Torgau (Frauen)

4. September 1944 – 10. April 1945

Das Lager

Seit 1908 existierte in Torgau an der Elbe eine Munitionsanstalt der Reichswehr, kurz Muna. 1934 in Heeresmunitionsanstalt umbenannt und ausgebaut, war sie eine von über 300 Munitionsanstalten im Deutschen Reich, in denen die Wehrmacht Munition produzierte und lagerte. In der weitläufigen Munitionsanstalt westlich des Torgauer Stadtzentrums wurden bereits in den ersten Kriegsjahren Kriegsgefangene sowie ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Ab September 1944 kamen weibliche KZ-Häftlinge hinzu. Berichten zufolge waren sie in einem schon vorhandenen Lager untergebracht. Es bestand aus einem Steingebäude mit mehreren Räumen und Holzbaracken – ausgestattet mit mehrstöckigen Betten. Zum umzäunten Lager gehörten zudem ein Krankenrevier, eine Küchenbaracke, eine Schneiderei und Waschräume. Die Wohnbaracken der SS-Wachmannschaft befanden sich auch innerhalb des Stacheldrahtes. Täglich mussten die Frauen rund 15 Minuten vom Lager zu ihren Arbeitsorten marschieren.

Die Häftlinge

Die SS brachte am 4. September 1944 insgesamt 500 Frauen und Mädchen aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück nach Torgau. Sie alle galten als politische Häftlinge und waren erst kurz zuvor aus Frankreich nach Ravensbrück deportiert worden. Der Großteil von ihnen stammte aus Frankreich. Hinzu kamen je drei Amerikanerinnen, Engländerinnen und Schweizerinnen, je zwei Italienerinnen und als staatenlos Geltende, je eine Belgierin, Dänin und Polin sowie eine Frau aus der Sowjetunion. Die 500 Frauen blieben nicht lange in Torgau. Anfang Oktober schickte die SS die Hälfte von ihnen in das Frauenaußenlager Abteroda. Die übrigen kehrten nach Ravensbrück zurück. Nach Berichten französischer Überlebender erfolgte die Verlegung aus Torgau aufgrund ihrer Weigerung, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Die SS führte an, die Frauen seien zu schwach und ungeeignet für die Arbeit. Erst Mitte November 1944 trafen als Ersatz 250 Jüdinnen in Torgau ein. Die Frauen und Mädchen im Alter von 16 bis 44 Jahren kamen aus Ungarn und den von Ungarn seit 1939 annektierten Grenzregionen. Mit ihren Familien waren sie im Frühjahr 1944 nach Auschwitz deportiert und von dort zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. Die meisten blieben bis zur Befreiung in Torgau.

„Die Mädchen, die in der Fabrik arbeiteten, hatten nicht so viel Glück wie wir. Viele von ihnen wurden sehr dünn und ihre Haut wurde gelb. Sie sahen alle müde aus.“
Virginia d’Albert-Lake
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Zwangsarbeit

Die Frauen mussten in unterschiedlichen Abteilungen der Heeresmunitionsanstalt Zwangsarbeit leisten. Der Großteil scheint in der Fertigung und in der Füllanlage gearbeitet zu haben. Dort befüllten sie Bomben und Munition mit Sprengladungen oder säuberten Blindgänger – extrem gesundheitsschädliche Arbeiten. Als Schutz erhielten die Frauen lediglich Gummischürzen und Handschuhe. Ihre Gesichter gerieten jedoch in direkten Kontakt mit den giftigen Sprengstoffen. Diese verätzten die Lunge und verfärbten Haut und Haare. Ein Teil der Frauen war zudem in der Küche und zur Arbeit im Barackenlager eingesetzt. Die Frauen in der Fabrik arbeiteten in Tag- und Nachtschichten gemeinsam mit deutschen zivilen Meistern und deutschen Arbeitern, teilweise auch an Sonntagen. Im März 1945 soll es wiederholt zu Produktionsausfällen gekommen zu sein.

