Blankenburg-Oesig

24. August 1944 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Im Mai 1944 erhielt die zum Krupp-Konzern gehörende Kurbelwellen GmbH aus Hamburg die Genehmigung, ihre Produktion aus der zerstörten Hansestadt nach Blankenburg im Nordharz zu verlagern. Das geplante Untertagewerk erhielt den Tarnnamen „Klosterwerk GmbH“. Die „Einsatzgruppe IV Kyffhäuser“ der Organisation Todt (OT) erhielt den Auftrag, die Stollenanlage des Erzbergwerks Braunesumpf auszubauen. Das Bauprojekt lief unter der Tarnbezeichnung „Porphyr“. Zunächst kamen deutsche und ausländische Zivilarbeiter zum Einsatz. Ab August 1944 griff die OT für das Verlagerungsprojekt zudem auf Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald zurück. Sie wurden im neuen Außenlager „Klosterwerke“ im Blankenburger Ortsteil Oesig zunächst in Zelten untergebracht. Gleichzeitig entstand auf dem mit Stacheldraht und Wachtürmen gesicherten Areal ein Barackenlager. Die erste Baracke stand im Oktober, weitere folgten im Winter 1944/45. Die Häftlinge marschierten täglich etwa eineinhalb Kilometer über die Michaelsteiner Straße zu den Baustellen. Ende Oktober 1944 wurde das Außenlager dem verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau unterstellt.

Die Häftlinge

Am 24. August 1944 trafen 500 Häftlinge aus Buchenwald in Blankenburg ein. Etwa drei Viertel von ihnen kamen aus Belgien und trugen den roten Winkel der politisch Verfolgten. Aufgrund des Vorrückens der Alliierten waren sie kurz zuvor aus Haftstätten in ihrer Heimat nach Buchenwald deportiert worden. Die übrigen Männer stammten überwiegend aus der Sowjetunion sowie aus Polen, Frankreich und Jugoslawien. Sie galten ebenfalls als politische Häftlinge. Eine kleine Gruppe deutscher Häftlinge um den Lagerältesten Karl Strohbach setzte die SS als Funktionshäftlinge ein. Die Belegung des Lagers blieb bis zur Übernahme durch das Konzentrationslager Mittelbau recht stabil. Insgesamt durchliefen bis Ende Oktober 1944 526 Häftlinge das Lager. Mindestens zwei deutsche Häftlinge flohen in diesem Zeitraum: Adolf Klemen gelang am 23. September 1944 die Flucht. Sein Verbleib ist unbekannt. Heinrich Hoyer aus Erfurt floh am Abend des 13. September 1944. Die Gendarmerie in Langelsheim, 60 Kilometer von Blankenburg entfernt, ergriff ihn zehn Tage nach seiner Flucht.

„Jeder durfte seine Zwangsarbeiter auswählen, um damit eine Arbeitstruppe zu bilden. Jef und ich kamen ins Kommando K, das später als das ‚Totenkommando‘ bekannt wurde.“
Louis Boeckmans
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Der Großteil der Häftlinge musste auf den ober- und unterirdischen Baustellen des Verlagerungsprojektes „Porphyr“ arbeiten. Dies bedeutete körperliche Schwerstarbeit im Stollenvortrieb, beim Materialtransport oder beim Bau von Entwässerungssystemen. Zu einer Aufnahme der Produktion von Kurbelwellen für Flugzeuge kam es nie, da die Anlage bis Kriegsende nicht fertiggestellt wurde. Die Häftlinge waren verschiedenen Arbeitskommandos zugeteilt und arbeiteten unter der Aufsicht von SS-Männern und deutschen Vorarbeitern. Ein Teil von ihnen musste anfangs zudem das Barackenlager aufbauen. In der ersten Zeit scheint lediglich tagsüber gearbeitet worden zu sein, später dann in Tag- und Nachtschichten.

Krankheit und Tod

Im Lager gab es eine Krankenrevierbaracke. Im Oktober 1944 setzte die SS den französischen Mediziner Georges Ropers als Häftlingsarzt ein. Kleinere Gruppen von Häftlingen, die zu schwach oder zu krank waren, um weiter arbeiten zu können, schickte die Lagerleitung zurück nach Buchenwald – im Austausch für neue Häftlinge. Für den Zeitraum bis Ende Oktober 1944 ist ein Todesfall für das Lager „Klosterwerke“ dokumentiert: Der 20-jährige Belgier Eugène Collar aus Harpe starb am 22. September 1944 nach Angaben der SS an Herz- und Kreislaufschwäche. Sein Leichnam wurde im Städtischen Krematorium in Quedlinburg eingeäschert, die Urne später auf dem Zentralfriedhof Quedlinburg beigesetzt. Nach der Übernahme des Lagers durch das Konzentrationslager Mittelbau stiegen die Todesfälle. Die genaue Zahl lässt sich bis heute nicht ermitteln, vermutlich waren es aber zwischen 30 und 50 Häftlinge, die bis April 1945 an den Folgen der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Blankenburg-Oesig starben.

