Langenstein-Zwieberge

21. April 1944 – 13. April 1945

Das Lager

Das Vorharzgebiet um Halberstadt geriet im Frühjahr 1944 in den Blick der nationalsozialistischen Rüstungsplaner. In den Thekenbergen, einem Höhenzug nahe der Ortschaft Langenstein, sollten unterirdische Fertigungsstätten zur Verlagerung kriegswichtiger Rüstungsproduktionen entstehen, u.a. für den Flugzeughersteller Junkers. Die Umsetzung des Bauvorhabens mit den Tarnnamen „B 2“ und „Malachit“ lag in den Händen der SS. Im April 1944 richtete die Buchenwalder SS hierfür ein neues Außenlager ein. Die Häftlinge waren zunächst in einem Gasthaus und einer Feldscheune bei Langenstein untergebracht. Rund drei Kilometer entfernt von Langenstein entstand bis Sommer 1944 im Tal bei den Zwiebergen ein neues Barackenlager. Fertig ausgebaut bestand es aus einem großen Appellplatz und rund 30 Baracken, die als Unterkünfte und als Funktionsbauten (Krankenrevier, Küche etc.) dienten. Außerhalb des elektrisch geladenen Lagerzauns war die SS-Wachmannschaft untergebracht. Die offizielle Bezeichnung des Außenlagers lautete „SS-Kommando Malachit, Halberstadt“. Zumeist tauchen in den SS-Unterlagen aber nur die Kürzel „Malachit/Malachyt“ oder „B 2“ auf.

Die Häftlinge

Am 21. April 1944 trafen als Vorauskommando 18 Häftlinge aus Buchenwald in Langenstein ein. Sie errichteten die provisorischen Unterkünfte und fungierten danach als Funktionshäftlinge. Der Bedarf an Arbeitskräften für das Bauvorhaben war groß. Die Buchenwalder SS erhöhte deshalb in kurzer Zeit die Belegung des Lagers massiv. Ende 1944 befanden sich über 3.600 Häftlinge vor Ort. Neben weiteren Transporten aus anderen Außenlagern erreichten im Februar 1945 noch einmal 2.000 Häftlinge aus Buchenwald Langenstein. Hierdurch stieg die Lagerbelegung im März 1945 auf über 5.000. Insgesamt durchliefen in den zwölf Monaten seines Bestehens rund 7.000 Häftlinge das Lager. Die Männer stammten aus allen Teilen Europas – größere Gruppen u.a. aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, Belgien, der Tschechoslowakei und Lettland. Die Inhaftierungsgründe waren sehr verschieden. Mit den Transporten von Anfang 1945 kamen auch jüdische Häftlinge nach Langenstein: die meisten Überlebende der geräumten Lager Auschwitz und Groß-Rosen. Als Lagerältesten setzte die SS den langjährigen deutschen politischen Häftling Hans Neupert ein.

„Die Kräftigsten luden sich die Toten auf die Schultern, denn beim Appell musste alles stimmen: kein Mann weniger durfte es sein, egal ob lebendig oder tot.“
Dino Burelli
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Zwangsarbeit

Neben dem Bau des Barackenlagers setzten im Mai 1944 die Bauarbeiten für das Bauvorhaben „Malachit“ ein. An diesem beteiligten sich zahlreiche Baufirmen. Geplant war eine Stollenanlage mit einer Fläche von 72.000 Quadratmetern. Die meisten Häftlinge befanden sich auf den unterirdischen Baustellen: bei körperlicher Schwerstarbeit ohne jeden Arbeitsschutz. Auf die Gesundheit der Häftlinge nahm die SS keine Rücksicht. Bis zur Erschöpfung mussten sie in acht- bis zwölfstündigen Schichten beim Vortrieb und Ausbau der Stollen arbeiten. Die Mehrheit der Häftlinge war bis zuletzt auf den „Malachit“-Baustellen eingesetzt. Daneben verrichteten zeitweise einige hundert Männer Zwangsarbeit beim Bau eines weiteren Stollens zur Verlagerung eines Zweigwerks des Rüstungskonzerns Krupp (Tarnname „Maifisch“). Anfang 1945 stellte die SS das Arbeitskommando „Malachit A.G.“ auf. Es sollte die Produktion für Junkers in den Stollen aufnehmen. Hierzu brachte die SS sogenannte Produktionshäftlinge u.a. aus den Junkers-Außenlagern Niederorschel und Halberstadt nach Langenstein. Ihre Unterbringung erfolgte in einem abgetrennten Teil des Lagers. Zur Aufnahme der Produktion kam es jedoch nicht mehr.

