Berga/Elster

13. November 1944 – 12. April 1945

Das Lager

Durch Luftangriffe waren bis 1944 viele Treibstoffwerke im Deutschen Reich zerstört worden. Um die kriegswichtige Produktion von synthetischen Treibstoffen zu sichern, entschied man deshalb im Rüstungsministerium im Rahmen des sogenannten Geilenberg-Programms, unterirdische Werke zur Treibstoffgewinnung einzurichten. Eine dieser Untertagefabriken sollte für die Braunkohle-Benzin AG (BRABAG) aus Zeitz im Zickraer Berg nahe der ostthüringischen Kleinstadt Berga/Elster entstehen. Das Bauvorhaben trug den Tarnnamen „Schwalbe V“ und stand unter der Leitung der SS. Unter dem gleichen Tarnnamen richtete die SS Mitte November 1944 in Berga ein Außenlager des KZ Buchenwald ein. Als Massenunterkunft für die Häftlinge wurde eine umfunktionierte Werkhalle der ehemaligen Firma Ernst Engländer KG Berga, vormals Seiden- und Wollweberei Berga C. W. Crous & Co., genutzt, in der Nähe des Bahnhofs und in der heutigen August-Bebel-Straße gelegen. Überlebende berichteten von einer notdürftig mit vierstöckigen Holzverschlägen als Schlafplätze ausgestatteten Halle. In unmittelbarer Nähe des KZ-Außenlagers waren Kriegsgefangene untergebracht, unter anderem aus den USA. Auch sie mussten auf den Baustellen des Projekts „Schwalbe V“ arbeiten.

Die Häftlinge

Die ersten 70 Häftlinge trafen am 13. November 1944 aus Buchenwald in Berga/Elster ein. Als sogenanntes Aufbaukommando mussten sie das Lager einrichten. Es waren nicht-jüdische, überwiegend als politisch klassifizierte Häftlinge aus Polen, der Sowjetunion, Deutschland, der Tschechoslowakei, Italien, Frankreich und den Niederlanden. Als Lagerältesten setzte die SS einen langjährigen deutschen Häftling ein. Zwei Wochen später brachte die SS 500 jüdische Häftlinge aus dem Buchenwalder Außenlager Tröglitz/Rehmsdorf, wo sie bereits für die BRABAG hatten arbeiten müssen, nach Berga. Die meisten von ihnen stammten aus Ungarn und angrenzenden, damals zu Ungarn gehörenden Ländern. Zwischen Mitte Dezember 1944 und Mitte März 1945 folgten weitere große Häftlingstransporte aus Buchenwald. Insgesamt durchliefen mehr als 3.370 Häftlinge das Lager, darunter viele Jugendliche. Der Großteil der Männer und Jungen galt als jüdische, die übrigen zumeist als politische Häftlinge. Sie stammten aus unterschiedlichen Ländern. Kranke und angeblich Arbeitsunfähige überstellte die SS regelmäßig zurück nach Buchenwald, weshalb die Belegung des Lagers ab Mitte Dezember 1944 zwischen 860 und 1.800 schwankte. Aufgrund der großen Zahl jüdischer Häftlinge zählte die Buchenwalder SS das Außenlager „Schwalbe V“ zu den „jüdischen Außenkommandos“.

Erinnerungsberichte

Karel Sperber, als Häftlingsarzt im Außenlager Berga/Elster eingesetzt, und Eugene Heimler, der die jugendlichen Häftlinge des „Kartoffelschälkommandos“ in der Häftlingsküche des Außenlagers betreute, schrieben ihre Erinnerungen früh nieder.

