Abteroda (Frauen)

2. Oktober 1944 – 31. März 1945

Das Lager

Seit Anfang 1944 plante die BMW Flugmotorenfabrik in Eisenach, Teile der Produktion in das rund 20 Kilometer westlich gelegene Abteroda zu verlagern. Ab August 1944 wurden dort erstmals männliche Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald eingesetzt. Das neu gegründete Außenlager trug den Tarnnamen „Anton“. Zwei Monate später entstand in unmittelbarer Nachbarschaft des bereits existierenden Männerlagers zusätzlich ein Lager für weibliche KZ-Häftlinge. Wie die Männer waren vermutlich auch die Frauen im Obergeschoss einer oder mehrerer Werkhallen untergebracht. Ihr Arbeitsplatz befand sich im Erdgeschoss der Halle. Die Unterkunft war mit Holzpritschen und Strohsäcken ausgestattet – das Lager umzäunt und von Holzwachtürmen umgeben. Berichten zufolge mussten sich die Häftlinge bei Fliegeralarm in dem umliegenden Wald verstecken. Die Verpflegung der Frauen stellte die Werksleitung.

 

Die Häftlinge

Der erste Transport mit 250 Frauen kam am 2. Oktober 1944 in Abteroda an. Es handelte sich ausschließlich um Französinnen zwischen 16 und 63 Jahren, die alle den roten Winkel der politischen Häftlinge trugen. Rund sechs Wochen zuvor waren sie aus Frankreich in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und von dort im September 1944 zunächst in das Außenlager Torgau gebracht worden. Weil sie in den Augen der SS zu schwach und ungeeignet für die Arbeiten in Torgau waren, erfolgte die Überstellung nach Abteroda. Berichten von Überlebenden zufolge, soll die Weigerung, für die deutsche Rüstungsindustrie zu arbeiten, Grund für die Überstellung gewesen sein. Im Februar 1945 wurden die Französinnen in das Buchenwalder Außenlager in Markkleeberg verlegt und durch 125 Frauen, die am 18. Februar 1945 aus Ravensbrück nach Abteroda kamen, ersetzt. Die Frauen, allesamt als politische Häftlinge kategorisiert, stammten aus der Sowjetunion, Polen, Italien, Serbien, Kroatien und Griechenland. Mit einem Alter zwischen 20 und 25 Jahren waren sie durchschnittlich etwas jünger als die Gruppe der Französinnen.

„Wie konnten wir als Widerstandskämpferinnen für die deutsche Armee arbeiten? Nein! Definitiv nicht!“
Jacqueline Fleury-Marié
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Frauen waren in der nach Abteroda verlagerten Produktion der BMW-Flugmotorenfabrik eingesetzt. In den Werkhallen mussten sie Teile von Flugzeugmotoren zusammenbauen, Maschinen bedienen und den Zustand der Teile kontrollieren. Mindestens ein Fall eines Arbeitsunfalls an einer Bohrmaschine einer Französin ist dokumentiert. Die Arbeit erfolgte unter der Aufsicht von SS-Männern und Aufseherinnen, das Tempo der Produktion wurde streng kontrolliert. In der Fabrik arbeiteten auch andere Zwangsarbeitende, zu denen jeder Kontakt strengstens verboten war. Gearbeitet wurde in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten von 6 bis 18 Uhr und von 18 bis 6 Uhr mit einer Stunde Pause – die Sonntage waren arbeitsfrei.

Krankheit und Tod

Eine improvisierte Krankenstation befand sich in einem separaten Raum im Obergeschoss der Werkhalle, in der die Frauen untergebracht waren. Wer für die medizinische Versorgung der Französinnen bis Februar 1945 zuständig war, ist nicht dokumentiert. Berichten zufolge wurde die Französin Raymonde Garin Ende Dezember nach einem Arbeitsunfall an einer Bohrmaschine zeitweilig in einem Eisenacher Krankenhaus behandelt. Ab Februar 1945 übernahm die 25-jährige Polin Halina Kinalska als Häftlingspflegerin die Versorgung der Kranken. Eine Häftlingsärztin gab es nicht. Als Vertragsarzt fungierte ein Dr. Berendonk aus dem benachbarten Dorf Dankmarshausen. Laut einem Monatsbericht über die medizinische Versorgung befanden sich im Februar und März 1945 durchschnittlich 23 Frauen in stationärer oder ambulanter Behandlung. Die meisten von ihnen litten an Grippe, Lungenentzündungen und Magen-Darm-Erkrankungen. Todesfälle sind für das Frauenaußenlager Abteroda nicht dokumentiert.