Krankheit und Tod

Die Schwerstarbeit unter Tage, die unzureichende Ernährung und die schlechten hygienischen Bedingungen in den Unterkünften führten bei vielen binnen Wochen zum körperlichen Zusammenbruch. Im Barackenlager gab es ein Krankenrevier mit mehreren Baracken. Häftlingspfleger und mehrere Häftlingsärzte um den französischen Mediziner Pierre Raine kümmerten sich dort um die Kranken. Ihre Möglichkeiten waren jedoch sehr begrenzt. Im Winter 1944/45 stieg die Zahl der Kranken und Toten steil an. Durchschnittlich wurden täglich mehr als 400 Häftlinge stationär oder ambulant behandelt. Verletzte und Todkranke ließ die Lagerführung zurück nach Buchenwald bringen. Vor Ort starben bis nach der Befreiung mindestens 1.800 Häftlinge. Für die meisten stellten die Ärzte Lungenentzündungen, Phlegmone, Herz- und Kreislaufversagen sowie Magen- und Darmkrankheiten als Todesursachen fest. Belegt sind zudem zahlreiche Hinrichtungen im Lager, etwa nach Fluchtversuchen. Die Toten ließ die SS im Krematorium in Quedlinburg einäschern. Ab März 1945 wurden Hunderte Leichname in Massengräbern außerhalb des Lagerzauns verscharrt.

Bewachung

Die Wachmannschaft vor Ort umfasste zur Höchstbelegung des Lagers Ende Februar 1945 rund 480 SS-Männer. Bei einem Großteil handelte es sich um Angehörige der Luftwaffe, die zur Bewachung des Lagers an die SS überstellt worden waren. Als Kommandoführer fungierte von Mai bis Oktober 1944 zunächst SS-Oberscharführer Paul Tscheu. Über ihn liegen keine weiteren Informationen vor. Überlebende beschrieben ihn als gewalttätig und schilderten seine Beteiligung an Hinrichtungen. Ab November 1944 ist ein SS-Hauptsturmführer namens Hoffmann (vermutlich Wilhelm Hoffmann) als Kommandoführer belegt. Er leitete das Lager bis zur Räumung und begleitete den Todesmarsch der Häftlinge. Leiter des SS-Baustabes für das Vorhaben „Malachit“ war SS-Obersturmführer Wilhelm Lübeck.
Klaus Ferdinand Huels, ein ehemaliges Mitglied der Wachmannschaft, musste sich 1947 vor einem amerikanischen Militärgericht in Dachau verantworten. Er wurde freigesprochen. Strafrechtliche Ermittlungen in der Bundesrepublik wegen Verbrechen in Langenstein-Zwieberge blieben in den 1970er-Jahren ergebnislos.

Räumung

Am 9. April 1945 begann die Räumung des Lagers. Mehrere Tausend Häftlinge trieb die SS in Kolonnen zu je 500 bis 600 Männern in Richtung Nordosten. Die Hauptstrecke führte zunächst nach Dommitzsch in Nordsachsen, dann nach Westen in Richtung Lutherstadt Wittenberg und schließlich nach Norden. Die verschiedenen Kolonnen wurden an unterschiedlichen Orten befreit – eine der letzten Gruppen am 28. April bei Güsen, 40 Kilometer nördlich von Magdeburg. In vielen Fällen setzten sich die SS-Wachen ab und ließen die Häftlinge zurück. Wie viele Häftlinge unterwegs flohen oder ermordet wurden, ist nicht bekannt.
Etwa 1.400 sterbenskranke Häftlinge, darunter einige aus dem Außenlager Halberstadt, blieben im Lager zurück. Am 13. April 1945 erreichten amerikanische Soldaten Langenstein-Zwieberge und brachten den Großteil der Häftlinge in ein Notlazarett nach Halberstadt. Trotz der medizinischen Versorgung starben viele von ihnen in den Tagen und Wochen danach.