Zwangsarbeit

Die ersten 70 Häftlinge, von denen gut die Hälfte als Facharbeiter galten, mussten zunächst das improvisierte Lager in der Werkhalle einrichten. Sie arbeiteten täglich von 7 bis 17 Uhr, unterbrochen von einer einstündigen Pause. Die später nach Berga überstellten Häftlinge waren zumeist als leicht zu ersetzende Hilfsarbeiter kategorisiert. Sie wurden größtenteils zu körperlicher Schwerstarbeit eingesetzt, vor allem beim Stollenvortrieb und Stollenausbau oder für Transportarbeiten und den Barackenbau. Unter der Leitung des SS-Führungsstabes war eine Vielzahl von Firmen an dem Bauvorhaben beteiligt, die bereitwillig auf die Häftlinge als Arbeitskräfte zurückgriffen. Für die dem Stollenvortrieb zugeteilten Häftlinge führte die SS ein Schichtsystem ein, so dass rund um die Uhr gearbeitet wurde. Freie Tage gab es keine, denn auch sonntags musste mindestens ein Teil der Häftlinge Zwangsarbeit leisten. Eine Gruppe junger jüdischer Häftlinge setzte die SS für die Versorgung des Lagers ein. Angeleitet durch den Häftling Jenö Heimler gehörten sie beispielsweise dem „Kartoffelschälkommando“ an. Dies rettete vielen von ihnen das Leben.

Abgebrochener und deformierter Steinbohrer, wie er zum Stollenvortrieb eingesetzt wurde – gefunden in einem denen Stollen, in dem die Häftlinge arbeiten mussten.
Abgebrochener und deformierter Steinbohrer, wie er zum Stollenvortrieb eingesetzt wurde – gefunden in einem der Stollen, in denen die Häftlinge arbeiten mussten. ©Gedenkstätte Buchenwald

Krankheit und Tod

In Berga existierte eine notdürftige Krankenstation. Nach Aussagen von Überlebenden ließ sie jedoch so gut wie keine angemessene ärztliche Versorgung der Kranken und Verletzten zu. Als Häftlingsarzt setzte die SS zunächst den polnischen Arzt Zbigniew Laprus aus Warschau ein. Als dieser erkrankte, folgte ihm im März 1945 der tschechoslowakische Mediziner Karel Sperber, der zuvor unter anderem als Häftlingsarzt in Auschwitz-Monowitz tätig war. Ein SS-Sanitäter namens Kalies überwachte sie. In Berga gab es sehr viele Kranke; so konnten etwa Anfang Januar 1945 täglich rund 100 Männer und Jungen wegen Krankheit nicht arbeiten. Die SS brachte regelmäßig schwerkranke oder ausgezehrte Häftlinge, für die sie keine Verwendung mehr hatte, zurück nach Buchenwald. In den nur fünf Monaten, in denen das Außenlager bestand, starben vor Ort in Berga 315 Häftlinge. Ein in Berga niedergelassener Arzt unterschrieb die Totenscheine. Die SS ließ die Leichen auf einer unwegsamen Wiese auf dem Baderberg am nördlichen Stadtrand von Berga verscharren.

Bewachung

Mit der wachsenden Zahl der Häftlinge vergrößerte die SS auch die Wachmannschaft. Zum Zeitpunkt der Lagergründung bestand sie aus 22 SS-Männern. Ende November 1944 waren es bereits 48 und Ende Februar 1945 schließlich 214 SS-Männer. Als Kommandoführer ist SS-Hauptsturmführer Richard Rohr (1899-1969) belegt. Über ihn liegen keine weiteren Informationen vor. Als Schutzhaftlagerführer in Berga ist für die ersten Wochen zudem SS-Obersturmführer Bruno Dembeck (1887-1944) nachzuweisen. Er starb Ende Dezember 1944 nach einer Erkrankung im Krankenhaus von Greiz. In den Erinnerungen der Überlebenden findet zudem ein SS-Oberscharführer Schimmel Erwähnung. Er war als Rapportführer eingesetzt und für seine Brutalität gefürchtet. Ein Ermittlungsverfahren gegen Richard Rohr und zwei weitere SS-Männer wegen ihrer Verbrechen bei der Lageräumung wurde 1976 ergebnislos eingestellt. Das Landgericht Zwickau verurteilte 1948 den Leiter des Bauvorhabens in Berga/Elster, den ehemaligen SS-Obersturmführer Willy Hack, zu acht Jahren Gefängnis. Die Strafe wurde 1949 in ein Todesurteil umgewandelt und das Urteil 1952 vollstreckt.

