Leau

22. August 1944 – 14. April 1945

Das Lager

Ende April 1944 beauftragte das Reichsluftfahrtministerium die Leipziger Allgemeine Transportanlagen GmbH (kurz ATG), ihre Flugzeugproduktion in unterirdische Salzstollen in Plömnitz bei Bernburg an der Saale zu verlagern. Das Vorhaben erhielt den Tarnnamen „Leopard“. Für die Vorbereitung der Verlagerung wurden vor Ort Zivilarbeiter, Kriegsgefangene, Strafgefangene und Zwangsarbeiter zusammengezogen. Anfang August 1944 sondierte der Buchenwalder Arbeitseinsatzführer die Bedingungen für den sofortigen Einsatz von bis zu 1.000 KZ-Häftlingen. Die kurz darauf eintreffenden ersten Häftlinge mussten in einem Zelt nahe der Schachtanlage Plömnitz schlafen. Nach der Ankunft weiterer Transporte ließ die SS untertage, in über 400 Metern Tiefe, eine provisorische Unterkunft für fast 500 Häftlinge einrichten. Ab Ende Dezember 1944 erfolgte die Unterbringung in einem eilig errichteten Barackenlager am Ortsrand von Leau. Für 1.000 männliche und 1.000 weibliche KZ-Häftlinge sowie 500 Zwangsarbeiter ausgelegt, bestand es aus massiven Baracken, umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen. Die sechs Baracken des Männerlagers waren mit über 1.400 Häftlingen belegt. In der Lagerverwaltung der SS trug das neue Außenlager die Bezeichnung „Plömnitz“ oder später „Arbeitslager Leau“.

Die Häftlinge

Am 22. August 1944 trafen die ersten 600 Häftlinge aus Buchenwald an der Schachtanlage in Plömnitz ein. Neben 13 mehrheitlich deutschen Funktionshäftlingen um den als Lagerältesten eingesetzten 25-jährigen politischen Häftling Hans Schüler handelte es sich nahezu ausschließlich um politische Häftlinge aus Polen. Die meisten von ihnen waren erst kurz zuvor im Rahmen der blutigen Niederschlagung des Warschauer Aufstandes von den deutschen Besatzern nach Deutschland deportiert worden. Mitte September und Ende Oktober 1944 brachte die SS weitere 900 Häftlinge aus Buchenwald nach Plömnitz bzw. Leau – mehrheitlich als politische Häftlinge registrierte Männer aus Frankreich, Italien, Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, Belgien und anderen Ländern. Unter ihnen befanden sich einzelne Jugendliche. Die meisten Häftlinge waren mittleren Alters und nicht an schwere körperliche Arbeit gewöhnt. Mit der Ankunft des Oktobertransportes stieg die Belegung des Männerlagers auf ihren Höchststand von 1.486 Häftlingen.

„450 Meter geht es in einer Minute nach unten. Man findet sich in schlecht belüfteten Stollen wieder. Die Wände sind in das Salz gegraben. Durch riesige Gänge werden wir in einen Raum geführt, der mit langen Reihen von Bettgestellen ausgestattet ist.“
François Jacquemin
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Organisation Todt-Bauleitung Bernburg, Abschnittsleitung Ingenieurbüro Schlempp, Berlin, führte die Arbeiten des Verlagerungsprojektes durch. Bauleiter war der Berliner Architekt Heinrich Sander. Bei der SS galt das Projekt „Leopard“ als besonders schweres Kommando. Nur jeder sechste Häftling kam aus einem Bauberuf, die übrigen mussten schwerste Hilfsarbeiten verrichten. Im Salzschacht Plömnitz arbeiteten sie in zwei Schichten bei der Erweiterung der Stollen und beim Ausbau der Kammern in mehreren hundert Metern Tiefe. Sie mussten Abraum beräumen und Fundamente betonieren. Dafür wurden kaum technische Hilfsmittel eingesetzt. Ende Dezember 1944 begann der Antransport der für die Fertigung vorgesehenen Maschinen und ihre Aufstellung im Schacht Plömnitz I. Übertage mussten das Barackenlager und die Bunker gebaut werden. In den hundert Tagen bis Weihnachten gab es nur zwei arbeitsfreie Tage. Eine Aufstellung vom April 1945 weist Arbeitsorte in Peißen und Plömnitz untertage (Tag- und Nachtschicht), in Plömnitz übertage, Baalberge, Klein-Wirschleben, Leau sowie in einer Ziegelei aus.

