
Max Hollweg wurde am 7. Dezember 1910 in Remscheid geboren. Er war das sechzehnte Kind einer der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas zugehörigen Familie. Aus Not zog die Großfamilie 1918 nach Marienfels im Taunus. Er absolvierte eine Maurerlehre und wirkte ab 1930 missionarisch für die Zeugen Jehovas. Da er sich weigerte, in NS-Organisationen beizutreten, verlor er wiederholt seine Arbeit. Die Gestapo verhaftete ihn 1938 und wies ihn in das KZ Buchenwald ein. Schwer gezeichnet von Krankheiten und Misshandlungen, kam er im Mai 1940 nach Wewelsburg, wo er später als Häftlingssanitäter eingesetzt wurde. Noch vor der Befreiung lernte er dort im benachbarten Umsiedlerlager seine spätere Ehefrau kennen. Sie blieben zunächst in Wewelsburg und zogen 1950 in die Gemeinde Schlangen (Kreis Lippe), wo Max Hollweg als Heilpraktiker tätig war. Er starb 2003.
Aus den Erinnerungen von Max Hollweg
Das Lager
„Transport für Transport wird zusammengestellt, um das Lager aufzulösen. […] Ein Arbeitskommando von einundvierzig Zeugen Jehovas und zwei politische Häftlinge bleiben in Wewelsburg, um die Pflege der Burg aufrechtzuerhalten. Zu unserem Wachpersonal gehören vierzehn SS-Männer und ein Kommandoführer. Wir werden wieder dem KZ Buchenwald unterstellt. Die Korrespondenz zwischen dem Arbeitskommando und dem Lager Buchenwald erledigt die Burgverwaltung.... Das nun leerstehende Lager des ehemaligen KZ Niederhagen wird Flüchtlingslager für die ursprünglich kurze Zeit vorher auf polnisches Gebiet ausgesiedelten ‚Volksdeutschen‘. Unser Arbeitskommando baut sich im ehemaligen Industriehof eine Tischlerwerkstatt als Unterkunft aus. Für das Wachkommando wird an den Industriehof angrenzend eine neue Baracke mit Küche und weiteren Wirtschafträumen angebaut. Ein neuer Zaun mit einer 360-Volt-Starkstromleitung wird nach dem alten Muster gebaut… Kaum einer von uns denkt an Flucht. Es ist auch zwecklos, weil die Kraft fehlt und eine Orientierung nicht möglich ist. Unkalkulierbare Risiken sowie Angst vor einem Scheitern kommen dazu.“
Selbstbehauptung
„Also müssen die Anschlüsse so gelegt werden, daß die Kontrollleuchten zwar brennen können, aber kein Strom in den Zaun gelangt. […] Mit dieser Prozedur legen wir die Grundlage für eine zweijährige Untergrundtätigkeit. Sozusagen unter den Augen der SS vervielfältigen wir den ‚Wachturm‘ und andere biblische Literatur und lassen sie durch Kurierdienste verbreiten. Auf die nächtlichen Kontrollen werden wir durch ein gut funktionierendes Lichtsignal aufmerksam gemacht. Ansonsten weihen wir uns untereinander möglichst wenig oder gar nicht in unser kleines Unternehmen ein, so spielt jeder seine Rolle und kennt die des anderen nicht. […] Bruder Erich Polster ‚organisiert‘ eine Schreibmaschine, beschreibt Matrizen und vervielfältigt biblische Botschaften. Andere führen Korrespondenz mit Glaubensbrüdern, empfangen am Bahnhof Boten mit dem ‚Wachturm‘ und Papier.“
Vertragsarzt
„Der Bürener Arzt Dr. Hagel ist unser Lagerarzt. Er wird nur dann gerufen, wenn ich mit schweren Fällen nicht allein zurechtkomme. […] Über seine gefühllose Art bin ich jedesmal wieder entsetzt. Die Patienten schreien jedesmal vor Schmerzen. Als Bruder Willi Krause einen gefährlichen Karbunkel im Nacken hat, den man vorsichtig herausschneiden muß, assistiere ich. Die anschließende Gesundpflege überläßt er mir komplett.“
„Volksdeutsche“
„Im Flüchtlingslager gibt es ständig irgendetwas instandzusetzen, so daß wir zu dritt oder viert unter Bewachung unter anderem Kochkessel reparieren, auch des nachts, weil wir tagsüber woanders eingesetzt werden […] Im Flüchtlingslager habe ich viele Gelegenheiten, ein biblisches Gespräch zu führen, sozusagen ‚Zeugnis‘ zu geben […] Der Lagerführer des Flüchtlingslagers übergibt mir die Verantwortung für die Öfen in den Baracken. […] So bringt man mich morgens ins Flüchtlingslager und holt mich abends wieder ab. Für den Zutritt zu sämtlichen Baracken bekomme ich einen Universalschlüssel. Ein Blecheimer enthält mein Werkzeug und das notwendige Material. Ich stelle neue Öfen auf und repariere beschädigte. […] Im Flüchtlingslager befinden sich vorwiegend Frauen und Kinder, Alte und Kranke. Alle wehrpflichtigen Männer sind eingezogen worden. […] Die Flüchtlinge sind Volksdeutsche, die im ursprünglichen Polen angesiedelt werden sollten., aber als der Zusammenbruch näherkommt, werden sie in den Westen verfrachtet. Man hält sie von der gewöhnlichen Bevölkerung fern, damit niemand erfährt, wie es wirklich um den ‚Endsieg‘ steht.“
Aus: Max Hollweg, Es ist unmöglich von dem zu schweigen, was ich erlebt habe. Zivilcourage im Dritten Reich, Bielefeld 1997, S. 125 f.