Markkleeberg (Frauen)

31. August 1944 – 13. April 1945

Das Lager

Ende 1939 mietete die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG in Markkleeberg, südlich von Leipzig, Teile einer Kammgarnspinnerei. Zunächst nutzte sie die Hallen für Reparaturarbeiten. 1943 übernahm sie das gesamte Areal und richtete ein Junkers-Zweigwerk ein. Es lag im Markkleeberger Stadtteil Gautzsch (heute Markkleeberg-West). Als Arbeitskräfte setzte die Werksleitung Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in großer Zahl ein. Für sie ließ Junkers ein Barackenlager nordwestlich des Werks errichten, zwischen dem heutigen Equipagenweg und der Straße Am Wolfswinkel. Bei einem Luftangriff wurde es zerstört und im Sommer 1944 wiederaufgebaut. Ab Ende August brachte die SS dort weibliche KZ-Häftlinge unter. Das Lager, gesichert mit einem elektrisch geladenen Zaun und Wachtürmen, umfasste mehrere massive Steinbaracken. Die Schlafräume waren mit mehrstöckigen Pritschen ausgestattet. Nördlich grenzte das Lager an ein Waldgebiet, westlich an eine Bahntrasse und östlich an ein Wohngebiet mit Einfamilienhäusern. Das neue Frauenaußenlager wurde von Beginn an durch das Konzentrationslager Buchenwald verwaltet.

Die Häftlinge

Am 31. August 1944 brachte die SS 500 weibliche Häftlinge aus dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nach Markkleeberg. Die jüdischen Frauen stammten aus Ungarn und den damals zu Ungarn gehörenden Nachbarregionen. Im Frühjahr 1944 waren sie mit ihren Familien aus ihrer Heimat nach Auschwitz deportiert worden, wo die SS viele ihrer Angehörigen ermordet hatte. Zu den jüngsten Deportierten gehörten die beiden 12 und 14 Jahre alten Schwestern Erzsike (Erzsebet) und Katalin Szász. In den Monaten danach schickte die SS aus Auschwitz-Birkenau und dem Konzentrationslager Bergen-Belsen weitere 800 jüdische Frauen aus Ungarn nach Markkleeberg. Bis Februar 1945 waren im Junkers-Lager ausschließlich jüdische Frauen inhaftiert. Dies änderte sich, als die SS im selben Monat 250 Französinnen ins Lager brachte. Sie galten als nicht-jüdische politische Gefangene und hatten zuvor bereits die Außenlager in Torgau und Abteroda durchlaufen. Im März 1945 erreichte das Lager mit über 1.500 Frauen seine Höchstbelegung.

„Später, als wir uns langsam eingewöhnt hatten, muẞten wir dennoch herausfinden, daẞ das Leben eines Gefangenen auch in Markkleeberg nicht einfach war.“
Zahava Szász Stessel
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Das Frauenaußenlager in Markkleeberg war eines von elf Lagern, das die Junkers AG im Einzugsbereich des Konzentrationslagers Buchenwald einrichtete. In Markkleeberg mussten die meisten Frauen in der nahegelegenen ehemaligen Kammgarnspinnerei Zwangsarbeit leisten. Dort arbeiteten sie an Maschinen und fertigten Teile für Flugzeuge und Flugzeugmotoren. Die Produktion lief permanent in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten. Arbeitsfreie Tage gab es nicht, da auch sonntags in reduzierter Form gearbeitet wurde. Im Werk kamen die Frauen in Kontakt zu Zwangsarbeitern und deutschen zivilen Arbeitern. Rund 40 Frauen befanden sich zeitweise in einer weiteren Junkers-Zweigstelle in Zwenkau, 14 Kilometer südlich von Markkleeberg gelegen. Unter Bewachung wurden sie dorthin täglich gefahren. Neben der Arbeit in der Produktion setzte das Unternehmen kleinere Gruppen von Häftlingen auch zu körperlich schweren Bauarbeiten oder zum Ausladen von Eisenbahnwaggons ein. Wiederum andere arbeiteten im Lager, etwa in der Kleiderkammer oder in der Küche.

Krankheit und Tod

Im Lager existierte eine Krankenbaracke. Dort kümmerten sich die beiden Häftlingsärztinnen Dr. Józsa Adler und Dr. Szeren Elias unter der Aufsicht des SS-Sanitäters Arthur Hanschel um die Kranken. Im März 1945 befanden sich jeden Tag durchschnittlich 30 Frauen in stationärer und über 100 in ambulanter Behandlung. Zu den häufigsten Erkrankungen zählten laut einem SS-Bericht Hautentzündungen und Geschwüre. Einige der Frauen waren zum Zeitpunkt der Deportation aus ihrer Heimat schwanger. Die Schwangerschaften konnten sie verbergen, so dass es im Lager zu Geburten kam. Die 33-jährige Etel Weisz brachte am 24. Januar 1945 ein Kind zur Welt, das drei Tage später starb. Die 31-jährige Elza Schönefeld und die 20-jährige Lucy Sternberg schickte die SS Ende Januar 1945 mit ihren Neugeborenen in das KZ Bergen-Belsen. Ob sie überlebten, ist nicht bekannt. Vor Ort in Markkleeberg starben bis zur Räumung des Lagers sechs Frauen, zumeist an Lungenkrankheiten und Körperschwäche. Die SS ließ die Toten im Krematorium auf dem Leipziger Südfriedhof einäschern. Die Urnen wurden später auf dem Ostfriedhof in Leipzig beigesetzt.

