Magdeburg-Polte (Frauen)

1. September 1944 – 13. April 1945

Das Lager

Mitten in einem Wohngebiet nahe des Stadtzentrums von Magdeburg befand sich in der Poltestraße (heute Liebknechtstraße) das Hauptwerk des Rüstungskonzerns Polte-Metallwarenfabrik OHG. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Werks richtete das Unternehmen im Juni 1944 mit der SS ein Außenlager des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück ein. Zum 1. September 1944 wurde es in die Verwaltung des KZ Buchenwald übernommen. Die Frauen waren in einer unbekannten Zahl von Holzbaracken untergebracht: mit kahlen Betonböden, unverglasten Fenstern, unbeheizten Unterkünften mit dreistöckigen Betten und nur teilweise mit Waschräumen ausgestattet, die nur kaltes Wasser hatten. Räumlich getrennt von den Frauen entstand im November 1944 auf demselben Gelände ein KZ-Außenlager für männliche Häftlinge. Das Areal, das durch einen elektrisch geladenen Zaun und zum Teil durch eine Mauer abgeriegelt war, lag unweit der Unterkünfte für ausländische zivile Zwangsarbeitende.

Die Häftlinge

Bei der Übernahme des Lagers durch das KZ Buchenwald befanden sich über 1.800 Frauen zwischen 14 und 61 Jahren im Lager an der Poltestraße. Der weitaus größte Teil von ihnen kam aus der Sowjetunion und Polen. Viele der Frauen waren ursprünglich als Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland gebracht worden. Weitere stammten u.a. aus Italien, Frankreich, Jugoslawien, Litauen oder Deutschland. Sie galten als politische Häftlinge. Ab Herbst 1944 wuchs die Belegung des Lagers weiter. Aus Ravensbrück brachte die SS u.a. rund 550 Polinnen nach Magdeburg. Bei der Zerschlagung des Warschauer Aufstandes waren viele von ihnen Monate zuvor verschleppt worden. Doch die Poltewerke forderten noch mehr Arbeitskräfte. Im November und Dezember 1944 überstellte die SS deshalb 600 Jüdinnen, vorwiegend aus Polen und Ungarn, aus den Konzentrationslagern Stutthof und Bergen-Belsen nach Magdeburg. Viele hatten bereits zahlreiche Ghettos und Lager überlebt. Mit insgesamt mehr als 3.000 Frauen wurde das Lager bei den Poltewerken nach Leipzig-Schönefeld das zweitgrößte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald.

„Wir waren immer im Lager, durften nicht heraus. Das Lager war mit dem Stacheldraht umzäunt, auf dem Gelände stand ein Galgen.“
Tatjana Burjak
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Polte-Metallwarenfabrik OHG hatte sich auf die Herstellung von Munition und Geschosshülsen spezialisiert und beschäftigte während des Krieges 20.000 Menschen allein in Magdeburg – zu großen Teilen Zwangsarbeitende. Zu unterschiedlichen Arbeiten eingeteilt, mussten die weiblichen Häftlinge ohne geeigneten Schutz Beizen, Lackieren, Putzen, Bohren sowie an den Geschosshülsenpressen Zwangsarbeit leisten. Gearbeitet wurde in Tag- und Nachtschichten von 6 bis 18 Uhr und von 18 bis 6 Uhr mit jeweils einer Stunde Pause. Deutsche zivile Meister und Vorarbeiter leiteten die Häftlinge an und beaufsichtigten sie. Im Gegensatz zu den Männern, die zum Teil als spezialisierte Facharbeiter anerkannt wurden, galten alle Frauen als ungelernte Arbeitskräfte, für die der Betrieb täglich vier Reichsmark an die SS zahlte. Mit Prämien versuchte die Werksleitung, die Einsatzbereitschaft der ausgehungerten Häftlinge zu steigern. Nach einem flächendeckenden Luftangriff auf Magdeburg ging die Produktion im Werk ab Mitte Januar 1945 zurück.

Krankheit und Tod

Aufgrund der Größe des Lagers kümmerten sich zuletzt fünf Häftlingsärztinnen um die Krankenversorgung vor Ort. Die Zahl der Kranken lag hoch. Im März 1945 waren täglich über 100 Frauen nicht einsatzfähig. Die katastrophalen sanitären Verhältnisse im Frauenlager führten laut einem Bericht der SS zu Krätze, Entzündungen, Magen- und Darmerkrankungen, Geschwüren und Tuberkulose. Belegt sind zudem eine Grippeepidemie und Fälle von Typhus. Regelmäßig schob die SS nicht mehr arbeitsfähige Frauen nach Ravensbrück oder Bergen-Belsen ab, darunter zahlreiche Schwangere. Im Lager selbst sind für Februar und März 1945 drei Geburten dokumentiert. Seit September 1944 starben mindestens 18 Frauen vor Ort in Magdeburg, darunter die 22-jährige Russin Tatjana Uljanowa. Weil man ihr Sabotage vorwarf, ließ die SS sie erhängen – die einzig bisher bekannte Hinrichtung in einem Buchenwalder Frauenaußenlager. Anna Peczenik und Maria Lisiza brachte die SS in das Hauptlager Buchenwald, wo sie unter ungeklärten Umständen ums Leben kamen.

