Albert van Dijk

(1924-2021)

Albert van Dijk, um 1942
Albert van Dijk, um 1942 ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Albert van Dijk kam am 5. Juli 1924 im niederländischen Kampen zur Welt. Er absolvierte eine kaufmännische Ausbildung. Nachdem er sich an anti-deutschen Krawallen in seiner Heimatstadt beteiligt hatte, wurde er im November 1942 zur Zwangsarbeit nach Allendorf bei Marburg deportiert. Nach einer misslungenen Flucht kam er im Januar 1943 in das KZ Buchenwald. Ein Jahr später schickte ihn die SS in das Außenlager Dora und von dort nach Nüxei, wo er bis zur Räumung des Lagers blieb. Er floh von einem Todesmarsch, kehrte in seine Heimat zurück, gründete eine Familie und arbeitete bis zur Pensionierung im Verwaltungsdienst. Albert van Dijk starb 2021 in Kampen.





„Im Laufschritt wurde mit Schubkarren die Erde abgetragen. Die Häftlinge brachen zusammen unter der Last der herangetragenen Eisenbahnschwellen und Schienen. Sie wurden wieder hochgerissen und schleppten ächzend weiter.“

Aus den Erinnerungen von Albert van Dijk

Das Lager
„Das Lager Nüxei bestand aus zwei Baracken, einer Schlaf- und einer Aufenthaltsbaracke. Das Lagergelände war quadratisch, etwa 50 x 50 Meter im Geviert, umgeben von einem nicht elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun und versehen mit vier Wachtürmen an jeder Ecke. Jeder Turm war mit einem Posten besetzt, der bewaffnet war mit einem Karabiner und einem leichten Maschinengewehr sowie einem Scheinwerfer. Das Grundstück, auf dem das Lager errichtet worden war, gehörte zum Landwirtschaftsbereich des Landwirts Wilhelm Walter, dessen Wohnhaus sich gegenüber befand. [...] In der Schlafbaracke waren dreistöckige hölzerne Bettgestelle errichtet, für eine Gesamtzahl von etwa 300 Häftlingen berechnet. Zwar gab es in jedem Schlafplatz einen Strohsack, aber auf drei Häftlinge nur eine Decke.

Die Aufenthaltsbaracke bestand aus zwei Abteilen: die eine Hälfte für die Häftlinge, die andere für den grünen Lagerblockältesten mit seinem ‚Burschen‘, in dessen Abteil auch das Lebensmittelmagazin war. Beiden Letzterwähnten oblag die Aufrechterhaltung der Ordnung im Lager sowie die Versorgung der Lagerinsassen mit den Essenportionen, die sie selbst verteilten. Uns, gewöhnlichen Häftlingen, hatte man es längst abgewöhnt zu protestieren gegen ungerechte Verteilung der Essensportionen. Die Brotrationen mit Belag und die warme Abendsuppe wurden per LKW aus Wieda herangeführt und nach dem Abendappell ausgegeben. Im Lager gab es keine sanitären Einrichtungen. Später wurde eine kleine Latrinenbaracke nebenbei gebaut. Wasser wurde in einer Art Behälter auf einem Karren aus einem Brunnen im Walde herangeführt. Das Wasser war untauglich zum Trinken und durfte nur benutzt werden zum Spülen des Essgeschirrs. Der Gebrauch zur Körperpflege war verboten, so dass in kürzester Zeit die Häftlinge verschmutzt und verlaust waren. Gelegentlich wurden sie zu einem Fischteich zum Baden geführt.“

Wachmannschaft
„Unmittelbar neben dem Gelände des Häftlingslagers lag die Baracke der Bewachungsmannschaft, ältere Wehrmachtsangehörige in Uniformen der Flak, mit weißen Vögeln auf den Kragenspiegeln. Die Kommandantur bestand aus einem Hauptmann und seinem Spieß (Oberfeldwebel), die Wachmannschaft aus etwa zwei Dutzend älteren Soldaten, die zum Frontdienst nicht mehr taugten.“

Zwangsarbeit
„Am ersten Tage, vor Arbeitsbeginn, hatte der Oberfeldwebel des Lagerkommandanten eine Ansprache gehalten. Ich war in eine Schiebkarrenkolonne eingeteilt. In dem unebenen Terrain musste ein Hang bis auf Bodenniveau abgegraben werden. Der Boden war hart und steinig und musste erst mit der Spitzhacke gelöst werden. Ich will mich erst umsehen und auf die Arbeitsbedingungen einstellen. Vorerst muss ich jedoch in Bewegung bleiben …

