Meuselwitz (Frauen)

5. Oktober 1944 – 12. April 1945

Das Lager

Im Zuge der Kriegsvorbereitung baute die Hugo-Schneider AG (HASAG) aus Leipzig ab 1936 am östlichen Stadtrand von Meuselwitz eine stillgelegte Porzellanfabrik zu einem Rüstungswerk aus. Die Betriebsverwaltung lag in Gebäuden an der Ringstraße, heute Heinrich-Heine-Straße. Links und rechts der heutigen Nordstraße erstreckte sich entlang eines Gleisanschlusses das umzäunte Werk mit Produktionshallen und einem Barackenlager. In diesem brachte die Werksleitung ab Oktober 1944 zunächst weibliche KZ-Häftlinge unter, die sie von der SS angefordert hatte. Zum Frauenlager gehörten sechs der insgesamt zehn Baracken sowie einige Nebengebäude. Jede der Baracken wurde mit 200 Frauen belegt. Das Lager war umzäunt und hatte ein Eingangstor. Der kurze Weg zu den Werkhallen und das hermetisch geschlossene Areal aus Werkhallen und Lager minimierten Kontakte zur Stadtbevölkerung. Unmittelbar neben dem Frauenlager richtete die HASAG im November 1944 zusätzlich ein Außenlager für männliche KZ-Häftlinge ein.

Die Häftlinge

Schon im Februar 1944 bildeten Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus den deutsch besetzten Ländern die Mehrheit der über 3.000 Beschäftigten des HASAG-Werks in Meuselwitz. In den ursprünglich für ihre Unterbringung errichteten Baracken brachte die SS am 5. Oktober 1944 die 1.497 Frauen unter, die an diesem Tag aus dem KZ Ravensbrück eintrafen. Mehr als acht von zehn waren Polinnen. Viele stammten aus Warschau. Von dort waren sie im August 1944 bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes über Auschwitz nach Ravensbrück verschleppt worden – die Jüngsten unter ihnen erst 12 Jahre alt. Dennoch galten sie als volle Arbeitskräfte. 200 Frauen und Mädchen aus der Sowjetunion, von der Gestapo verhaftete Zwangsarbeiterinnen sowie eine Gruppe kriegsgefangener Rotarmistinnen, bildeten die zweite große Gruppe. Zum Transport gehörten außerdem acht Luxemburgerinnen, eine Litauerin und eine deutsche Politische. Im Februar 1945 schickte die SS als Ersatz für gestorbene Frauen 18 Ungarinnen, überwiegend Jüdinnen und einzelne Romnja, nach Meuselwitz.

„Wenn ich einschlafe, droht mir der Tod. Wenn ich mich auch nur an die Kiste lehne, werde ich bestraft. Ich fürchte mich so vor der Prügelstrafe.“
Maria Kosk
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Zwangsarbeit

Die Frauen mussten elf Stunden im Werk arbeiten, mindestens ein Drittel von ihnen auch sonntags. Von der Werksleitung als „Hilfsarbeiterinnen“ eingeteilt, bedienten sie Drehbänke und Schleifmaschinen bei der Herstellung von Zündern für die Handfeuerwaffe „Panzerfaust“ und 2-cm-Flak-Munition. Bei der Zwangsarbeit überwacht, kontrolliert und brutal angetrieben, wurden Fehler oder unkonzentriertes Arbeiten der Frauen notiert und im Lager mit der Prügelstrafe geahndet. Allein im Monat Januar 1945 leisteten die Frauen unter diesen Bedingungen 34.700 Tagwerke, für die die HASAG 139.000 Reichsmark an die SS abführte. Neben der Arbeit im Werk waren kleinere Gruppen ehemaliger Rotarmistinnen im Stadtgebiet eingesetzt: sie räumten Trümmer, gruben unter Lebensgefahr Blindgänger aus und bauten Bunker. Im Dezember 1944 führte die SS im Außenlager Meuselwitz ein Prämiensystem ein, um die Produktivität der Frauen zu erhöhen.

Krankheit und Tod

Bei einem Luftangriff am 30. November 1944 explodierte ein Munitionsdepot neben dem Lager. Die ohnehin improvisierte, primitive hygienische Ausstattung des Lagers brach danach vorübergehend zusammen. Es herrschte akuter Wassermangel, Waschen war nur im Freien möglich, es gab keine Badegelegenheit. Kopf- und Kleiderläuse breiteten sich aus, auch die durch die extreme Unterversorgung mit Nahrung begünstigten Krankheiten: Tuberkulose, Typhus und Diphtherie. Körperliche Erschöpfung und Wundrose waren häufige Krankheitsbilder. Die Krankenstation im Lager befehligte der SS-Sanitäter Anton Schwanderlik. Die Totenscheine stellte der Vertragsarzt vor Ort, Dr. Güthert, aus. In der Krankenstation des Frauenlagers arbeiteten die Häftlingsärztin Jelena Malachowa und drei Pflegerinnen. Im Januar 1945 schob die SS 16 schwangere Polinnen in das KZ Ravensbrück ab. Bei und nach dem Luftangriff vom 30. November 1944 kamen 41 Frauen ums Leben, 80 Verwundete brachte die SS zurück nach Ravensbrück. Weitere sieben Frauen starben an den Folgen von Zwangsarbeit und Auszehrung. Die Toten wurden auf dem Friedhof in Altenburg beerdigt.