Bewachung

Die SS-Wachmannschaft war sowohl für das Männer- als auch für das Frauenaußenlager in Abteroda zuständig. Als Kommandoführer fungierte zunächst SS-Oberscharführer Landau. Da er seinen Rang in den ersten Monaten als Feldwebel angab, handelte es sich wohl um einen zur SS überstellten Wehrmachtsangehörigen. Zeitweilig wurde er durch einen Oberscharführer namens Jokisch vertreten. Vermutlich im Januar 1945 übernahm SS-Hauptscharführer John das Kommando, der dies zuvor im Außenlager in Schwerte führte. Für die Bewachung des Frauenlagers waren im November 1944 insgesamt 16 SS-Männer und 21 SS-Aufseherinnen eingesetzt. Ermittlungen der zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Frauen- und Männerlager Abteroda und während der Todesmärsche im April 1945 wurden 1973 ergebnislos eingestellt.

Räumung

Aufgrund der herannahenden alliierten Truppen beschloss die SS, das Lager Anfang 1945 zu räumen. Vermutlich am 31. März oder etwas später mussten die Frauen gemeinsam mit den Häftlingen des Männerlagers in Abteroda zu Fuß in Richtung Buchenwald marschieren. Dort angekommen, blieben die Männer in Buchenwald, während die Frauen, Berichten zufolge, schließlich per Bahn über Leipzig in das Frauenaußenlager in Penig gebracht und dann Richtung Süden getrieben wurden. Sie marschierten durch Mittweida und Chemnitz in Richtung Tschechoslowakei. Amerikanische Einheiten befreiten die meisten von ihnen bei Litoměřice. Eine kleine Gruppe von 34 Frauen wurde bis Theresienstadt verschleppt, wo sie am 20. April 1945 ankamen und Anfang Mai befreit werden konnten.

Spuren und Gedenken

Einige Gebäude des Lagerareals sind heute noch erhalten und werden landwirtschaftlich genutzt. Spuren der Werkhallen, in denen die Häftlinge untergebracht waren, gibt es jedoch keine mehr. Erst im Mai 2020 wurde auf Initiative des heutigen Landwirtschaftsbetriebs ein Gedenkstein auf dem ehemaligen Lagergelände in Erinnerung an die KZ-Häftlinge des Außenlagers „Anton“ in Abteroda aufgestellt. Die Firma BMW beteiligte sich an den Kosten.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Literatur:

Irmgard Seidel, Abteroda (Frauen), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 357 f.

Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929-1945, Duderstadt 2017, S. 425-435.


Jacqueline Fleury-Marié (rechts) mit ihren Eltern und ihrem Bruder, November 1942
Jacqueline Fleury-Marié (rechts) mit ihren Eltern und ihrem Bruder, November 1942 ©Gedenkstätte Buchenwald
„Wie konnten wir als Widerstandskämpferinnen für die deutsche Armee arbeiten? Nein! Definitiv nicht!“

Jacqueline Fleury-Marié

Jacqueline Marié wurde am 12. Dezember 1923 in Wiesbaden geboren, wo ihr Vater als Angehöriger des französischen Militärs stationiert war. Zurück in Frankreich lebte die Familie zunächst in Straßburg, später in Versailles. Nach der deutschen Besetzung engagierten sie sich im Widerstand. Die 17-jährige Jacqueline verteilte Untergrundzeitungen und beschaffte Informationen. Im Juni 1944 wurde sie mit ihren Eltern verhaftet. Mit ihrer Mutter durchlief sie die Lager Ravensbrück, Torgau, Abteroda und Markkleeberg. Auf einem Todesmarsch gelang ihr die Flucht. Nach der Rückkehr in ihre Heimat gründete sie mit ihrem Ehemann Guy Fleury eine Familie und setzte sich aktiv für die Erinnerung an die weiblichen KZ-Häftlinge ein. Sie lebt in Versailles.



weiterlesen