Blick in einen der Stollen im Schacht Plömnitz, wo die Häftlinge arbeiten mussten, 5. Mai 1945. Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps)
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Blick in einen der Stollen im Schacht Plömnitz, wo die Häftlinge arbeiten mussten, 5. Mai 1945. Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Eine Zementmischmaschine in einem der Stollen im Schacht Plömnitz, 5. Mai 1945.Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps)
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Eine Zementmischmaschine in einem der Stollen im Schacht Plömnitz, 5. Mai 1945.Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Drehbänke und andere Maschinen in einem der Stollen im Schacht Plömnitz, 5. Mai 1945. Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps)
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Drehbänke und andere Maschinen in einem der Stollen im Schacht Plömnitz, 5. Mai 1945. Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Ein amerikanischer Soldat an einer Bohrmaschine in einem Stollen im Schacht Plömnitz, 5. Mai 1945. Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps)
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Ein amerikanischer Soldat an einer Bohrmaschine in einem Stollen im Schacht Plömnitz, 5. Mai 1945. Foto: Robert D. Elliot (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland

Krankheit und Tod

Im März 1945 gab es 83 Häftlinge in der Krankenbaracke in Leau. Der französische Häftlingsarzt Jean Fousserret aus Lyon arbeitete dort mit vier Häftlingspflegern. Sie versorgten täglich über 150 Häftlinge ambulant. Der SS-Sanitäter Alfred Sträuber und der Vertragsarzt Dr. Naumann hatten die Aufsicht. Mangelnde hygienische Einrichtungen blieben ein ständiges Problem und Durchfall somit die häufigste Erkrankung. Die hohe Sterblichkeit, die im Winter 1944/45 einsetzte, war vor allem eine Folge gravierender Unterernährung. Die dafür verantwortliche OT-Bauleitung veranschlagte für die Ernährung Tagessätze, die bei Schwerstarbeit zur völligen Auszehrung führten. Der Buchenwalder Lagerarzt konstatierte im März 1945 für die Häftlinge in Leau einen „chronischen Hungerzustand“. Bis Ende März 1945 starben vor Ort 343 Häftlinge und somit ein Viertel der Lagerbelegung: Herzschwäche und Lungenerkrankungen zählten zu den am häufigsten festgestellten Todesursachen. Leau gehörte damit zu den Außenlagern mit der höchsten Sterblichkeit. Die meisten Toten wurden direkt neben dem Lager, am örtlichen Friedhof, und an anderen Orten verscharrt. Zudem sind Einäscherungen im Krematorium in Dessau belegt.

Bewachung

Kommandoführer in Leau war SS-Oberscharführer Johannes Schmidt (geb. 1896), sein Stellvertreter Sturmscharführer Geweke. Die Wachmannschaft bestand im März 1945 aus 96 SS-Männern. Hinzu kamen zehn Aufseherinnen des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Frauenlagers sowie zehn Polizisten. Zur Bewachung setzte die SS auch Hunde ein. Überlebende berichteten später über zahllose Gewaltübergriffe durch die SS.
Ein amerikanisches Militärgericht in Dachau verurteilte 1947 die beiden Wachmänner Ignatz Seitz und Johannes Volk wegen Verbrechen auf dem Todesmarsch aus Leau zu Haftstrafen von jeweils zehn Jahren. Weitere Verfahren sind nicht bekannt.
Mitte der 1960er-Jahre gab es öffentliche Vorwürfe gegen den damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke wegen seiner Beteiligung am Bauprojekt „Leopard“. Lübke arbeitete für das Ingenieurbüro Schlempp und nahm vor Ort an wenigstens einer Beratung teil, in der es um die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen ging. Er erhielt somit Kenntnis von den Zuständen, die maßgeblich von der Bauleitung zu verantworten waren.