Bewachung

Ende März 1945 bestand die Wachmannschaft aus 87 SS-Männern, die auch zur Bewachung des Männerlagers eingesetzt waren, und 47 Aufseherinnen. Unter dem SS-Personal befand sich der für seine Gewalt berüchtigte Hans Hoffmann, der zusammen mit anderen SS-Männern mit dem Häftlingstransport aus dem KZ Stutthof in Magdeburg eintraf. Von den verschiedenen Kommandoführern sind nur zwei namentlich bekannt: von November 1944 bis Ende Januar 1945 SS-Oberscharführer Andreas Hochwarth und für Februar 1945 ein SS-Hauptsturmführer namens Jaeckel.
Eine umfassende strafrechtliche Verfolgung der Täter fand nach 1945 nicht statt. 1951 kam es in Magdeburg zur Verurteilung von drei ehemaligen Volkssturmmännern wegen der Beteiligung an einem Massaker bei der Räumung des Lagers. In der Revision ein Jahr später wurden die Haftstrafen jedoch wieder aufgehoben. Ermittlungen wegen der Hinrichtung von Tatjana Uljanowa blieben 1977 ergebnislos.

Räumung

Am 11. April 1945 setzten sich Teile der SS-Wachmannschaft aufgrund der befürchteten Ankunft amerikanischer Einheiten ab. Viele Häftlinge nutzten die unübersichtliche Lage, um zu fliehen und sich in den Trümmern der Stadt zu verstecken. Am 13. April trieben SS-Wachen und Männer des Magdeburger Volkssturms die verbliebenen Männer und Frauen der beiden Lager zusammen. Hierbei scheint es zu ersten Erschießungen gekommen zu sein. Sie zwangen die Häftlinge, über die Elbe bis zum Gelände des Sportstadions „Neue Welt“ zu laufen. Dort gerieten sie unter Beschuss amerikanischer Artillerie. Die SS-Wachen und Volkssturmmänner schossen auf alle Häftlinge, die sich in Sicherheit zu bringen versuchten. Vor allem unter den Frauen gab es zahlreiche Tote und Verletzte. Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt. Die überlebenden Männer wurden in einem tagelangen Gewaltmarsch in das KZ Sachsenhausen getrieben, die Frauen in das Frauen-KZ Ravensbrück. Wie viele von ihnen unterwegs ums Leben kamen, ist nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Die sowjetische Besatzungsmacht stellte die Polte-Werke OHG Magdeburg zunächst unter Zwangsverwaltung und enteignete sie später. 1948 erfolgte die Umwandlung in einen volkseigenen Betrieb. Was mit den Baracken des Außenlagers geschah und wann diese abgebaut wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. In der Liebknechtstraße erinnert seit den 1980er-Jahren das zum Mahnmal umgewidmete steinerne Eingangstor des Lagers an die Geschichte des Ortes. 2008 um eine Gedenktafel ergänzt und 2020 neugestaltet, finden dort jährlich Gedenkveranstaltungen statt. An der Berliner Chaussee 217 ehrt ein Gedenkstein die Toten des Massakers im Stadion „Neue Welt“.

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Link zum Standort des Gedenksteins im Stadion „Neue Welt“ auf GoogleMaps

Literatur:

Irmgard Seidel, Magdeburg (Polte-Werk OHG) (Frauen), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen und Buchenwald, München 2006, S. 515-517.

Pascal Begrich, Das Frauen-KZ der Polte OHG in Magdeburg, in: Detlef Schmiechen-Ackermann u. Steffi Kaltenborn (Hg.), Stadtgeschichte in der NS-Zeit, Münster 2005, S. 123-134.


Tatjana Anpilova (obere Reihe, zweite von links) mit anderen Displaced Persons nach ihrer Befreiung in Deutschland, 1945
Tatjana Anpilova (obere Reihe, zweite von links) mit anderen Displaced Persons nach ihrer Befreiung in Deutschland, 1945 ©Gedenkstätte Buchenwald
„Wir waren immer im Lager, durften nicht heraus. Das Lager war mit dem Stacheldraht umzäunt, auf dem Gelände stand ein Galgen.“

Tatjana Burjak

Tatjana Burjak wurde als Tatjana Anpilova am 5. Dezember 1922 in Bor-Anpilovka im westlichen Teil des heutigen Russlands geboren. Die deutschen Besatzer verschleppten sie 1942 als Zwangsarbeiterin nach Deutschland. In einer Fabrik im sächsischen Seifhennersdorf musste sie Fallschirme herstellen. Wegen eines Fluchtversuchs wies die Gestapo sie im Frühjahr 1943 in das KZ Ravensbrück ein. Seit Juni 1944 musste sie im Außenlager bei den Poltewerken arbeiten. Beim Todesmarsch aus Magdeburg gelang ihr die Flucht. Nach der Rückkehr in die Sowjetunion heiratete sie und arbeitete bis zur Pensionierung als Lehrerin.



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