Sonneberg

14. September 1944 – 3. April 1945

Das Lager

In der Hallstraße 39 zwischen den Ortschaften Bettelhecken und Wildenheid errichtete die Leipziger Maschinenbaufirma G. E. Reinhard ab 1937 ein neues Zahnradwerk. Es lag westlich des Stadtzentrums von Sonneberg in einem Waldgebiet nahe der thüringisch-bayerischen Landesgrenze. Sein offizieller Name lautete „Thüringer Zahnradwerk m.b.H. Sonneberg“. Auf dem Werksgelände ließ die Betriebsführung 1941 erste Unterkunftsbaracken für ausländische Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter bauen. Ab September 1944 wurden in ihnen männliche KZ-Häftlinge untergebracht, nachdem die Werksleitung bei der SS mehrere Hundert angefordert hatte. Berichten zufolge war der nun als Häftlingslager genutzte Bereich des Werksgeländes von einem elektrisch geladenen Stacheldraht umzäunt. Die Werkhallen befanden sich in unmittelbarer Nähe und waren durch einen Fußmarsch von rund zehn Minuten zu erreichen. Die Buchenwalder SS führte das neue Außenlager als „Arbeitslager Sonneberg-West“.

Die Häftlinge

In der Buchenwalder Lagerverwaltung galt das Lager Sonneberg-West als eines der „jüdischen Außenkommandos“. Mit Ausnahme einzelner nicht jüdischer Funktionshäftlinge setzte die SS hier ausschließlich jüdische Häftlinge unterschiedlicher Nationalität ein. Der Großteil von ihnen stammte aus Polen, die zweitgrößte Gruppe aus Ungarn. Die ersten 260 Häftlinge schickte die SS am 14. September 1944 von Buchenwald nach Sonneberg. Fast alle von ihnen waren kurz zuvor aus dem Zwangsarbeitslager für Juden im polnischen Tschenstochau (Częstochowa) überstellt worden. Auch dort mussten die meisten von ihnen in einem Werk der Firma G. E. Reinhardt arbeiten. Weitere Transporte folgten. Am 17. November brachte die Buchenwalder SS 150 Häftlinge nach Sonneberg, von denen viele zuvor die Konzentrationslager Płaszów bei Krakau und Groß-Rosen durchlaufen hatten. Mitte Februar 1945 erreichte das Lager in Sonneberg mit über 470 Häftlingen seinen Höchststand.

„Sonneberg klingt so freundlich, und konnte ich mir nicht vorstellen, dass es hier eine Hölle gibt und noch ein Fegefeuer dazu.“
Erwin Liffmann
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Zwangsarbeit

In den Hallen des Zahnradwerks stellten deutsche Arbeiter, Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter Teile für Flugzeuge der Junkerswerke, für Panzer und wohl auch für die sogenannten V-Waffen her. Die KZ-Häftlinge arbeiteten zumeist in der Härterei oder bedienten Präzisionsdrehbänke. Deutsche Vorarbeiter und Meister, von denen einige auch in Tschenstochau eingesetzt waren, beaufsichtigten sie und leiteten sie an. Es gab 12-stündige Tag- und Nachtschichten von 6 bis 18 Uhr und von 18 bis 6 Uhr mit einer nur halbstündigen Pause – dies galt ebenso für Sonn- und Feiertage, wenn auch teilweise in reduzierter Form. Daneben mussten Häftlinge beim Bau eines Luftschutzstollens und bei der Räumung von Trümmern nach einem Luftangriff auf Sonneberg helfen. Kleinere Gruppen, für den Betrieb des Lagers verantwortlich, arbeiteten in der Häftlingsküche, in der Wäscherei, als Heizer, Schuster, Schneider oder Frisöre.

Krankheit und Tod

Im Lager kümmerte sich der belgische politische Häftling Louis de Tournay als Lagerarzt um die Kranken und Verletzten. Ihn unterstützte der jüdische Häftling Arno Steiner, ein Arzt aus Prag. Der für Sonneberg zuständige SS-Sanitäter, Oberscharführer Eger, beaufsichtigte sie gemeinsam mit dem Werkarzt des Unternehmens. Ende Oktober 1944 befanden sich durchschnittlich zehn Häftlinge in stationärer Behandlung oder wurden als „Schonungskranke“ zeitweise von der Zwangsarbeit freigestellt. Im Werk waren die Arbeitsbedingungen besser als auf Baustellen mit körperlicher Schwerstarbeit. Die Häftlinge in Sonneberg litten vor allem unter den Übergriffen der SS und der unzureichenden Ernährung. Berichten zufolge war sie noch schlechter als in anderen Lagern. Bis Anfang April 1945 meldete die Lagerleitung aus Sonneberg fünf Tote an das Stammlager Buchenwald. Die meisten von ihnen starben an „allgemeiner Körperschwäche“. Die Totenscheine füllte ein Arzt aus Sonneberg aus. Danach wurden die Leichen im Krematorium der Stadt eingeäschert.