Da die Baustelle sich über mehrere Kilometer erstreckte, konnte der Zivilist, der lauthals die Bauüberwachung wahrnahm, nicht überall sein. Durch sein Geschrei kündigte er sein Herannahen schon von Weitem an. Die Wachsoldaten bemühten sich nicht um den Fortgang der Bauarbeiten. Ja, sie arbeiteten uns sogar zu und warnten bei seinem Herannahen uns ermutigend: ‚Bewegt euch, bewegt euch!‘ Sobald der Oberfeldwebel zur Inspektion der Wachmannschaften ankam und stehenblieb, um nach der Arbeitsleistung der Gefangenen zu sehen, begannen die französischen Kameraden auf den deutschen Boden loszuschlagen. […]

Ich wurde eingestellt als Lokheizer. Der Lokführer hieß Johann Fortner und kam aus Peissenberg bei München. Er sagte mir, wenn ich meine Arbeit anständig machte, so bekäme ich es gut bei ihm, wenn nicht, so flöge ich raus. Als Heizer machte ich meine Arbeit freudig und zur Zufriedenheit des Meisters und gar darüber hinaus. Denn ‚unsere‘ U-Boot-Lok, auf die der Meister stolz war und die er mehr lieb hatte als seine eigene Frau, glänzte vom Putzen. Der Meister lehrte mich bremsen, heizen, speisen, fahren, Röhre stoßen, kleine Reparaturen machen und so weiter und hatte Spaß an mir. Er selbst hatte, so erzählte er mir, einen Sohn gleich alt wie ich, der an der Front schwer verletzt war und fürs Leben nicht mehr arbeitsfähig sein würde Auch hatte er drei Töchter, und die eine hieß Rose. ‚Wenn du deine Strafe verbüßt hast, kommst du zu mir und ich mache einen guten Lokführer aus dir‘, sagte er zu mir. Über das KZ sprachen wir nie und bei der Arbeit sollte ich fast vergessen, dass ich ein Häftling war. Öfter ließ er mich allein und manchmal hatte ich Gelegenheit zu fliehen, aber in Buchenwald und Dora hatte ich oft genug gesehen, wie das ausging, mit Bock und Galgen. […]

Glaubten wir anfänglich, in ein Erholungslager gekommen zu sein, schon bald genug stellte sich heraus, dass wir uns geirrt hatten. Die Bauleitung verlangte eine Beschleunigung des Baus der neuen Eisenbahnlinie, einer Entlastungsbahn für den Transport der im ‚Mittelwerk Dora‘ auf Höchsttouren drehenden Produktion der V2-Raketen. Der Bau der Eisenbahn musste in einem unvorstellbaren Tempo durchgeführt werden, und machte große Erdbewegungsarbeiten erforderlich, die mit primitiven Gerätschaften ausgeführt werden mussten … Im Laufschritt wurde mit Schubkarren die Erde abgetragen. Die Häftlinge brachen zusammen unter der Last der herangetragenen Eisenbahnschwellen und Schienen. Sie wurden wieder hochgerissen und schleppten ächzend weiter. Aber die Werkmeister forderten höhere Leistung an; das Arbeitstempo wurde maßlos gesteigert. Die Häftlinge, die durch die monatelange schwere körperliche Arbeit und den ständigen Aufenthalt in den Stollen sehr geschwächt waren, konnten die an sie gestellten Forderungen nicht erfüllen. Die Zivilisten machten die Kapos und Vorarbeiter verantwortlich, die mit beispielloser Brutalität auf sie einschlafen, bis sie zusammenbrachen.“

Kontakt mit Ostarbeiterinnen
„Abends nach der Rückkehr ins Lager, dem Abendappell und den Verzehr unserer Rationen machten wir Bekanntschaft mit den ukrainischen Mädchen, die in dem Haus neben dem Kamp wohnten. Sie waren sogenannte Ostarbeiterinnen, die als Landarbeiterinnen auf dem Landgut von Wilhelm Walter dienstverpflichtet waren. Die Mädchen kamen dicht an den Stacheldraht, die Bewachung ließ sie gewähren. Sie fragten uns, von wo wir kamen, und erzählten, dass das Lager erst neulich errichtet worden war und wir die ersten Bewohner wären. Zuvor waren nicht solche Gefangenen wie wir dagewesen, und die waren in der Scheune des Landgutes untergebracht gewesen. Diese Gefangenen, die einige Tage vor unserer Ankunft abgezogen wurden, hatten ein Stück Wald gefällt. Nach Ablauf ihres Tageswerks auf der Baustelle hätten sie auf den Äckern des ‚Landwirts‘ Wilhelm Walter weiterarbeiten müssen. Eines Tages wären zwei Gefangene geflohen – Francuski, so erzählten die Mädchen. Die ganze Bevölkerung der Umgebung hatte an der Treibjagd nach den entflohenen Gefangenen teilgenommen, die – so wurde erklärt – gefährliche Terroristen wären. Ob die Flüchtlinge ergriffen wurden, wussten die Mädchen nicht. Jedenfalls waren sie nicht zurückgekehrt.“

Aus: Erinnerungsbericht von Albert van Dijk, undatiert. (KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora)