Abteroda

31. Juli 1944 – 31. März 1945

Das Lager

Die BMW Flugmotorenfabrik Eisenach begann ab Anfang 1944 Teile ihrer Produktion nach Abteroda, rund 20 Kilometer westlich von Eisenach, zu verlagern. Geplant war eine unterirdische Produktionsstätte in einem stillgelegten Kalischacht (Tarnname „Bär“) und eine oberirdische Produktion in Werkhallen am Rande der kleinen Ortschaft Abteroda (Tarnname „Anton“). Bei letzterer setzte die Werksleitung ab August 1944 auch Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald ein. Das so entstandene Außenlager trug ebenfalls den Tarnnamen „Anton“. Zwei Monate später, im Oktober 1944, richtete die SS an gleicher Stelle zusätzlich ein Lager für weibliche KZ-Häftlinge ein. In einer oder mehreren großen Werkhallen arbeiteten die Häftlinge. Im ersten Stock der Hallen befand sich ein großer Saal, der als Unterkunft für die Häftlinge fungierte und eine Küche. Auch die Wachmannschaft war in einem abgetrennten Bereich der Halle(n) untergebracht. Zäune und Holzwachtürme umgaben die Hallen. Berichten zufolge mussten sich die Häftlinge bei Fliegeralarm in den umliegenden Wäldern verstecken.

Die Häftlinge

Am 31. Juli 1944 brachte die SS die ersten 79 Häftlinge aus dem Außenlager bei der BMW-Flugmotorenfabrik in Eisenach nach Abteroda. Weitere Überstellungen aus Eisenach und Buchenwald folgten in den nächsten Wochen. Ende August erreichte die Belegung des Lagers 216 Häftlinge. Diese Zahl blieb in den Monaten danach relativ konstant. Im Januar 1945 befanden sich 230 Häftlinge im Lager. Ein Großteil der aus Eisenach verbrachten Häftlinge hatte zuvor bereits als Facharbeiter für BMW in Allach, einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, gearbeitet. Die Männer zwischen 17 und 60 Jahren stammten überwiegend aus der Sowjetunion, aber auch aus Frankreich, Deutschland, Belgien und Italien. Die meisten waren als politische Häftlinge eingestuft. Mindestens zwei Fluchten aus dem Außenlager Abteroda sind belegt: Walentin Juschkewitsch und Wiktor Bogdanow aus Kiew flohen am 12. März 1945. Ihr Verbleib ist bisher nicht bekannt. Die Gruppe der Funktionshäftlinge im Lager bestand unter anderem aus fünf Kapos, einem Koch, zwei Schreibern und einem Pfleger.

„Wir brachen in Richtung Buchenwald auf; wir marschierten etwa 100 Kilometer; drei Tage und drei Nächte.“
Laurent Feldmann
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Der Einsatz in Abteroda erfolgte für die BMW-Flugmotorenfabrik in Eisenach. In großen Werkhallen mussten die Häftlinge Flugzeug- und Motorenteile fertigen und montieren. Die meisten von ihnen waren gelernte oder angelernte Dreher, Fräser, Bohrer, Schleifer, Schlosser oder Elektriker und galten somit als Facharbeiter. Die entsprechende Qualifizierung erhielten sie in den BMW-Werken in Allach und Eisenach. Die Arbeit erfolgte unter der Aufsicht von SS-Männern und deutschen Zivilisten. Zu den ebenfalls in der Produktion eingesetzten anderen Zwangsarbeitenden bestand strengstes Kontaktverbot. Gearbeitet wurde in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten mit je einer einstündigen Pause. Die Sonntage waren für die Häftlinge arbeitsfrei. Rohstoffmangel führte ab März 1945 zu einer Reduzierung der Produktion. Ob und ab wann die Häftlinge, wie ursprünglich geplant, auch in der unterirdischen Produktionsstätte zum Einsatz kamen, ist bisher nicht eindeutig belegt.

Arbeitseinsatzmeldung des Männeraußenlagers Abteroda vom 10. März 1945
Arbeitseinsatzmeldung des Männeraußenlagers Abteroda vom 10. März 1945. An diesem Tag arbeiteten 202 Häftlinge in der Tag- (6 bis 18 Uhr) und Nachtschicht (18 bis 6 Uhr). 23 Häftlinge waren wegen Krankheit oder Rohstoffmangel nicht arbeitsfähig. ©Gedenkstätte Buchenwald