Bewachung

Als Kommandoführer ist ein SS-Oberscharführer der Buchenwalder SS namens Dieterich dokumentiert. Über ihn liegen bisher keine weiteren Informationen vor. Er kommandierte das Lager bis März 1945 und wurde dann abgelöst. Für die Bewachung des Lagers waren bei seiner Gründung 40 SS-Posten vorgesehen. Zudem sollen zivile Bergarbeiter der Grube Braunesumpf als Wachen eingesetzt worden sein. Zu einer gerichtlichen Ahndung der Vorgänge im Außenlager in Blankenburg-Oesig ist es nie gekommen.

Übernahme durch das KZ Mittelbau

Am 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager in Blankenburg-Oesig dem neu verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau zugeordnet. Fortan war es kein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mehr. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Lagers befanden sich 500 Häftlinge vor Ort. Als Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau existierte das Lager weiter bis zur Räumung im April 1945.

Spuren und Gedenken

Einige Baracken des ehemaligen Außenlagers stehen heute noch – umgebaut und teilweise bewohnt. Ein Teil der Stollenanlage wurde ab 2001 aus Sicherheitsgründen verfüllt, 2021 der restliche Stollen bis auf ein 50 Meter langes Reststück. Dieses Teilstück konnte nach großen Protesten vom Landesamt für Denkmalpflege als schützenswert eingestuft und erhalten werden. Ein nach Kriegsende errichtetes Mahnmal für die NS-Opfer befindet sich auf dem alten Friedhof am Lühnertorplatz. Auf dem ehemaligen Lagergelände erinnert seit 1990 ein Gedenkstein an die Vergangenheit des Ortes. Im Jahr 2021 benannte der Gemeinderat des Ortsteils Oesig eine Straße nach dem ehemaligen Häftling Albert van Hoey. In Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora wurden 2021 auf dem Gelände zwei Informationstafeln aufgestellt.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Mahnmal für die NS-Opfer auf dem alten Friedhof am Lühnertorplatz, 2006
1/3
Mahnmal für die NS-Opfer auf dem alten Friedhof am Lühnertorplatz, 2006 ©Stadtarchiv Blankenburg
Mahnmal für die NS-Opfer auf dem alten Friedhof am Lühnertorplatz, 2006
2/3
Mahnmal für die NS-Opfer auf dem alten Friedhof am Lühnertorplatz, 2006 ©Stadtarchiv Blankenburg
Gedenkstein am ehemaligen Lagergelände, 2006
3/3
Gedenkstein am ehemaligen Lagergelände, 2006 ©Stadtarchiv Blankenburg

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Das KZ-Außenlager Blankenburg-Oesig (Deckname „Klosterwerke“) – Geschichte und Erinnerung, in: Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt (Hg.), Erinnern! Aufgabe, Chance, Herausforderung, 2 / 2021 Magdeburg.

Jens-Christian Wagner, KZ-Außenlager Blankenburg-Oesig („Klosterwerke“), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors, Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7, München 2008, S. 293 f.


Louis Boeckmans und seine spätere Ehefrau Germaine Wagemans, 1943
Louis Boeckmans und seine spätere Ehefrau Germaine Wagemans, 1943 ©Familie Boeckmans
„Jeder durfte seine Zwangsarbeiter auswählen, um damit eine Arbeitstruppe zu bilden. Jef und ich kamen ins Kommando K, das später als das ‚Totenkommando‘ bekannt wurde.“

Louis Boeckmans

Louis Boeckmans wurde am 20. Juni 1923 als eines von acht Kindern im belgischen Tessenderlo geboren, wo seine Familie einen Bauernhof besaß. 1942 schloss er sich dem Widerstand an. Nach einer Denunziation verhaftete die Gestapo ihn 1944 mit seinem Bruder Josephus. Über das Gefängnis in Hasselt und das SS-Durchgangslager Fort Breendonk wurden die Brüder im August 1944 nach Buchenwald deportiert. Kurz darauf kamen sie in das Außenlager in Blankenburg. Das Schwedische Rote Kreuz befreite die beiden Ende April 1945 nach einem mehrwöchigen Todesmarsch. Nach einer Zeit der Erholung in Schweden und Dänemark kehrte Louis Boeckmans nach Belgien zurück. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Briefträger. Louis Boeckmans starb am 18. Juli 2021.



Read more