Gyula Jambor kam am 10. Juli 1912 in Budapest in einer jüdischen Familie zur Welt. Nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn wurde der Rechtsanwalt Anfang Mai 1944 verhaftet. Im Juni brachte ihn die SS über Auschwitz nach Buchenwald und von dort zunächst in das Außenlager nach Magdeburg-Rothensee. Ab Oktober 1944 musste er in Lützkendorf Zwangsarbeit für die Wintershall A.G. leisten. Er war einer der wenigen jüdischen Häftlinge im Lager. Bei einem Bombenangriff gelang ihm Anfang April 1945 die Flucht aus der Boelcke-Kaserne in Nordhausen, einem Außenlager des KZ Mittelbau. Über sein Leben danach ist wenig bekannt. Er nannte sich fortan Julius, schrieb 1946/47 seine Erinnerungen an die Haft nieder und emigrierte in die USA, wo er als Arzt arbeitete. Julius Jambor starb 1986 in New York.
Aus den Erinnerungen von Julius Jambor
Die Fahrt nach Lützkendorf
„Ich war etwa vierzehn Tage im Block, als ein Kamerad und ich zum Lagertor geführt wurden. Dort stand schon ein Lastauto, das uns aufnahm. Nachdem wir eingestiegen waren, begann das Auto seine Fahrt und für uns beide war damit der Start nach einem unbekannten Ziel.
Auf dem Wagen saß bereits ein Häftling. Er sagte uns, dass er Tscheche und Lagerverwalter im Lager Lützkendorf sei. Er machte den Eindruck eines ruhigen Menschen auf mich und so begann ich wieder zu hoffen, einem normaleren Leben entgegenzufahren. Erzählend berichtete er uns, dass sie mit diesem Wagen Lebensmittel holen würden. Während eines Angriffes seien zwei Häftlinge umgekommen und wir würden für diese als Ersatz mitgenommen. – – Erfreulich war für uns die Nachricht, dass das Lager für Häftlingsbegriffe annehmbar sei. […]
Gegen acht Uhr abends haben wir vor einem großen Steingebäude halt gemacht. In drei Stockwerken waren viele Fenster nebeneinander. Es musste wohl eine Schule sein. Wir stiegen aus und der tschechische Häftling sagte uns, dass wir am Ziel seien.“
Der erste Tag
„Am anderen Morgen war um fünf Uhr Wecken. Bis um ½ sechs Uhr hatten wir Zeit, uns zu waschen und anzuziehen, dann mussten wir antreten und um sechs Uhr zum Arbeitsplatz abmarschieren.
Man erzählte uns, dass wir in einer anderen Brabag-Benzinfabrik zu arbeiten hätten. Das Werk war ungefähr sechs Kilometer von unserer Schule entfernt. Dort angekommen teilte man uns zur Arbeit ein. Ich musste Zementsäcke tragen. Als ich fünfzig Säcke getragen hatte, konnte ich mich eine Stunde ausruhen. Die SS stand Posten, kümmerte sich aber um unsere Arbeit nicht und hat uns auch nicht angetrieben.“
Der ungarische SS-Mann Gergely Pista
„Gergely Pista hatte sich von dem Dienst bei der SS hohe Bezahlung und damit eine leichte Unterhaltungsmöglichkeit seiner Mutter erhofft. Im Zivilberuf war er Schlosser, aber der Arbeit war er noch nie allzusehr zugetan gewesen. Hier bei der SS war ihm das Leben angenehm. Freies Stehlen, Essen, Trinken, hoher Sold und Liebelei waren ihm gerade recht. Er brauchte sich ja um nichts kümmern.
Jetzt merkte er aber schon, dass Hitler seinen Krieg verloren hatte. Die Aussichten auf einen glorreichen Endsieg wurden von Tag zu Tag immer geringer. Nun trat die Zukunft mit grauem Schatten vor ihn und er musste sich neue Möglichkeiten für ein angenehmes Dasein sichern.
Er hatte auch schon einen Plan bereitet und diesen teilte er mir mit. Mir seine Hilfe anbietend verlangte er von mir, dass auch ich ihm in der Heimat Unterstützung gewähren sollte. Hier im Lager wollte er mir mit Lebensmitteln, Zigaretten und anderen Dingen das Leben angenehm machen.“
Das Ende des Lagers
„An einem Spätabend ist Fliegeralarm und wir erwachen in einem hell erleuchteten Raum. Das Licht unendlich vieler Fallschirme hat unser Zimmer taghell gemacht. Laut Befehl durften wir unser Zimmer bei Alarm nicht verlassen und so blieben manche von uns in den Betten, ein anderer Teil hat zum Fenster hingeschaut und wieder andere vertrieben sich die Zeit mit irgend welchen Dingen. Ich hörte die Geräusche nahender Maschinen und war der Ansicht, dass es viele waren. Das Dröhnen der Flugzeug verstärkte sich, die Flugabwehr eröffnete das Feuer, gleichzeitig fielen Bomben und machten die Erde erzittern. Fenster klirrten, das Haus bebte, hell auflodernder Feuerschein warf grelle Farben an die Wände. Ich glaubte, die Hölle sei los. Bomben fielen näher, dann weiter von uns. Balken krachten, – Dielen ächzten, – Splitter sausten durch die Luft und oft verirrten sich surrende Stahlstücke in unser Zimmer. In einem hellen Ton pfiffen sie gegen die Wand, rissen den Verputz weg und blieben in den Ziegeln. Brennende Trümmer flogen an den Fenstern vorbei. Mienen stürzten heulend in die Tiefe. Es dauerte Minuten, – es dauerte Stunden und immer war es noch so, als wollte die Erde zerbersten.
Keiner wusste mehr, ob wir noch lebten, alles das nur träumten, oder schon zu den Toten gehören.
Endlich, ich habe später erfahren, dass es nach zwei-einhalb Stunden war, ließ das Toben nach und wir könnten uns zu der aufgerissenen Wand, die vorher unser Fenster gewesen war, trauen und schauten hinaus.
Um uns brannte alles. [..] So lange die Fabrik noch brannte, brauchten wir nicht auszurücken. Als sich der Brand etwas gelegt hatte, kamen wir zum Schutträumen, aber in dem fast ebenen Trümmerfeld war nahezu nichts mehr zu ,räumenʼ. […]
Das Aufräumen dauerte etwa zwei Wochen, nach denen wir Befehl bekamen, das Lager zu räumen und uns wurde mitgeteilt, dass wir nach Dora in ein neues Lager gebracht würden.“
Aus: Julius Jambor, Unser Leben in der Hölle!, unveröffentlichter Zeitzeugenbericht, 1946/47. (Bundesarchiv Ludwigsburg)