Quedlinburg

September 1944 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Im September 1944 richtete die SS in Quedlinburg und in Trautenstein kleine Nebenlager des Außenlagers Dora ein, in denen sie ausschließlich italienische Kriegsgefangene unterbrachte. Offiziell unterstanden diese Nebenlager bis Ende Oktober 1944 dem Konzentrationslager Buchenwald. Vermutlich Mitte September 1944, manche Quellen sprechen auch von Ende August 1944, schickte die SS eine erste Gruppe italienischer Kriegsgefangener nach Quedlinburg. Zunächst kamen sie in ein bereits existierendes Lager für italienische Kriegsgefangene. Danach brachte die SS sie in wechselnden Quartieren in der Stadt unter, zuletzt in einem leerstehenden Haus am Stadtrand. Das Haus war von Stacheldraht umgeben und umfasste zwei Räume, in denen Doppelstockbetten standen. Die genaue Lage des Hauses ist nicht bekannt. Zu ihren Arbeitsorten wurden die Männer entweder mit dem Zug oder mit Lastwagen gebracht oder sie mussten zu Fuß marschieren.

Die Häftlinge

Ende August oder Mitte September brachte die SS die ersten italienischen Kriegsgefangenen aus dem Außenlager Dora nach Quedlinburg. Kurze Zeit später folgten 20 weitere Kriegsgefangene, die die SS aus Buchenwald nach Quedlinburg überstellte. Die Gesamtzahl der Italiener stieg hierdurch auf 58. Die SS nannte sie „italienische Militärinternierte“, was signalisieren sollte, dass ihnen der Status von Kriegsgefangenen abgesprochen wurde. Die Männer im Alter zwischen 20 und 50 Jahren waren nach Abschluss des Waffenstillstandes zwischen Italien und den Alliierten im September 1943 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und hatten sich geweigert, den Krieg auf deutscher Seite fortzusetzen. Die Wehrmacht brachte die Italiener zunächst in Kriegsgefangenenlager im Reichsgebiet, etwa in das thüringische Bad Sulza. Von dort waren sie dann an die SS überstellt worden.

„Morgens fuhren sie uns mit dem Lastwagen, um früh bei der Arbeit zu sein, aber abends holten sie uns nur selten ab, sodass wir den ganzen Weg zu Fuß zurückgehen mussten: sieben, acht Kilometer, manchmal sogar elf.“
Gregorio Pialli
Zum Erinnerungsbericht
Postkontrollkarte des KZ Mittelbau für den italienischen Kriegsgefangenen Andrea Ugolini aus Sassocorvaro, 1944/45. Aus Dora wurde er nach Quedlinburg gebracht, wo er bis zur Befreiung blieb. Er kehrte nach Italien zurück.
Postkontrollkarte des KZ Mittelbau für den italienischen Kriegsgefangenen Andrea Ugolini aus Sassocorvaro, 1944/45. Aus Dora wurde er nach Quedlinburg gebracht, wo er bis zur Befreiung blieb. Er kehrte nach Italien zurück. ©Arolsen Archives

Zwangsarbeit

Wie die Kriegsgefangenen in Trautenstein wurden auch die Italiener in Quedlinburg für den Bau einer neuen Starkstromleitung eingesetzt. Diese sollte von Frose im Nordharz über Blankenburg, Trautenstein und Illfeld nach Niedersachswerfen verlaufen. Den Einsatz vor Ort koordinierte das Baubüro Quedlinburg der Starkstromanlagen Aktiengesellschaft. Die Kriegsgefangenen mussten Gruben ausheben und Betonfundamente anlegen. Eine kleine Gruppe erhob zusammen mit einem Ingenieur die technischen Daten für die Baustellen – in der Regel zwölf Stunden täglich.

Krankheit und Tod

Vermutlich gab es in Quedlinburg keine Krankenstation. Schwerer erkrankte Kriegsgefangene wurden zur Behandlung in die Krankenstation nach Dora gebracht. Der 20-jährige Giovanni Tomei aus Nettuno bei Rom beispielsweise kam Mitte Dezember 1944 nach Dora, weil er an Tuberkulose litt. Er starb dort am 13. Januar 1945. Für das Außenlager in Quedlinburg selbst sind keine Todesfälle dokumentiert.

Bewachung

Lediglich zwei SS-Männer aus dem Außenlager Dora waren für die Bewachung der Häftlinge zuständig. Zu einer strafrechtlichen Verfolgung der für das Lager in Quedlinburg verantwortlichen Personen ist es nicht gekommen.

Übernahme durch das KZ Mittelbau

Am 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager Quedlinburg dem neu verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau zugeordnet. Fortan war es kein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mehr. Als Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau existierte das Lager in Quedlinburg weiter bis zur Befreiung Anfang April 1945.

Spuren und Gedenken

In Quedlinburg gibt es keine Gedenkzeichen, die an das Außenlager erinnern.

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Quedlinburg, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7, München 2006, S. 327 f.


Gregorio Pialli, ohne Datum
Gregorio Pialli, ohne Datum ©Familie Pialli
„Morgens fuhren sie uns mit dem Lastwagen, um früh bei der Arbeit zu sein, aber abends holten sie uns nur selten ab, sodass wir den ganzen Weg zu Fuß zurückgehen mussten: sieben, acht Kilometer, manchmal sogar elf.“

Gregorio Pialli

Gregorio Pialli wurde am 8. Januar 1911 in Barbarano Vicentino (Norditalien) geboren. Seit 1935 in der italienischen Armee, geriet er im September 1943 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er kam in das Kriegsgefangenenlager im thüringischen Bad Sulza und von dort im Herbst 1943 in das Buchenwalder Außenlager Dora. Von September 1944 bis Kriegsende musste er in Quedlinburg arbeiten. Nach seiner Rückkehr nach Italien wurde er Bürgermeister seiner Heimatstadt. Zudem war er 20 Jahre lang politischer Sekretär der Partei Democrazia Cristiana. Sein Leben lang setzte sich Gregorio Pialli für die Erinnerung an die Deportation in Schulen und bei Jugendlichen ein. Er starb im Jahr 2000 in seiner Heimatstadt.



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