Krankheit und Tod

Im Lager gab es eine Krankenstation, über die jedoch keine weiteren Informationen vorliegen. Für die Versorgung der Kranken waren ein SS-Sanitäter namens Klotz und ein Werksarzt der Heeresmunitionsanstalt zuständig. In beiden Häftlingsgruppen befanden sich mit Maria de Pedretti aus Paris und Renee Markovits aus Oradea ausgebildete Ärztinnen. Vermutlich setzte die SS sie in Torgau als Häftlingsärztinnen ein. Im März 1945 – dem einzigen Monat, für den Zahlen vorliegen – galten offiziell durchschnittlich pro Tag zehn Frauen als krank. Belegt ist zudem, dass zwei Französinnen aus unbekannten Gründen zeitweise im Krankenhaus von Dommitzsch, nördlich von Torgau, behandelt wurden. Zwei Französinnen starben in Torgau. Als Todesursachen vermerkte die SS bei beiden eine Grippeerkrankung. Ihre Leichname ließ sie auf dem evangelischen Friedhof in Torgau beisetzen.

Bewachung

Als Kommandoführer setzte die SS in Torgau SS-Oberscharführer Karl Weinhold ein. Er war zuvor Stabsfeldwebel in der Wehrmacht gewesen. Mit seiner Abkommandierung nach Torgau wurde er in die Waffen-SS übernommen. Ihm unterstand eine Wachmannschaft von bis zu 25 SS-Aufseherinnen und sieben SS-Männern. Die Aufseherinnen, bereits Anfang September in Torgau angeworben, erhielten im KZ Ravensbrück eine Kurzausbildung als Aufseherinnen.
Ermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg gegen Karl Weinhold – von den Amerikanern nach dem Krieg zeitweise inhaftiert – führten später zu keinem Ergebnis. Er starb 1966. Die ehemalige Aufseherin Marie Drost wurde im September 1945 in Torgau festgenommen. Sie verbrachte mehrere Jahre in verschiedenen sowjetischen Speziallagern. Das Landgericht Chemnitz verurteilte sie 1950 wegen der Misshandlung von Häftlingen in Torgau zu 15 Jahren Zuchthaus.

Befreiung

Am 26. April 1945 trafen amerikanische und sowjetische Truppen in Torgau ein. In den Tagen zuvor hatte sich die Wachmannschaft des Außenlagers bis auf den Kommandoführer abgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt bekamen die rund 250 Frauen keine Verpflegung mehr. Aus Angst vor der Bevölkerung blieben sie bis zur Ankunft der Amerikaner im Lager. Gemäß der Vereinbarungen zwischen den Alliierten übernahm die Rote Armee kurz darauf das befreite Lager, das viele der Frauen nun verließen. Die Wege der Befreiten gestalteten sich sehr unterschiedlich. Manche Frauen schlugen sich nach Leipzig durch, wo sie von amerikanischen Truppen versorgt wurden. Andere kamen später im displaced persons camp in Eilenburg unter. Eine kleine Gruppe marschierte in Richtung Berlin.

Spuren und Gedenken

Sowjetische Truppen nutzten das Gelände der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt Torgau bis Anfang der 1990er-Jahre. Später siedelten sich unterschiedliche Industriebetriebe auf dem nahezu vollständig überbauten Gelände an. Spuren des ehemaligen Außenlagers oder Gedenkzeichen gibt es keine.

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Literatur:

Irmgard Seidel, Torgau, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 590-592.


Virginia d’Albert-Lake nach ihrer Befreiung in Liebenau, 1945
Virginia d’Albert-Lake nach ihrer Befreiung in Liebenau, 1945 ©Familie d‘Albert-Lake
„Die Mädchen, die in der Fabrik arbeiteten, hatten nicht so viel Glück wie wir. Viele von ihnen wurden sehr dünn und ihre Haut wurde gelb. Sie sahen alle müde aus.“

Virginia d’Albert-Lake

Virginia d'Albert-Lake wurde am 4. Juni 1910 in Dayton, Ohio, als Virginia Rousch geboren. 1937 heiratete die Amerikanerin Philippe d'Albert-Lake, den sie auf einer Reise nach Frankreich kennengelernt hatte. Gemeinsam engagierten sie sich ab 1939 für die Résistance. Die Gestapo verhaftete Virginia d'Albert-Lake im Juni 1944. Über die Gefängnisse in Chartres, Fresnes und Romainville gelangte sie im August 1944 nach Ravensbrück und von dort nach Torgau. Dort blieb sie einen Monat. Sie überlebte weitere Lager, wurde Ende April 1945 in Liebenau am Bodensee befreit und kehrte nach Frankreich zurück. Im Jahr darauf kam ihr Sohn Jean Patrick zu Welt. Virginia d‘Albert Lake starb 1997 in Pleurtuit in der Bretagne.



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