Urnendeckel aus dem Krematorium in Sonneberg
Urnendeckel aus dem Krematorium in Sonneberg. Der 21-jährige Lolek Glazer aus Łódź starb am 22. Dezember 1944 in Sonneberg. Seine Leiche wurde zwei Tage später eingeäschert und die Urne nach Buchenwald geschickt. Mitarbeiter der Gedenkstätte finden 1997 bei Restaurierungsarbeiten im Dachstuhl des Krematoriums über 700 Urnen – darunter auch diesen Urnendeckel. ©Gedenkstätte Buchenwald

Bewachung

Der Buchenwalder Lagerkommandant Hermann Pister plante im Vorfeld der Lagergründung 31 Posten für die Bewachung in Sonneberg ein. An dieser Größenordnung änderte sich in den folgenden Monaten wenig. Ende Januar 1945 bestand die Wachtruppe aus insgesamt 33 Männern. Mindestens ein Teil von ihnen war erst 1944 von der Wehrmacht für den Dienst im Konzentrationslager zur SS versetzt worden. Als Kommandoführer fungierte der aus Franken stammende SS-Oberscharführer Johann (Hans) Neubing (1890-1965). Verschiedene Strafgerichte befassten sich mit den Vorgängen in Sonneberg. Ein US-Militärgericht verurteilte 1947 den SS-Mann Heinrich Buuck wegen Erschießungen während der Räumung des Lagers zum Tode. Von einem sowjetischen Militärtribunal erhielt 1947 der SS-Mann Paul Hiller eine Haftstrafe von 25 Jahren. Gerichte im thüringischen Mühlhausen, in Hannover und Marburg beschäftigten sich ebenfalls mit der Räumung des Lagers. Die Verfahren endeten mit Haftstrafen und Freisprüchen.

Räumung

Anfang April 1945 meldete das Außenlager Sonneberg eine Stärke von 467 Häftlingen. Vermutlich am 3. April räumte die SS das Lager und trieb die Häftlinge in Richtung Lehesten. Bereits auf diesem Weg kam es zu ersten Erschießungen. Nach einigen Tagen kehrte die SS mit den Häftlingen jedoch nach Sonneberg zurück. Kurz vor der Ankunft der amerikanischen Truppen drängte die SS die Häftlinge am 9. oder 10. April erneut auf einen Todesmarsch. Über Wochen marschierten die Häftlinge in Richtung Tschechoslowakei. Die Marschroute änderte sich wiederholt. Unterwegs ermordete die SS-Begleitmannschaft aus Sonneberg zahllose Häftlinge, die nicht mehr weiterlaufen konnten. Ihre Leichen wurden an der Wegstrecke verscharrt. Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt. Überlebende berichteten von deutlich mehr als 100 Toten. Einer ebenfalls unbekannten Zahl von Häftlingen gelang die Flucht. Erst die Ankunft amerikanischer Truppen beendete den Todesmarsch aus Sonneberg Anfang Mai rund 50 Kilometer vor Prag.

Spuren und Gedenken

Das Zahnradwerk produzierte ab Sommer 1945 zunächst wieder Zahnräder. 1946 begann auf Beschluss der Sowjetischen Militäradministration die Demontage des Werks, um es in die UdSSR zu bringen – die Überreste auf dem Werksgelände ließ man 1947 sprengen. Bis 1989 lag das Werks- und Lagergelände im Sperrgebiet der deutsch-deutschen Grenze und durfte nicht betreten werden. 1977 wurde rund 300 Meter nördlich des Eingangs zum Werksgelände an der Hallstraße ein Mahnmal zur Erinnerung an den Beginn des Todesmarsches errichtet. Entlang dieser Route konnten in den 1980er-Jahren weitere Gedenkstelen in Sonneberg und Umgebung aufgestellt werden. Am Schustershieb in Steinach erinnert seit 1977 ein Gedenkstein an acht während des Todesmarsches an dieser Stelle ermordete Häftlinge des Außenlagers Sonneberg.

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Gedenkstein an der Hallstraße in Sonneberg, 2012. Foto: Störfix
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Gedenkstein an der Hallstraße in Sonneberg, 2012. Foto: Störfix ©Lizenz: Creative Commons by-sa 3.0 de (Wikipedia)
Gedenkstein am Schustershieb in Steinach, 2012. Foto: Störfix
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Gedenkstein am Schustershieb in Steinach, 2012. Foto: Störfix ©Lizenz: Creative Commons by-sa 3.0 de (Wikipedia)

Literatur:

Gerhard Stier, Zwangsarbeit in Sonneberg – Das Beispiel Zahnradwerk, Sonneberg 2001.


Erwin Liffmann in Häftlingskleidung, Juni 1945
Erwin Liffmann in Häftlingskleidung, Juni 1945 ©Jewish Holocaust Centre Melbourne
„Sonneberg klingt so freundlich, und konnte ich mir nicht vorstellen, dass es hier eine Hölle gibt und noch ein Fegefeuer dazu.“

Erwin Liffmann

Erwin Liffmann wurde am 2. August 1914 in Mönchengladbach in eine jüdische Familie geboren. 1941 deportierte die Gestapo ihn, seinen Vater und seine Geschwister in das Ghetto Litzmannstadt. Den gelernten Fleischer brachten sie von dort im März 1944 zur Zwangsarbeit nach Tschenstochau. Seine Familie sah er nie wieder. Über Buchenwald kam er im September 1944 nach Sonneberg. Auf dem Todesmarsch gelang ihm die Flucht. 1946 emigrierte er nach Australien, wo er 2010 starb.



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