Magdeburg-Rothensee

17. Juni 1944 – 9. Februar 1945

Das Lager

Im Frühjahr 1944 wurde das Magdeburger Treibstoffwerk der Braunkohle-Benzin AG (Brabag) durch Luftangriffe weitgehend zerstört. Für die notwendigen Bau- und Aufräumungsarbeiten auf dem Werksgelände forderte die Werksleitung – wie bei ihrem Werk in Tröglitz – von der SS Häftlinge aus Buchenwald ein. Das von der Brabag zur Verfügung gestellte Barackenlager lag im Magdeburger Stadtteil Rothensee am Rande eines Industriegebietes und unmittelbar neben einer Wohnsiedlung. Das mit einem elektrischen Zaun und Wachtürmen umgebene Lager bestand aus vier Unterkunftsbaracken, einem Zelt und einem Gebäude für die Küche und die Krankenstation. Die Unterkünfte hatten weder Fenster noch eine Heizung und waren mit dreistöckigen Pritschen ausgestattet. Nur ein Zaun trennte das Lager von den Gärten und Häusern der Wohnsiedlung. Zu ihren Arbeitsorten mussten die Häftlinge täglich rund drei Kilometer marschieren, unter den Augen der Bevölkerung. In der Buchenwalder Lagerverwaltung trug das Außenlager den Tarnnamen „Magda“.

Die Häftlinge

Für die Schwerstarbeit auf dem zerstörten Brabag-Gelände setzte die SS – wie in Tröglitz – nahezu ausschließlich jüdische Häftlinge ein. Sie waren im Frühjahr 1944 aus Ungarn und den damals von Ungarn annektierten Nachbarregionen nach Auschwitz deportiert worden. Die ersten 900 Männer brachte die SS am 17. Juni 1944 nach Magdeburg. Über 1.200 weitere jüdische Häftlinge folgten Ende Juli. Nach ersten Rücküberstellungen erreichte das Lager mit fast 2.000 Männern nun seine Höchstbelegung. Die Jungen und Männer im Alter von 14 bis 65 Jahren, vielfach Väter mit ihren Söhnen oder Geschwister, hatte die SS Wochen zuvor in Auschwitz-Birkenau als arbeitsfähig eingestuft und nur deshalb nicht sofort ermordet. Eine kleine Gruppe von 45 nichtjüdischen Häftlingen setzte die SS als Funktionshäftlinge und für den Betrieb des Lagers ein (Köche, Friseure, Schuster etc.). Sie stammten aus dem Deutschen Reich, aus Frankreich, Belgien, der Tschechoslowakei und Polen. Die Buchenwalder SS führte das Außenlager „Magda“ als ein „jüdisches Außenkommando“.

„Das Essen: morgens ein dunkler Brei aus Ersatzkaffee, ein wenig Brot, ein Stück Margarine oder Aufschnitt; mittags eine dünne Suppe mit gelegentlichen Fleischresten.“
David Fränkel
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die jüdischen Häftlinge waren ausschließlich zu körperlicher Schwerstarbeit unter extremen Bedingungen eingesetzt: Unter hohem Zeitdruck legten sie Rohrsysteme und Kabelnetze frei, reparierten zerstörte Straßen und Eisenbahntrassen, führten Schachtarbeiten aus, transportierten schwere Zementsäcke und verluden Baumaterialien. Auch für den Bau von Bunkeranlagen wurden die Männer und Jugendlichen eingesetzt. Arbeiten mussten sie durchschnittlich rund 11 Stunden täglich, zum Teil auch in Nachtschichten. Hinzu kamen die Marschwege zwischen dem Lager und den unterschiedlichen Arbeitsorten. Einen arbeitsfreien Tag gewährten die SS und die Bauherren den Häftlingen nur alle zwei Wochen. Sie arbeiteten unter der Kontrolle von Ingenieuren und Vorarbeitern der Brabag, der Organisation Todt und zahlreicher Baufirmen. Fast alle Häftlinge galten als ersetzbare Hilfsarbeiter, die ohne jede Rücksicht auf ihr Leben ausgebeutet wurden.

Krankheit und Tod

Die Schwerstarbeit, Unterernährung und Misshandlungen führten schnell zum körperlichen Verfall. Im Lager gab es eine Krankenstation, die von einem SS-Sanitäter namens Staff und vom Betriebsarzt der Brabag, Dr. Hilpert, beaufsichtigt wurde. Viel konnten der belgische Häftlingsarzt Jozef Mollekens und die Häftlingspfleger jedoch nicht tun. Noch im Juni 1944 schickte die SS eine Gruppe völlig erschöpfter Häftlinge zurück nach Buchenwald, weitere folgten. Insgesamt wurden über 600 Männer und Jungen zurück ins Hauptlager gebracht, weil sie ausgezehrt oder krank waren. 388 von ihnen deportierte die Buchenwalder SS Anfang Oktober zur Ermordung weiter nach Auschwitz-Birkenau. Ende 1944 schob die Lagerführung in Magdeburg weitere 400 Häftlinge in das KZ Bergen-Belsen ab. Zu den häufigsten Krankheiten im Lager zählten Verletzungen nach Unfällen, Körperschwäche infolge von Unterernährung, Lungenentzündungen und Ödeme. Vor Ort kamen mindestens 550 Männer und Jungen ums Leben – über ein Viertel aller Häftlinge im Lager. Die Toten ließ die SS im Krematorium auf dem Magdeburger Westfriedhof einäschern.