Räumung

Am 11. April 1945 befanden sich noch über 1.760 Häftlinge im Lager. 320 kranke und schwache Männer sonderte die SS aus und ließ sie am selben Tag per Zug in das KZ Dachau bringen. Einen Tag später trieben die SS-Wachen die übrigen Häftlinge zu Fuß in Richtung Tschechoslowakei. Nach der Aufteilung in Untergruppen erreichten etwa 150 jüdische Häftlinge am 30. April 1945 Theresienstadt, wo sie wenige Tage später befreit wurden. Die genauen Marschrouten der übrigen Häftlinge sind unklar. Einige Gruppen scheinen sich in der Tschechoslowakei aufgelöst zu haben, nachdem sich die Wachen abgesetzt hatten. Die genaue Zahl der Opfer des Räumungstransportes und der Todesmärsche ist nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

1945 ließ die US-Armee auf dem Baderberg, wo die SS die Toten hatte verscharren lassen, ein weißes Kreuz mit einem Davidstern aufstellen. Zehn Jahre später kam ein Gedenkstein hinzu. 2019 erfolgte die Neugestaltung der Grabstelle. Die Gräber der bis dahin anonym Bestatteten erhielten nun Stelen, auf denen die Namen, Lebensdaten und Konfessionen der Verstorbenen genannt sind. Zudem informieren seit 2019 drei Tafeln auf dem Weg zum Friedhof „Am Baderberg“ über die Geschichte des Lagers „Schwalbe V“. Der Bereich des ehemaligen Häftlingslagers wurde lange Zeit als Gewerbepark genutzt, die als Unterkunft verwendete Werkhalle 2022 abgerissen. Lediglich eine Gedenktafel am Eingang des ehemaligen Lagergeländes erinnert an die frühere Nutzung des Ortes als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Friedhofs „Am Baderberg“ auf GoogleMaps

Neugestalteter Friedhof „Am Baderberg“, 2022. Foto: Katharina Brand
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Neugestalteter Friedhof „Am Baderberg“, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Neugestalteter Friedhof „Am Baderberg“, 2022. Foto: Katharina Brand
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Neugestalteter Friedhof „Am Baderberg“, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstein, der 1955 aufgestellt wurde und sich am Eingang des Friedhofes befindet, 2022. Der Text verschweigt, dass die meisten Opfer als Juden verfolgt wurden und beziffert die Zahl der Toten fälschlicherweise mit 314. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstein, der 1955 aufgestellt wurde und sich am Eingang des Friedhofes befindet, 2022. Der Text verschweigt, dass die meisten Opfer als Juden verfolgt wurden und beziffert die Zahl der Toten fälschlicherweise mit 314. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenktafel am Eingang zum ehemaligen Lagergelände am heutigen Gewerbepark August-Bebel-Straße 20, 2022. Die Werkhalle befand sich links neben dem mehrstöckigen Gebäude. Foto: Katharina Brand
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Gedenktafel am Eingang zum ehemaligen Lagergelände am heutigen Gewerbepark August-Bebel-Straße 20, 2022. Die Werkhalle befand sich links neben dem mehrstöckigen Gebäude. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenktafel am Eingang zum ehemaligen Lagergelände am heutigen Gewerbepark August-Bebel-Straße 20, 2022. Die Werkhalle befand sich links neben dem mehrstöckigen Gebäude. Foto: Katharina Brand
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Gedenktafel am Eingang zum ehemaligen Lagergelände am heutigen Gewerbepark August-Bebel-Straße 20, 2022. Die Werkhalle befand sich links neben dem mehrstöckigen Gebäude. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Christine Schmidt, Berga/Elster („Schwalbe V“), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 386-388.