Krankheit und Tod

In einer der Werkhallen befand sich eine improvisierte Krankenstation. In den ersten Monaten wurden die Kranken durch den Tschechen Norbert Kazdan, den Häftlingsarzt des Außenlagers Eisenach, versorgt. Erst ab November 1944 schickte die SS einen Häftlingspfleger dauerhaft nach Abteroda. Es handelte sich um den 21-jährigen französischen Medizinstudenten Laurent Feldmann aus Clermont-Ferrand. Überwacht wurde er durch den SS-Sanitäter Unterscharführer Carl. Als Vertragsarzt fungierte zunächst ein gewisser Dr. König und später Dr. Berendonk aus dem Nachbardorf Dankmarshausen. Aus dem Monatsbericht des Häftlingspflegers für Februar 1945 ist ersichtlich, dass sich in diesem Monat durchschnittlich jeden Tag drei Häftlinge in stationärer und 35 in ambulanter Behandlung befanden. Die meisten litten an Erkältungen oder Lungenentzündungen. Schwerer erkrankte Häftlinge brachte die SS zurück ins Hauptlager und ersetzte sie durch neue. Zu den häufigsten Krankheiten zählten Erkältungen und Lungenentzündungen. Todesfälle sind für das Männeraußenlager Abteroda nicht belegt.

Bewachung

Die SS-Wachmannschaft war sowohl für das Männer- als auch für das Frauenaußenlager in Abteroda zuständig. Als Kommandoführer fungierte zunächst SS-Oberscharführer Landau. Da er seinen Rang in den ersten Monaten als Feldwebel angab, handelte es sich wohl um einen zur SS überstellten Wehrmachtsangehörigen. Zeitweilig wurde er durch einen Oberscharführer namens Jokisch vertreten. Vermutlich im Januar 1945 übernahm SS-Hauptscharführer John das Kommando, der dies zuvor im Außenlager in Schwerte führte. Für die Bewachung des Frauenlagers waren im November 1944 insgesamt 16 SS-Männer und 21 SS-Aufseherinnen eingesetzt. Ermittlungen der zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Frauen- und Männerlager Abteroda und während der Todesmärsche im April 1945 wurden 1973 ergebnislos eingestellt.

Räumung

Aufgrund der herannahenden alliierten Truppen, beschloss die SS Ende März 1945, die Lager in Abteroda zu räumen. Vermutlich am 31. März oder etwas später brachen die Häftlinge des Männer- und des Frauenlagers zu einem Fußmarsch in Richtung des Hauptlagers Buchenwald auf. Berichten zufolge erschoss ein Wachmann einen sowjetischen Häftling während des Marsches. Am 4. April registrierte die SS in Buchenwald 212 aus Abteroda zurückkehrende Häftlinge. Vier Tage später folgten vier weitere Häftlinge aus Abteroda, wobei unklar ist, ob es sich um einen zweiten Transport handelte. Alle Männer blieben zunächst in Buchenwald. Einige Tage später trieb die SS viele von ihnen wieder auf einen Todesmarsch. Die Frauen aus Abteroda blieben nicht in Buchenwald. Zu Fuß und später per Bahn brachte die SS sie weiter in Richtung Osten.

Spuren und Gedenken

Einige Gebäude des Lagerareals sind heute noch erhalten und werden landwirtschaftlich genutzt. Spuren der Werkhallen, in denen die Häftlinge untergebracht waren, gibt es jedoch keine mehr. Auf die Initiative des heutigen Landwirtschaftsbetriebs wurde erst im Mai 2020 ein Gedenkstein auf dem ehemaligen Lagergelände in Erinnerung an die KZ-Häftlinge des Außenlagers „Anton“ in Abteroda aufgestellt. Die Firma BMW beteiligte sich an den Kosten.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Literatur:

Frank Baranowski, Abteroda (Männer), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 358-360.

Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929-1945, Duderstadt 2017, S. 425-435.


Laurent Feldmann
Laurent Feldmann nach seiner Rückkehr nach Frankreich in Häftlingskleidung, 1945. Die Armbinde kennzeichnete ihn als Häftlingspfleger. ©Familie Feldmann
„Wir brachen in Richtung Buchenwald auf; wir marschierten etwa 100 Kilometer; drei Tage und drei Nächte.“

Laurent Feldmann

Laurent Feldmann wurde am 29. April 1923 geboren und wuchs in einer katholischen Familie in Straßburg auf. Während der deutschen Besatzung begann er sein Studium der Medizin. Die Gestapo verhaftete ihn mit 37 Kommilitonen im Juni 1943 in Clermont-Ferrand. Man warf ihnen eine „antideutsche Gesinnung“ vor. Über das Polizeihaftlager Compiègne bei Paris wurde er im Oktober 1943 nach Buchenwald deportiert, wo er in verschiedenen Kommandos arbeiten musste. Als Häftlingspfleger kam er im November 1944 nach Abteroda. Nach der Befreiung in Buchenwald kehrte er nach Straßburg zurück, beendete sein Studium und praktizierte als Arzt. Er starb 2007.



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