Bewachung

Verschiedene Kommandoführer standen an der Spitze der Wachmannschaft des Außenlagers Magdeburg-Rothensee. Bis Oktober/November 1944 führte SS-Oberscharführer Josef Sieghardt (geb. 1896) das Kommando. Ab 1943 kommandierte er bereits die Außenlager in Suhl und in Düsseldorf-Derendorf, wo er für seine Brutalität gefürchtet war. Auf ihn folgte SS-Oberscharführer Theofried Alter (1896-1953), ein ehemaliger Unteroffizier der Luftwaffe. Die Wachmannschaft vor Ort zählte 142 SS-Männer – 80 % von ihnen gehörten zu den an die SS überstellten ehemaligen Wehrmachtssoldaten, zumeist ältere oder kriegsversehrte Männer. Zusätzlich übernahmen 35 lokale Polizisten Wachaufgaben.
Ein amerikanisches Militärgericht in Dachau verurteilte 1947 den SS-Mann Otto Krause wegen Verbrechen im Außenlager „Magda“ zu zehn Jahren Haft. Westdeutsche Ermittlungen gegen Theofried Alter wurden 1976 aufgrund des Todes des Beschuldigten eingestellt. Weitere Verurteilungen wegen Verbrechen im Außenlager Magdeburg-Rothensee sind nicht bekannt.

Räumung

Am 9. Februar 1945 löste die SS das Lager auf. Die von den Häftlingen errichteten Bunker waren fertig und das Brabag-Gelände durch weitere Luftangriffe schwer zerstört. Mit dem Zug brachte die SS die verbliebenen 465 Häftlinge zurück in das Hauptlager Buchenwald. Dort trafen sie erst nach einer Woche, am 16. Februar, ein. Mindestens 22 Häftlinge starben während des Rücktransports, viele weitere in den Tagen und Wochen danach im Kleinen Lager von Buchenwald.

Spuren und Gedenken

Am ehemaligen Standort des Barackenlagers gibt es heute keine Spuren mehr. Aufgrund von Materialknappheit wurden die Holzbaracken unmittelbar nach der Auflösung des Lagers von der Bevölkerung abgerissen und wiederverwendet. Die Steinbaracke der SS-Wachmannschaft blieb bis zu ihrem Abriss in den 1990er-Jahren erhalten. Zum Gedenken an die Opfer des Außenlagers bei der Brabag ließ die Stadt 2001 in der Havelstraße 17, unweit des ehemaligen Lagergeländes, ein Denkmal errichten. Die Skulptur entwarfen der Berliner Lyriker Jürgen Rennert und der Halberstädter Metall-Bildhauer Johann Peter Hinz.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Mahnmals auf GoogleMaps

Denkmal in der Havelstraße 17, 2021. Foto: Romy Buhr
Denkmal in der Havelstraße 17, 2021. Foto: Romy Buhr ©Landeshauptstadt Magdeburg

Literatur:

Tobias Bütow u. Franka Bindernagel, Ein KZ in der Nachbarschaft. Das Magdeburger Außenlager der Brabag und der „Freundeskreis Himmler“, Köln 2003.


David Fränkel (rechts) und sein Bruder Joki, 1943 in Kolozsvár (Ungarn)
David Fränkel (rechts) und sein Bruder Joki, 1943 in Kolozsvár (Ungarn) ©Sammlung Donka Farkas
„Das Essen: morgens ein dunkler Brei aus Ersatzkaffee, ein wenig Brot, ein Stück Margarine oder Aufschnitt; mittags eine dünne Suppe mit gelegentlichen Fleischresten.“

David Fränkel

David Fränkel wurde am 28. August 1922 in Kolozsvár (heute Cluj-Napoca in Rumänien) geboren. Er wuchs in einer jüdischen Familie auf. Seine Heimatstadt gehörte seit 1940 zu Ungarn. Mit 21 Jahren begann er eine Ausbildung zum Rabbiner. Nach der Besetzung Ungarns im Frühjahr 1944 deportierten die deutschen Besatzer David Fränkel und seine Familie nach Auschwitz-Birkenau. Er überlebte die dortige Selektion, weil er als arbeitsfähig galt. Über Buchenwald brachte die SS ihn im Juni 1944 in das Außenlager Magdeburg-Rothensee und später in das Außenlager Niederorschel. Nach der Befreiung kehrte er in seine Heimat zurück. Er war der einzige Überlebende seiner Familie. David Fränkel starb 2002 in Santa Cruz in Kalifornien.



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