Dino Burelli kam am 12. Dezember 1920 in Fagagna bei Udine in Norditalien zur Welt. Der Medizinstudent wurde im August 1944 als Mitglied der Partisanengruppe „Osoppo Friuili“ verhaftet und kurz darauf nach Buchenwald deportiert. Im Oktober 1944 brachte ihn die SS zur Zwangsarbeit in das Außenlager Langenstein-Zwieberge. Dino Burelli gehörte zu den kranken Häftlingen, die im April 1945 bei der Räumung des Lagers in Langenstein blieben und dort befreit wurden. Ende Juni 1945 kehrte er in seine Heimat zurück. Dort gründete er eine Familie und arbeitete nach Abschluss seines Studiums als Arzt. Im Alter von 86 Jahren schrieb er seine Erinnerungen an die Haft in italienischer Sprache auf, die 2010, zwei Jahre nach seinem Tod, ins Deutsche übersetzt wurden.
Aus den Erinnerungen von Dino Burelli
Ankunft im Lager
„So wurde ich am 6. Oktober 1944 dem Kommando ,Maifischʼ zugewiesen. Das hieß: Nach zwei Tagen Bahnfahrt in einem geschlossenen Viehwaggon fand ich mich in einer Gruppe von ,Arbeiternʼ wieder, die für ,Maifischʼ eingeteilt waren. […] Dieses Lager war ebenso wie die anderen von einem elektrisch geladenen Stacheldrahtverhau eingezäunt, an dem sich alle achtzig bis hundert Meter ein Wachturm befand. Ein gemauerter Bau rechts vom Eingang diente als Küche und Lebensmitteldepot. Im Wald verteilt waren Holzbaracken, in deren Mitte sich ein großer freier Platz für die Zählappelle sowie Kontrollen verschiedenster Art erstreckte. Ich teilte die für mich bestimmte Lagerstatt in der Baracke Nr. 13 zusammen mit Professor Giulio Smareglia, der in Pula Literatur lehrte […].
Unsere Lagerstatt befand sich in der zweiten Etage einer langen Reihe von Stockbetten: Obwohl es eigentlich nur Platz für einen gab, waren wir dort jeweils zu zweit untergebracht. Später mussten wir uns daran gewöhnen, unsere armselige Schlafstelle mit drei Mann zu teilen. Was mich weitaus mehr erschütterte, war der Anblick der Masse zerlumpter, schlecht riechender Gestalten, mit denen wir zusammengepfercht leben mussten. Ich fühlte mich meiner Menschenwürde beraubt und erlaubte mir, an den Sinn für Ordnung, Reinlichkeit und Anstand zu appellieren. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich mich nach einer Woche in noch schlimmeren Verhältnissen wieder finden würde als die anderen. Ich wurde den Befehlen des Blockältesten unterstellt, der anhand seines grünen Winkels erkennbar zur Kategorie der ,Berufsverbrecherʼ gehörte und zusammen mit zwei anderen dieses Schlages den Stubendienst versah. Ich war vom Regen in die Traufe gekommen.“
Der Alltag der Häftlinge
„Die Tage zogen in immer gleichem Rhythmus vorüber: ,Los, los, beeilt euchʼ, Einmarsch in den Stollen, Beladen der Loren mit Steinen, Herausschieben, Entladen und dann wieder rein und wieder raus unter der Knute des Kapo, der mit Brüllen und Schlägen die ,Zugtiereʼ antreibt, weil er der Meinung ist, die Arbeiten gingen zu langsam voran. So ging das täglich verfluchte dreizehn Stunden lang, unterbrochen von einer halbstündigen Pause, von der ich bereits erwähnte, dass sie nicht zur Esseneinnahme diente, sondern nur dazu, sich auszustrecken und die von scharfkantigen Steinen aufgerissenen Finger abzulecken. Eine Pause, um die Wunden zu betrachten und die Prellungen zu massieren, in der Hoffnung, dass es hilft. […]
Wir konnten das Ende der Arbeitszeit immer kaum erwarten. In den üblichen Fünferreihen kehrten wir zurück: eine Kolonne müder, erschöpfter Männer, die sich taumelnd voranschleppten. Die Widerstandsfähigsten mussten den Schwächeren helfen. Die Kräftigsten luden sich die Toten auf die Schultern, denn beim Appell musste alles stimmen: kein Mann weniger durfte es sein, egal ob lebendig oder tot. Danach suchten alle die Baracken auf, um dort den ,verdientenʼ Lohn abzuholen: eine Suppenkelle voll Brühe, in der – wie einzelne Schiffbrüchige auf hoher See – ein paar Kartoffel- und Karottenstückchen herum schwammen, das Ganze angedickt mit etwas Mehl.“
Kampf gegen den Hunger
„Bei der hektischen Suche nach etwas Essbarem traf ich einen Mitgefangenen, der sich unter dem Namen Abbondanza (dt. Überfluss) vorstellte. Er arbeitete in der Schneiderei der Lagerverwaltung, was ihm die Möglichkeit bot, sich zusätzliche Lebensmittel zu beschaffen. Gemeinsam mit Giulio traf ich mit ihm eine Abmachung gegen Bezahlung: Für jedes Töpfchen Suppe mit dem Kennzeichen ,SSʼ würde ich ihn nach meiner Rückkehr in Italien gebührend entlohnen. Er verlangte 30.000 (Lire) pro Ration, ein wahrer Wucherpreis. Die wenigen Töpfchen, die ich uns auf diese Weise besorgte, konnten natürlich nicht unser Ernährungsproblem lösen. Aber bei Unwetter wird jede kleine Bucht zum Hafen, wie man in Venetien sagt. Dieser Mann kehrte sehr viel früher als ich in die Heimat zurück und war wahrscheinlich davon überzeugt, dass ich unter den vielen Toten auf dem Hügel von Langenstein zurückgeblieben wäre. Er meldete sich bei meiner Mutter und ließ sich sogar mehr als den vereinbarten Preis auszahlen.“
Die Vorarbeiter
„So ließ das Verhalten der Vorarbeiter und Zivilmeister nicht die leiseste Spur von Mitmenschlichkeit erkennen: Für sie existierte nur die Arbeit, die innerhalb der festgesetzten Zeiten zu erledigen war. Alles andere zählte nicht, so dass die SS-Leute im Vergleich zu ihnen – horribile dictu – sogar umgänglicher waren. Letztere versetzten einem gelegentlich Stöße mit dem Kolben des Gewehrs oder der Maschinenpistole, die anderen aber waren richtige Teufel. Mit Fäusten, Ohrfeigen, Fußtritten prügelten sie viele blutig und mehrere fast zu Tode.“
Aus: Dino Burelli, Mama, mir geht´s gut… Ich habe mir nichts getan!, Halle 2010 [Italien 2006], S. 32 ff. (Übersetzung aus dem Italienischen durch Matthias Wolf)