Bewachung

Das Kommando des Außenlagers führte bis Ende November 1944 SS-Oberscharführer Heinz W. Blume (geb. 1913). Nach dem Luftangriff wurde er von SS-Untersturmführer Fritz Bergmaier (1920-1984) abgelöst, der zuvor im Außenlager Lützkendorf tätig gewesen war. Blume blieb als 2. Kommandoführer und Arbeitsdienstführer vor Ort. Die Wachmannschaft für das Frauen- und das benachbarte Männerlager umfasste im März 1945 69 SS-Männer. Hinzu kamen 33 SS-Aufseherinnen unter der Oberaufseherin Erna Richter, die die Frauen im Lager und bei der Arbeit kontrollierten und schikanierten. Im Lager herrschte ein brutales Strafregiment mit Essensentzug, öffentlicher Prügel mit einem Gummischlauch und Kahlscheren von Frauen.
Ein amerikanisches Militärgericht in Dachau verurteilte Blume 1947 wegen Verbrechen während eines Todesmarschs zum Tode. Die Strafe wurde zu einer Haftstrafe umgewandelt. Fritz Bergmaier und die Aufseherinnen gingen straffrei aus. Ein deutsches Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen in Meuselwitz begangener Verbrechen blieb 1973 ergebnislos.

Räumung

Am 4. April 1945 brachte die SS 618 Frauen aus dem geräumten Außenlager in Sömmerda nach Meuselwitz. Damit befanden sich 2.000 Frauen und 330 Männer in den beiden Meuselwitzer Lagern der HASAG. Die Räumung durch die SS begann am 12. April. Direkt vom Gleisanschluss im Werk fuhren die Gefangenen in vollgestopften, offenen Güterwaggons in Richtung Chemnitz ab. Bei Most im heutigen Tschechien geriet der Zug in einen Fliegerangriff; es gab Tote und Verwundete. Einige flohen, doch die SS-Männer, die Aufseherinnen und sudetendeutsche Hitlerjugend trieben die Häftlinge wieder zusammen. Der folgende Fußmarsch im Bereich der tschechisch-deutschen Grenze forderte ungezählte Opfer. Eine der Marschgruppen wurde erst am 8. Mai 1945 von der Roten Armee befreit.

Spuren und Gedenken

Nach Kriegsende demontierte die sowjetische Besatzungsmacht das HASAG-Werk. 1947 wurden die durch Kriegseinwirkung stark beschädigten Hallen gesprengt. Die Baracken des Lagers dienten zunächst als Umsiedlerlager und blieben fast sechs Jahrzehnte bewohnt. Während der Jahre der DDR gab es keinen Erinnerungsort für das Außenlager Meuselwitz. Erst 1996 fand eine erste Gedenkveranstaltung mit überlebenden Frauen statt. 2005 setzte die Stadt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei einen Gedenkstein an der Zufahrtsstraße. 2009 ließ sie die von Bewohnern verlassenen, baufälligen Baracken abreißen und eine Baumpflanzung anlegen, in der sich seitdem ein Gedenkort befindet. Vom ehemaligen Außenlager existiert noch ein Pfeiler des Lagertors. Auf dem Friedhof Altenburg, wo die Toten des Außenlagers beerdigt worden sind, gibt es seit Oktober 2002 Gedenkstelen mit den Namen.

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Gedenkstein an der Kreuzung Altenburger Straße/Weinbergstraße in Meuselwitz, 2022. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstein an der Kreuzung Altenburger Straße/Weinbergstraße in Meuselwitz, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstein an der Kreuzung Altenburger Straße/Weinbergstraße in Meuselwitz, 2022. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstein an der Kreuzung Altenburger Straße/Weinbergstraße in Meuselwitz, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Irmgard Seidel, Meuselwitz (Frauen), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 523-526.


Maria Kosk, 1944
Maria Kosk, 1944 ©Gedenkstätte Buchenwald
„Wenn ich einschlafe, droht mir der Tod. Wenn ich mich auch nur an die Kiste lehne, werde ich bestraft. Ich fürchte mich so vor der Prügelstrafe.“

Maria Kosk

Maria Kosk wurde am 3. Mai 1930 als Maria Brzęcka im polnischen Łobżenica geboren. Mit ihrer Mutter und den Schwestern Halina und Krystyna lebte sie 1944 in Warschau. Ihr Vater war seit Kriegsbeginn verschollen. Mit 14 Jahren erlebte sie, wie die deutschen Besatzer im Sommer 1944 den Warschauer Aufstand niederschlugen. Wie einen Großteil der Bevölkerung, deportierte die SS auch die Familie Brzęcka nach Auschwitz. Über das KZ Ravensbrück gelangten die vier Frauen nach Meuselwitz. Die Mutter und ihre Schwester Krystyna kamen nach dem Luftangriff schwer verletzt in das KZ Ravensbrück. Maria und Halina überstanden das Außenlager und den Todesmarsch. Nach Kriegsende wurde Maria Brzęcka Architektin, gründete eine Familie und lebte bis zu ihrem Tod 2013 in Warschau.



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