
Maria Kosk wurde am 3. Mai 1930 als Maria Brzęcka im polnischen Łobżenica geboren. Mit ihrer Mutter und den Schwestern Halina und Krystyna lebte sie 1944 in Warschau. Ihr Vater war seit Kriegsbeginn verschollen. Mit 14 Jahren erlebte sie, wie die deutschen Besatzer im Sommer 1944 den Warschauer Aufstand niederschlugen. Wie einen Großteil der Bevölkerung, deportierte die SS auch die Familie Brzęcka nach Auschwitz. Über das KZ Ravensbrück gelangten die vier Frauen nach Meuselwitz. Die Mutter und ihre Schwester Krystyna kamen nach dem Luftangriff schwer verletzt in das KZ Ravensbrück. Maria und Halina überstanden das Außenlager und den Todesmarsch. Nach Kriegsende wurde Maria Brzęcka Architektin, gründete eine Familie und lebte bis zu ihrem Tod 2013 in Warschau.
Aus den Erinnerungen von Maria Kosk
Auf dem Weg nach Meuselwitz
„Heute besteigen wir überdachte Viehwaggons. Es ist sehr eng. Wir stehen alle so dicht beieinander, dass es unmöglich ist, ein Bein anzuwinkeln oder sich hinzusetzen. An einer Wand des Waggons ist eine runde Öffnung in den Boden gelassen, um die Notdurft zu verrichten. Dorthin vorzudringen ist unmöglich. Ohne Essen und Trinken verspürt aber keine von uns das Bedürfnis dazu. Die Waggontür ist von außen verrriegelt. Keiner weiß, wohin wir fahren und wie lange die Reise dauern wird. […]
Endlich hält der Zug auf dem Gelände des nationalsozialistischen Konzentrationslagers K.L. BUCHENWALD, das viele Außenlager (Kommandos) besitzt. Wir stehen viele Stunden in den Waggons und fahren endlich wieder los. Wir fahren sehr lange und am nächsten Tag halten wir im Städtchen Meuselwitz. Wir sind da.“
Im Lager
„Die ebenerdigen Baracken, die Blocks, waren in drei Räume geteilt, die sogenannten Stuben. Diese waren für je fünfzig Häftlinge bestimmt. Jede Stube hatte einen eigenen Eingang. Ihr stand die Stubenälteste (sztubowa) vor, die des Deutschen mächtig war. Für jede Frau gab es eine mit einem Strohsack ausgestattete Einzelpritsche, die hier Koje hieß. Wir erhielten eine Schüssel, einen Becher und einen Löffel. Inmitten der Stube stand ein Ofen und vor dem Fenster ein Tisch mit Schemel. Nach den schrecklichen Lebensbedingungen in Auschwitz und Ravensbrück kam uns das neue Quartier luxuriös vor. […]
Nahezu alle Frauen, die Funktionen übernahmen, waren Polinnen. Lagerkommandant war der einäugige SS-Scharführer Heinz Blume. Ihm unterstanden 55 SS-Männer und Aufseherinnen. Blume hatte sein Auge an der Ostfront verloren. Ihm eilte ein schlechter Ruf voraus. Wir nannten ihn den ‚Wolf‘.“
Zwangsarbeit für die HASAG
„Die Fabrikhalle ist riesig. Wenn ich den Kopf hebe, erscheint die Decke so hoch wie der Sternenhimmel, den ich das letzte Mal in Warschau bewundert habe. Mittlerweile ist es Herbst. Es ist dunkel, wenn ich zur Arbeit gehe und zurückkehre. Soldaten gleich stehen die hohen Maschinen in der Halle. Sie wurden aufgestellt, damit ich schnell und präzise Gewinde für die Panzerfäuste drehe. Die Teile zum Drehen sind schwer, ölig und rutschen mir schnell aus der Hand – als ob sie wüssten, dass meine Hände für sie zu klein sind. Die Teile lassen sich nach dem Hochheben nur schwer in die dafür vorgesehene Öffnung schieben. Ich muss auf Zehenspitzen stehen, um hinaufzukommen, doch sind meine Holzschuhe nicht biegsam. Wenn ich sie ausziehe, kann ich einige Zentimeter höher reichen. […]
In der Halle sind keine Gespräche zu hören. Sie sind verboten. Nur wenn sich eine Frau an einer Maschine verletzt, ertönt ein Schrei. Eine Gefangene rammt sich in dem Moment, als wir zur Toilette gehen sollten, einen drehenden Bohrer in den Kopf. Sie war zu schnell aufgestanden. Dieser typische Lärm, das waren die Motoren der Maschinen. Der Meister, ein älterer Deutscher, sprach nicht mit mir. Halina meinte, er sei stumm. Eine ältere, kleine und korpulente auzjerka [Anm.: Aufseherin] läuft überall herum. Sie beaufsichtigt uns. Die Deutschen benötigen Waffen. Diese Waffenfabrik muss effizient arbeiten. Weiter, schneller, schneller, noch schneller, eine Maschine bedienen, umdrehen, Gewinde schneiden auf der anderen, hinter meinem Rücken stehenden Maschine.
Ich kann nicht Schritt halten. Meine brennenden Augen schließen sich. Ich weine sogar nicht mehr. Schlafen, schlafen. Meine Beine schmerzen so sehr. Ich stehe schon seit mehreren Stunden und noch viele Stunden liegen vor mir. Ich könnte mich auf den Rand der Kiste setzen, doch das ist verboten. Ich darf nicht einschlafen. […] Wenn ich einschlafe, droht mir der Tod. Wenn ich mich auch nur an die Kiste lehne, werde ich bestraft. Ich fürchte mich so vor der Prügelstrafe.“
Aus: Maria Brzęcka-Kosk, Als Mädchen im KZ Meuselwitz. Bearbeitet von Anna Friebel, Bernd Karwen und Julia Spohr, aus dem Polnischen von Christhardt Henschel, Dresden 2016.