Räumung

Am 10. April 1945 befanden sich noch 1.047 männliche KZ-Häftlinge vor Ort. Zwei Tage später begann die Räumung des Lagers. Die SS ließ etwa 200 kranke und schwache Häftlinge in der Krankenbaracke zurück, die übrigen gingen auf einen Fußmarsch Richtung Osten. Der Zug bewegte sich vor allem über Feldwege. Die erste Nacht verbrachten sie in einer Scheune bei Köthen. Auf dem Weg Richtung Dessau wurden am zweiten Tag Häftlinge, die nicht mehr weiterkonnten, erschossen. Am 14. April, am selben Tag, als amerikanische Truppen die zurückgebliebenen Häftlinge in Leau befreiten amerikanische Soldaten auch die Marschkolonne bei Hinsdorf, südwestlich von Dessau befreit.

Spuren und Gedenken

Amerikanische Ermittler ließen im Mai 1945 insgesamt 358 verscharrte Leichname von Häftlingen des Männerlagers exhumieren und in Einzelgräbern auf dem Friedhof Leau direkt neben dem Lager beisetzen. Ende 1947 wurden sie auf den Martinsplatz in Bernburg umgebettet, wo seit Spätherbst 1948 ein Denkmalobelisk steht.
1945/46 erfolgte die Demontage des Schachtes Plömnitz und 1974/75 die Flutung der Grube in Plömnitz/Peißen. Auf dem Gelände, auf dem das Barackenlager stand, befindet sich heute der Ortsteil Leauer Siedlung. Das ehemalige Männerlager existiert nicht mehr, mindestens drei Gebäude des ehemaligen Frauenlagers in der heutigen Leauer Siedlung werden als Wohnhäuser genutzt. Seit 1956 erinnert ein Gedenkstein auf dem angrenzenden Friedhof an das Lager – im April 2025 durch eine Informationstafel ergänzt. Sie entstand auf Anregung einer lokalen Arbeitsgruppe.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf dem Friedhof in Leau
Link zum Standort der Grabstätte Martinsplatz in Bernburg

Kontakt:
Joachim Grossert
E-Mail: joachim.grossert@gmx.de

Der Gedenkstein auf dem Friedhof in Leau, 2024. Foto: Kerstin Schmidt
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Der Gedenkstein auf dem Friedhof in Leau, 2024. Foto: Kerstin Schmidt ©Stadt Bernburg
Obelisk mit namentlicher Nennung sowjetischer Opfer auf dem Martinsplatz, 2025. Foto: Kerstin Schmidt
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Obelisk mit namentlicher Nennung sowjetischer Opfer auf dem Martinsplatz, 2025. Foto: Kerstin Schmidt ©Stadt Bernburg

François Jacquemin nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), 1944
François Jacquemin nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), 1944 ©Erkennungsdienst der SS (Arolsen Archives)
„450 Meter geht es in einer Minute nach unten. Man findet sich in schlecht belüfteten Stollen wieder. Die Wände sind in das Salz gegraben. Durch riesige Gänge werden wir in einen Raum geführt, der mit langen Reihen von Bettgestellen ausgestattet ist. “

François Jacquemin

François Jacquemin kam am 21. Mai 1923 in Paris zur Welt. Weil er Mitglied der Widerstandsgruppe „Turma-Vengeance“ war, verhaftete die Gestapo den Studenten im Januar 1944. Ende April 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert und zwei Wochen später nach Buchenwald verlegt. Ab Oktober 1944 musste er im Außenlager Leau Zwangsarbeit leisten. Nach seiner Befreiung auf dem Todesmarsch aus Leau kehrte François Jacquemin nach Frankreich zurück. Dort veröffentlichte er bereits im Juli 1945 unter dem Pseudonym „André Blécourt“ einen Bericht über seine KZ-Haft. Danach arbeitete er als Maler und engagierte sich für die Erinnerung an die Résistance. François Jacquemin starb 1988 in seiner Geburtsstadt.



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