Bewachung

Als Kommandoführer setzte die Buchenwalder Lagerverwaltung SS-Oberscharführer Alois Knittel (1897-1962) ein. Über ihn liegen keine weiteren Informationen vor. Die Wachmannschaft vor Ort umfasste im März 1945 insgesamt 25 SS-Männer, die für die äußere Bewachung des Lagers zuständig waren, und 27 SS-Aufseherinnen. Letztere überwachten die Frauen im Lager und bei der Arbeit. Die meisten von ihnen stammten aus der Junkers-Belegschaft. Sie hatten sich freiwillig für den Dienst als Aufseherinnen gemeldet oder waren verpflichtet worden. Vor dem Einsatz in Markkleeberg hatten sie eine mehrwöchige Kurzausbildung zur Aufseherin im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück durchlaufen.
Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg in den 1970er-Jahren wegen Häftlingstötungen im Außenlager Markkleeberg und auf dem Todesmarsch führten zu keinem Ergebnis. Der beschuldigte Alois Knittel war bereits verstorben, ein weiterer Beschuldigter konnte nicht ermittelt werden.

Räumung

Am 13. April 1945 räumte die SS das Lager aufgrund der sich nähernden amerikanischen Truppen. Die über 1.500 Frauen mussten zu Fuß in Richtung Osten marschieren. Die durch die Zwangsarbeit in Markkleeberg Geschwächten erhielten unterwegs kaum zu essen und erlebten zwei Luftangriffe. Berichten zufolge kamen während des 15-tägigen Todesmarschs viele Frauen ums Leben. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt. Vermutlich wurde die Marschkolonne unterwegs geteilt. Die Hauptgruppe der Frauen erreichte am 29. April 1945 Theresienstadt. Dort registrierte die SS 699 Überlebende aus Markkleeberg. Was mit den übrigen Frauen geschah, ist nicht genauer bekannt. Wahrscheinlich ist, dass Teilgruppen an anderen Orten befreit wurden. Mehreren Frauen gelang unterwegs die Flucht. Eine Gruppe Französinnen etwa floh Ende April 1945 bei Königstein in Sachsen aus einer Marschkolonne und versteckte sich bis zur Ankunft der Roten Armee.

Spuren und Gedenken

Das Barackenlager übergab die Junkers AG im Sommer 1945 an die Stadt Markkleeberg. Gewerbetreibende nutzten die Baracken in den folgenden Jahrzehnten weiter. 1993 erfolgte ihr Abriss. Lediglich ein Gebäude steht unter Denkmalschutz. Ein 1975 am ehemaligen Außenlagerstandort angebrachtes Gedenkzeichen erneuerte die Stadt Markkleeberg 1998.
Dabei wurde die Zahl der Häftlinge korrigiert und um die bis dahin nicht erwähnten französischen Frauen ergänzt.
Seit 2012 pflegt die Initiative Kulturbahnhof e.V. das Projekt: „Versteckte Geschichte. Nationalsozialismus in Markkleeberg“. Die hieraus entstandene Webseite informiert auch über die Geschichte des Außenlagers Markkleeberg.

Link zum heutigen Standort und zum Standort der Gedenktafel auf GoogleMaps

Kontakt:
Kultur Bahnhof e. V.

Gedenktafel am ehemaligen Standort des Außenlagers am Equipagenweg 21-23, 2022. Foto: Gwendoline Cicottini
Gedenktafel am ehemaligen Standort des Außenlagers am Equipagenweg 21-23, 2022. Foto: Gwendoline Cicottini ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Klaus Hesse, KL Buchenwald, Außenlager Markkleeberg Am Wolfswinkel, Leipzig 1998.

Irmgard Seidel, Markkleeberg, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 520-523.


Katalin Szász im DP-Camp Indersdorf bei München, 1946
Katalin Szász im DP-Camp Indersdorf bei München, 1946 ©Zahava Szász Stessel
„Später, als wir uns langsam eingewöhnt hatten, muẞten wir dennoch herausfinden, daẞ das Leben eines Gefangenen auch in Markkleeberg nicht einfach war.“

Zahava Szász Stessel

Zahava Szász Stessel wurde am 19. Januar 1930 als Katalin Szász im ungarischen Abaújszántó in eine jüdische Familie geboren. Im April 1944 zwangen die deutschen Besatzer die Familie Szász, in das Ghetto von Košice zu ziehen. Einen Monat später folgte die Deportation nach Auschwitz-Birkenau. Katalin und ihre zwölfjährige Schwester Erzsike (Erzsebet) überstanden die dortige Selektion. Ihre Eltern und Großeltern ermordete die SS. Über das KZ Bergen-Belsen kamen die Schwestern im Dezember 1944 nach Markkleeberg. Sie überlebten den Todesmarsch. 1947 wanderten beide nach Palästina aus. Dort heiratete Katalin und nahm den Namen Zahava Szász Stessel an. Mit ihrem Mann emigrierte sie 1957 in die USA. Sie arbeitete als Bibliothekarin und promovierte 1991 über die Geschichte der ungarischen Jüdinnen und Juden. Heute lebt Zahava Szász Stessel in New York.



weiterlesen