Ein Überlebender des Lagers Langenstein-Zwieberge im Notlazarett in Halberstadt, Mitte April 1945. Foto: Bernard Metrick
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Ein Überlebender des Lagers Langenstein-Zwieberge im Notlazarett in Halberstadt, Mitte April 1945. Foto: Bernard Metrick ©United States Holocaust Memorial Museum, Washington
Sanitäter der U.S. Army bringen einen Überlebenden in das Notlazarett in Halberstadt, Mitte April 1945. Foto: Bernard Metrick
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Sanitäter der U.S. Army bringen einen Überlebenden in das Notlazarett in Halberstadt, Mitte April 1945. Foto: Bernard Metrick ©United States Holocaust Memorial Museum, Washington
Befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps)
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Befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps) ©United States Holocaust Memorial Museum, Washington
Befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps)
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Befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps) ©United States Holocaust Memorial Museum, Washington
Zwei befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Links der Franzose Paul Contour. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps)
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Zwei befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Links der Franzose Paul Contour. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps) ©United States Holocaust Memorial Museum, Washington
Befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps)
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Befreite Häftlinge in Langenstein-Zwieberge, Mitte April 1945. Foto: Preston A. Reed (U.S. Army Signal Corps) ©United States Holocaust Memorial Museum, Washington

Spuren und Gedenken

Das Barackenlager wurde nach dem Krieg abgerissen. Heute sind nur noch einige Spuren des ehemaligen Lagers zu sehen. Die Stollenanlage, nach 1945 zunächst wirtschaftlich und danach bis in die 1990er-Jahre militärisch genutzt, ging 1994 in Privatbesitz über. Am Standort der Massengräber, in denen die SS rund 900 Tote verscharren ließ, entstand im September 1949 ein erstes Mahnmal. Die Gestaltung der Massengräber wurde in den Jahrzehnten danach mehrfach verändert. Seit 2011 erinnern Namenstafeln an den Gräbern an die Toten. Seit 1976 gibt es vor Ort eine Gedenkstätte mit einer 2001 neukonzipierten Dauerausstellung. Ein Teil der Stollenanlage ist seit 2005 für Besuchende zugänglich. Heute ist die Gedenkstätte für die Opfer des Konzentrationslagers Langenstein-Zwieberge Teil der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt und bietet zahlreiche Bildungsangebote an.

Link zum heutigen Standort und zum Standort der Gedenkstätte auf GoogleMaps

Kontakt:
Gedenkstätte für die Opfer des KZ Langenstein-Zwieberge
Vor den Zwiebergen 1
38895 Halberstadt OT Langenstein

Namenstafeln an einem der Massengräber, 2024. Foto: Gero Fedtke
Namenstafeln an einem der Massengräber, 2024. Foto: Gero Fedtke ©Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge

Literatur:

Louis Bertrand, Nummer 85250. Konzentrationslager Buchenwald – Außenkommando Langenstein-Zwieberge. Erinnerungen / Témoignage, Halle 2019.

Denise Wesenberg, Langenstein-Zwieberge, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 487-491.


„Die Kräftigsten luden sich die Toten auf die Schultern, denn beim Appell musste alles stimmen: kein Mann weniger durfte es sein, egal ob lebendig oder tot.“

Dino Burelli

Dino Burelli kam am 12. Dezember 1920 in Fagagna bei Udine in Norditalien zur Welt. Der Medizinstudent wurde im August 1944 als Mitglied der Partisanengruppe „Osoppo Friuili“ verhaftet und kurz darauf nach Buchenwald deportiert. Im Oktober 1944 brachte ihn die SS zur Zwangsarbeit in das Außenlager Langenstein-Zwieberge. Dino Burelli gehörte zu den kranken Häftlingen, die im April 1945 bei der Räumung des Lagers in Langenstein blieben und dort befreit wurden. Ende Juni 1945 kehrte er in seine Heimat zurück. Dort gründete er eine Familie und arbeitete nach Abschluss seines Studiums als Arzt. Im Alter von 86 Jahren schrieb er seine Erinnerungen an die Haft in italienischer Sprache auf, die 2010, zwei Jahre nach seinem Tod, ins Deutsche übersetzt wurden.



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