Lützkendorf

14. Juli 1944 – 21. Januar 1945

Das Lager

Die Wintershall A.G. (heute Wintershall Dea) mit Sitz in Kassel war einer der größten Erdölproduzenten in Deutschland und galt während des Zweiten Weltkrieges als kriegswichtiges Unternehmen. 1936 baute das Unternehmen in der kleinen Ortschaft Lützkendorf im Geiseltal, rund 50 Kilometer westlich von Leipzig im heutigen Sachsen-Anhalt, das Mineralölwerk Lützkendorf. Der Ort wurde zwei Jahre später Teil der Gemeinde Krumpa, die heute zur Stadt Braunsbedra gehört. Aufgrund des kriegsbedingten Arbeitskräftemangels setzte die Wintershall A.G. in ihrem Werk ausländische Arbeitskräfte und Zwangsarbeiter ein. Schwere Luftangriffe zerstörten Mitte 1944 weite Teile des Werks, das nun unter Tage verlagert werden sollte. Für die dafür notwendigen Demontage- und Bauarbeiten forderte das Unternehmen KZ-Häftlinge an, die im Juli 1944 eintrafen. Über das Lager ist bisher wenig bekannt. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die Häftlinge in einem Schulgebäude in Braunsbedra und zumindest zeitweise auch im Gasthof Zur deutschen Eiche in Braunsbedra untergebracht waren. Zur Arbeit mussten sie täglich mehrere Kilometer marschieren.

Die Häftlinge

Am 14. Juli 1944 brachte die SS 900 Häftlinge aus Buchenwald nach Lützkendorf bzw. Braunsbedra. Mitte September trafen weitere Häftlinge aus dem Hauptlager ein. Mit 924 Männern erreichte das „Kommando Lützkendorf“, so die offizielle Bezeichnung, nun seine Höchstbelegung. Es handelte sich um politische Häftlinge. Die größte Gruppe stammte aus der Sowjetunion, die übrigen Männer kamen unter anderem aus Polen, Belgien, Frankreich, der Tschechoslowakei und dem Deutschen Reich. Um rücküberstellte Häftlinge zu ersetzen, brachte die SS später auch vereinzelt jüdische Häftlinge nach Lützkendorf. Nachdem der Großteil der Arbeiten abgeschlossen war, schickte die SS ab November 1944 größere Gruppen von Häftlingen zurück nach Buchenwald. Ende November 1944 befanden sich noch 366 Männer im Lager. Sie blieben bis Ende Januar 1945 vor Ort und wurden dann geschlossen in das KZ Mittelbau überstellt. Bis zur Auflösung des Lagers sind 21 Fluchten und Fluchtversuche belegt.

„Man erzählte uns, dass wir in einer anderen Brabag-Benzinfabrik zu arbeiten hätten.“
Gyula (Julius) Jambor
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Zwangsarbeit

Die Häftlinge wurden hauptsächlich zu unterschiedlichen Bau- und Demontagearbeiten auf dem Gelände des Mineralölwerks eingesetzt. Sie demontierten beispielsweise Anlagen für die Benzingewinnung oder räumten nach Luftangriffen auf. In Stöbnitz, einem Nachbarort von Braunsbedra, mussten sie zudem in einer alten Ziegelei mit angrenzender Lehmgrube Schacht- und Maurerarbeiten ausführen. Alle Häftlinge des Außenlagers in Lützkendorf galten als Hilfsarbeiter. Ab November wurde durchgängig in zwölfstündigen Tagschichten, ohne freie Tage, gearbeitet – der zuvor noch eingeräumte arbeitsfreie Sonntag war gestrichen.

Krankheit und Tod

Um die medizinische Versorgung vor Ort kümmerten sich der belgische Häftlingsarzt Albert Mattez und der französische Häftlingspfleger Adolphe Lang – überwacht durch einen SS-Sanitäter namens Kalies und einen Vertragsarzt der Wintershall A.G., Dr. Hübner. Durchschnittlich befanden sich ein Dutzend Häftlinge in stationärer und etwa 70 Häftlinge in ambulanter Behandlung. Rücküberstellungen von Kranken, die als „arbeitsunfähig“ galten, in das Hauptlager Buchenwald waren üblich. Sie wurden mit Lastwagen transportiert. Im Außenlager Lützkendorf gab es bis zur Auflösung des Lagers mindestens 29 Tote. Die meisten von ihnen kamen bei Luftangriffen ums Leben oder starben an den Folgen ihrer Verletzungen.

Bewachung

Als Kommandoführer in Lützkendorf fungierte SS-Untersturmführer Bergmaier. Sehr wahrscheinlich handelte es sich um Fritz Bergmaier (1920-1984), der im Dezember 1944 in gleicher Funktion in das Außenlager Meuselwitz wechselte. Wer sein Nachfolger in Lützkendorf wurde, ist nicht bekannt. Für die Bewachung des Lagers und der verschiedenen Arbeitsorte unterstanden ihm zeitweise bis zu 100 SS-Männer. Nachweislich waren dies zum Teil sogenannte volkdeutsche SS-Freiwillige, unter anderem aus Ungarn. Zu einer gerichtlichen Ahndung der Vorgänge im Außenlager Lützkendorf kam es nicht. Eine Überprüfung des Lagers durch die Zentrale Stelle in Ludwigsburg in den 1970er-Jahren blieb ergebnislos.

Räumung

Nachdem die letzten 363 Häftlinge des Außenlagers Lützkendorf für die Arbeiten vor Ort nicht mehr benötigt wurden, brachte die SS sie am 23. Januar 1945 in das KZ Mittelbau, um sie dort weiter als Zwangsarbeiter auszubeuten.

Spuren und Gedenken

Nach Kriegsende nahm die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Produktion im Mineralölwerk Lützkendorf wieder auf. 1948 wurde das Werk in den VEB Mineralölwerk Lützkendorf, Krumpa und ab 1990 in die ADDINOL Mineralöl GmbH Lützkendorf umgewandelt. Ab 1996 begann der Abriss des Werkes. Spuren des Außenlagers oder Erinnerungszeichen gibt es vor Ort keine.

Literatur:

Manfred Grieger, Rainer Karlsch u. Ingo Köhler, Expansion um jeden Preis. Studien zur Wintershall AG zwischen Krise und Krieg, 1929-1945, Frankfurt am Main 2020, S. 216-231.


„Man erzählte uns, dass wir in einer anderen Brabag-Benzinfabrik zu arbeiten hätten.“

Gyula (Julius) Jambor

Gyula Jambor kam am 10. Juli 1912 in Budapest in einer jüdischen Familie zur Welt. Nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn wurde der Rechtsanwalt Anfang Mai 1944 verhaftet. Im Juni brachte ihn die SS über Auschwitz nach Buchenwald und von dort zunächst in das Außenlager nach Magdeburg-Rothensee. Ab Oktober 1944 musste er in Lützkendorf Zwangsarbeit für die Wintershall A.G. leisten. Er war einer der wenigen jüdischen Häftlinge im Lager. Bei einem Bombenangriff gelang ihm Anfang April 1945 die Flucht aus der Boelcke-Kaserne in Nordhausen, einem Außenlager des KZ Mittelbau. Über sein Leben danach ist wenig bekannt. Er nannte sich fortan Julius, schrieb 1946/47 seine Erinnerungen an die Haft nieder und emigrierte in die USA, wo er als Arzt arbeitete. Julius Jambor starb 1986 in New York.



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