Kleinbodungen

3. Oktober 1944 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Die Mittelwerk GmbH, die ihr Hauptwerk in den unterirdischen Stollen des Kohnsteins bei Nordhausen betrieb, ließ ab Sommer 1944 aus Platzmangel Außenstellen errichten – eine davon in Kleinbodungen, rund 20 Kilometer westlich von Nordhausen. Dazu nutzte die Mittelwerk GmbH ein stillgelegtes Kaliwerk als Reparaturwerk für die A4-Rakete („V2“). Das neue Außenlager trug den Tarnnamen „Emmi“ und war ein Nebenlager des Lagers Dora. Offiziell unterstand es bis zur Verselbstständigung des KZ Mittelbau Ende Oktober 1944 der Buchenwalder Lagerverwaltung.
Die Häftlinge, die das Werk einrichten mussten, wurden zunächst täglich aus dem Außenlager Dora nach Kleinbodungen gebracht. Ab dem 3. Oktober 1944 dienten zwei dreistöckige ehemalige Lagerhallen vor Ort mit Waschräumen und Küchen sowie Schlafräumen im Obergeschoss als Unterkünfte. In einer der beiden Hallen befand sich zudem das Raketen-Reparaturwerk. Das Lager umgab ein elektrisch geladener Stacheldrahtzaun.

Die Häftlinge

Mit der Gründung des Außenlagers brachte die SS Anfang Oktober 1944 etwa 600 Häftlinge nach Kleinbodungen. Ein sehr großer Teil von ihnen stammte aus dem kurz zuvor aufgelösten Außenlager Friedrichshafen (Bodensee) des Konzentrationslagers Dachau, wo ebenfalls Teile für die A4-Rakete gefertigt worden waren. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Lagers an das neue KZ Mittelbau am 28. Oktober 1944 befanden sich noch 515 Häftlinge in Kleinbodungen. Es handelte sich in erster Linie um politische Häftlinge sowie eine kleine Gruppe von Jungen und Männern, die als Sinti und Roma verfolgt wurden, des Weiteren als „Asoziale“ oder als „Berufsverbrecher“ stigmatisierte Männer. Mehr als die Hälfte der Häftlinge in Kleinbodungen kam aus Polen und der Sowjetunion, kleinere Gruppen aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern. Für die Verwaltung des Lagers setzte die SS 25 meist deutsche Funktionshäftlinge ein, darunter den 32-jährigen Max Lell als Lagerältesten. Der gelernte Krankenpfleger aus Augsburg war als „Berufsverbrecher“ 1943 in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen worden.

Zwangsarbeit

Im Raketen-Reparaturwerk wurden defekte A4-Raketen im Auftrag der Mittelwerk GmbH gelagert und repariert. Durch einen Bahnanschluss am Werk konnten die Waggons mit den defekten Raketen direkt in das Werk gebracht und dort von den Häftlingen entladen, sortiert und zerlegt werden. Bei vielen Häftlingen dürfte es sich um Facharbeiter gehandelt haben, da für die Arbeit bestimmte Kenntnisse als Elektriker, Schlosser, Dreher und Mechaniker vonnöten waren. Aus diesem Grund setzte die SS in Kleinbodungen auch die Häftlinge aus Friedrichshafen ein, die bereits über Erfahrungen bei der Fertigung von Raketenteilen verfügten.

Krankheit und Tod

Über die medizinische Versorgung der Häftlinge ist wenig bekannt. Mindestens drei Häftlinge setzte die SS als Pflegepersonal ein: Belegt sind der Mediziner Ernst Fauß aus Hamburg als Häftlingsarzt und der politische Häftling Willi Usinger aus Niederhausen als sogenannter Revierkapo, dieser war bereits in verschiedenen Außenlagern als Häftlingspfleger tätig. Der 22-jährige Pole Waldemar Kijewski stand ihnen als Pfleger zur Seite. Todesfälle sind für das Außenlager Kleinbodungen für die Zeit der Unterstellung unter das Konzentrationslager Buchenwald nicht dokumentiert.

Bewachung

Als Kommandoführer setzte die SS den SS-Hauptsturmführer Franz Xaver Stärfl (1915-1945) ein. SS-Oberscharführer Wilhelm Dörr (1921-1945) fungierte als sein Stellvertreter. Die Bewachung des Lagers erfolgte durch 40 bis 50 SS-Männer. Die beiden Lagerverantwortlichen gerieten im April 1945 in Bergen-Belsen in britische Gefangenschaft, nachdem sie die Häftlinge des Außenlagers Kleinbodungen auf einem Todesmarsch in das KZ Bergen-Belsen getrieben hatten. Ein britisches Militärgericht verurteilte sie im Herbst 1945 wegen ihrer Verbrechen in Kleinbodungen und auf dem Todesmarsch zum Tode. Am 13. Dezember 1945 wurden sie in Hameln hingerichtet. In den 1960er-Jahren leiteten westdeutsche Staatsanwaltschaften einige Ermittlungsverfahren gegen ehemalige SS-Angehörige des Lagers Kleinbodungen ein, die jedoch zu keinem Ergebnis führten. Ein Bezirksgericht in Gera verurteilte den ehemaligen Lagerältesten Max Lell 1962 zu acht Jahren Gefängnis.

Übernahme durch das KZ Mittelbau

Am 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager Kleinbodungen dem neu verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau zugeordnet. Fortan war es kein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mehr. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Lagers befanden sich 515 Häftlinge vor Ort. Als Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau existierte das Lager in Kleinbodungen weiter bis zur Räumung im April 1945.

Spuren und Gedenken

Kurz nach dem Krieg demontierten die sowjetischen Behörden die Anlagen des Reparaturwerks. Das Gebäude, das als Häftlingsunterkunft diente, wurde Mitte der 1990er-Jahre abgerissen. Heute ist nur noch eine der beiden Werkhallen als Getreidelager erhalten. Im Jahr 2012 initiierte der Gemeinderat in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora die Errichtung einer Gedenkstele mit Informationen zum KZ-Außenlager Kleinbodungen. Sie steht vor dem Dorfgemeinschaftshaus in der Ortsmitte von Kleinbodungen.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort der Gedenkstele auf GoogleMaps

Informationstafel vor dem Dorfgemeinschaftshaus, 2012
Informationstafel vor dem Dorfgemeinschaftshaus, 2012 ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Kleinbodungen („Emmi“), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7, München 2006, S. 316-318.

Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929-1945, Bad Langensalza 2017, S. 394-396.