Lärm, Gesteinsstaub und giftige Dämpfe machten das Atmen zur Qual. Auf das Leben der Häftlinge nahm die SS keine Rücksicht. Zudem arbeiteten Häftlinge im Freien etwa beim Bau des Barackenlagers.
Anfang 1944 begann parallel zum weiteren Stollenausbau die Produktion im Mittelwerk, wie die unterirdische Raketenfabrik hieß. In der Raketenmontage waren durchschnittlich 5.000 Häftlinge eingesetzt, u.a. an Werkbänken und Seite an Seite mit deutschen Zivilbeschäftigten. Neben Raketen wurden später auch Flugbomben, die sogenannte V1, in den Stollen produziert. In der Fertigung gab es bessere Arbeitsbedingungen als auf den Baustellen. Ein Großteil der Häftlinge galt als Facharbeiter. Für die Manager des Werks und die SS hatten sie einen größeren Wert.

Krankheit und Tod

Die Schwerstarbeit, der Hunger und Krankheiten führten zusammen mit den katastrophalen Bedingungen in den „Schlafstollen“ nach einigen Wochen zum körperlichen Verfall. Eine Krankenversorgung gab es in den ersten Monaten so gut wie nicht. Im November 1943 begann die Zahl der Toten steil anzusteigen. In einem Bericht bemerkte ein SS-Arzt im Dezember 1943 die große Zahl „Schwer- und Schwerstkranker“ sowie „Sterbender“ an den Arbeitsplätzen im Stollen. Bis Ende März 1944 starben im Kohnstein nach SS-Zählungen rund 3.000 Häftlinge. 2.000 Todkranke schob die SS im Januar und Februar 1944 in das KZ Lublin-Majdanek ab. Zwei Monate später folgte ein weiterer „Invalidentransport“ mit tausend Häftlingen in das KZ Bergen-Belsen. Nur wenige überlebten. Eine rudimentäre Krankenversorgung ermöglichte erst der Bau des Krankenreviers im Barackenlager. Im September 1944 waren dort neun Häftlingsärzte und neun Häftlingspfleger eingesetzt. Insgesamt sind bis Ende Oktober 1944 für das Außenlager Dora 3.738 Tote dokumentiert. Anfangs wurden die Toten nach Buchenwald gebracht und dort verbrannt. Im Frühjahr 1944 nahm die SS in Dora ein mobiles und im Herbst ein festes Krematorium in Betrieb.

Bewachung

Als Kommandoführer in Dora setzte die Buchenwalder Lagerführung SS-Sturmbannführer Otto Förschner (1902-1946) ein. 1932 war er von der Reichswehr in die SS gewechselt, wo er Karriere machte. Seit Februar 1942 befehligte er die Wachmannschaft im KZ Buchenwald, bevor er das Kommando im neuen Außenlager Dora übernahm. Ende Oktober 1944 wurde er zum ersten Kommandanten des nun selbstständigen KZ Mittelbau. Im Februar 1945 wechselte er in das KZ Dachau. Die Wachmannschaft vor Ort wuchs parallel zum Ausbau des Lagers. Ende Juni 1944 umfasste sie fast 1.000 Männer. Bei vielen handelte es sich um zum KZ-Wachdienst abgeordnete Wehrmachtsoldaten.
1947 fanden in Dachau vor amerikanischen Militärgerichten die sogenannten Dora-Prozesse statt. 24 Angeklagte mussten sich vor Gericht wegen Verbrechen im Außenlager Dora und dem KZ Mittelbau verantworten. Otto Förschner war bereits 1945 wegen Verbrechen im KZ Dachau zum Tode verurteilt worden. Zwischen 1967 und 1970 fand in Essen ein weiterer sogenannter Dora-Prozess gegen drei Angeklagte statt. Darüber hinaus gab es weitere Verurteilungen. Insgesamt wurde aber nur ein Bruchteil der in Dora eingesetzten SS-Männer juristisch belangt.

Verselbstständigung zum KZ Mittelbau

Mit Wirkung zum 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager Dora zusammen mit weiteren Buchenwalder Außenlagern in der Region zum selbstständigen KZ Mittelbau erklärt. Als Hauptlager dieses Lagerkomplexes existierte das Lager Dora weiter bis zur Räumung im April 1945.

Spuren und Gedenken

Nach dem Krieg diente das Barackenlager zeitweise als Unterkunft für Displaced Persons, als Repatriierungslager der sowjetischen Militäradministration und danach bis Sommer 1946 als Aufnahmelager für deutsche Vertriebene. Ab Herbst 1946 folgte der Abriss des Lagers. Nur wenige Gebäude wie das ehemalige Krematorium blieben erhalten. Die Stolleneingänge wurden 1947/48 gesprengt. 1964 nahm die Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau-Dora ihren Betrieb auf. Nach der Wiedervereinigung begann die Neukonzeption der Gedenkstätte. Seit 1995 ist ein Teil der Stollenanlage zugänglich. 2006 wurde in einem neu errichteten Museumsgebäude eine ständige Ausstellung zur Lagergeschichte eröffnet. Heute ist die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora ein europäischer Gedenk- und Lernort und Teil der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Kontakt:
KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2015.

Jens-Christian Wagner (Hg.), Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945. Begleitband zur ständigen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Göttingen 2007.


Michel Fliecx, 1946
Michel Fliecx, 1946 ©Stiftung niedersächsische Gedenkstätten
„Ein Block im Tunnel von Dora ist aber ein ganzer Stollen, 200 Meter Stollen im Fels. Da drinnen leben, leiden und sterben 1500 bis 2000 Häftlinge.“

Michel Fliecx

Michel Fliecx wurde am 25. März 1925 in Metz im Osten Frankreichs geboren. Als Student schloss er sich 1941 der Widerstandsgruppe Vengeance an. Die Gestapo verhaftete ihn im April 1943 in Evreux und deportierte ihn zwei Monate später nach Buchenwald. Über Peenemünde kam er im Oktober in das Außenlager Dora. Bis zum Ende seiner Kräfte musste er in den Stollen im Kohnstein arbeiten. Im April 1944 schob die SS ihn mit anderen Todkranken zum Sterben in das KZ Bergen-Belsen ab. Er zählte zu den wenigen Überlebenden. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich schrieb er auf Bitten seines Vaters einen Bericht über seine Zeit in den Lagern. Über sein Leben danach ist wenig bekannt. Michel Fliecx erhielt verschiedene Ehrungen. Er starb 2007 in Nizza.



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