Taucha

10. Oktober 1944 – 19. April 1945

Das Lager

Der Leipziger Rüstungskonzern Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft (HASAG) richtete 1939 in Taucha, nordöstlich von Leipzig, ein neues Zweigwerk ein. Hier setzte das Unternehmen neben deutschen Männern und Frauen im Krieg verstärkt Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sowie Kriegsgefangene aus den deutsch besetzten Ländern ein. Bereits seit September 1944 wurden in Taucha zudem weibliche Häftlinge des KZ Buchenwald ausgebeutet. Einen Monat später richtete die HASAG mit der Buchenwalder SS zusätzlich ein Außenlager für männliche Häftlinge ein. Deren Unterbringung erfolgte auf dem gleichen Gelände in der damaligen Freiherr-vom-Stein-Straße 3a (heute Matthias-Erzberger-Straße) auf dem auch das Frauenaußenlager lag. Das gesamte Lagerareal war von einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben und der bereits länger bestehende Teil des Barackenlagers mit Stacheldraht vom Frauenlager getrennt. Das Lager befand sich in der Nähe des Bahnhofs von Taucha, rund einen Kilometer vom Arbeitsort der Häftlinge im Werk der HASAG entfernt.

Die Häftlinge

Am 10. Oktober 1944 brachte die SS 100 jüdische Männer unterschiedlicher Nationalität aus Auschwitz nach Taucha. Die meisten von ihnen stammten aus dem heutigen Tschechien. Sie alle waren erst kurz zuvor aus dem Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden. Einige Tage später trafen 200 als politisch kategorisierte Häftlinge aus Buchenwald ein. Der Großteil kam aus der Tschechoslowakei, Polen und der Sowjetunion. Mitte November schickte die SS nochmals 130 Männer, mehrheitlich jüdische Häftlinge aus Ungarn, aus Buchenwald nach Taucha. Die HASAG hatte sie in Buchenwald für den Einsatz in ihrem Werk ausgewählt. Eine Sondergruppe im Außenlager bildeten 500 dänische Polizisten, die die Buchenwalder SS Ende Oktober 1944 für den Bau eines Eisenbahndamms nach Taucha brachte. Sie blieben lediglich drei Wochen vor Ort. Mit ihnen stieg die Belegung des Lagers kurzfristig auf 800 Häftlinge. Nach ihrer Rückkehr ins Hauptlager sank sie wieder auf rund 430 Häftlinge. Damit war das Männerlager in Taucha deutlich kleiner als das benachbarte Frauenlager.

„Sicher war, dass man dann von den SS-Soldaten fürchterlich angeschrien wurde; sie drohten mit Strafe, weil man die Arbeit sabotierte.“
Flemming Johan Hinsch
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Zwangsarbeit

Wie die weiblichen KZ-Häftlinge in Taucha mussten auch die Männer vermutlich im sogenannten Werk II der HASAG an der Portlitzer Straße/Ecke Graßdorfer Straße in Taucha arbeiten. Dort ließ das Unternehmen ausschließlich Panzerfäuste fertigen. Details über den Einsatz der Männer in der Rüstungsproduktion liegen bisher jedoch nicht vor. Auch wenn ein Teil der Häftlinge ausgebildete Schlosser, Mechaniker oder Dreher waren, galten sie als einfache Hilfsarbeiter. Wie für die Frauen gab es auch für die männlichen Häftlinge zwölfstündige Tag- und Nachtschichten im HASAG-Werk. Eine Sonderrolle nahmen die dänischen Polizisten ein: Während ihrer drei Wochen in Taucha arbeiteten sie nicht im HASAG-Werk, sondern außerhalb des Werks beim Bau eines Eisenbahndamms.

Krankheit und Tod

Für das Frauen- und das Männerlager in Taucha setzte die SS wechselnde Häftlingsärzte und -ärztinnen bzw. Häftlingspfleger und -pflegerinnen ein. In der Anfangszeit kümmerten sich die beiden jüdischen Ärztinnen Myriam David aus Paris und Karola Leczycka aus Poznań sowie Oskar Engelberg aus Dej im heutigen Rumänien um die Kranken. In den letzten Monaten fungierte Alexander Hermann aus Prag als Häftlingsarzt. Seitens der SS war ein SS-Sanitäter namens Dressler für die Krankenstation zuständig und zusätzlich der Vertragsarzt Dr. Lutze aus Leipzig dem Lager zugeordnet. Durchschnittlich 20 Männer galten täglich wegen Krankheit als nicht arbeitsfähig. Drei Todesfälle sind bis zur Räumung des Lagers belegt. Mindestens einer der Toten wurde in Taucha bestattet.

Bewachung

Für die Bewachung des Frauen- und des Männerlagers war dieselbe SS-Wachmannschaft verantwortlich. Die Leitung des Kommandos wechselte wiederholt: Auf den SS-Scharführer Karl Schmidt (geb. 1892) folgte im Dezember 1944 SS-Unterscharführer Franz Langner. Ab März 1945 führte SS-Hauptscharführer Arthur Martin (geb. 1886) das Kommando. Eine Aufsichtsfunktion über das Lager scheint – wie bei den übrigen HASAG-Außenlagern auch – der Kommandoführer des HASAG-Lagers in Leipzig-Schönefeld, SS-Obersturmführer Wolfgang Plaul, innegehabt zu haben. Die Wachmannschaft in Taucha umfasste 42 bis 48 SS-Männer und 14 SS-Aufseherinnen. Letztere waren ausschließlich im Frauenlager eingesetzt. Ermittlungen der westdeutschen Behörden gegen Karl Schmidt und Arthur Martin wurden 1975 ergebnislos eingestellt.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich noch rund 1.200 Frauen und über 400 Männer in den Lagern in Taucha. Spätestens am 13. oder 14. April löste die SS beide Lager auf. In unterschiedlichen Kolonnen mussten die Häftlinge in Richtung Osten marschieren. Vermutlich schlossen sich manche Gruppen aus geräumten Leipziger Außenlagern an, die zum Teil erst nach wochenlangen Märschen durch die Rote Armee befreit wurden. Wie viele Frauen aus Taucha unterwegs ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Eine Gruppe von etwa 80 nicht marschfähigen Frauen und Männern blieb zusammen mit dem letzten Häftlingsarzt, Alexander Hermann aus Prag, und einigen Häftlingspflegern und -pflegerinnen im Lager. Angehörige des Volkssturms, die die Zurückgebliebenen bewachten, setzten sich am 18. April ab. Häftlinge des Lagers in Leipzig-Thekla, denen die Flucht bis nach Taucha gelungen war, berichteten über die Ermordung von kranken und entkräfteten Häftlingen am 18. April 1945 im dortigen Lager. Daraufhin beschlossen die in Taucha zurückgebliebenen Häftlinge, sich in einem angrenzenden Wald zu verstecken. Dort wurden sie vermutlich am folgenden Tag, dem 19. April 1945, von amerikanischen Truppen befreit.

Spuren und Gedenken

Nach dem Krieg enteignete die Sowjetische Militäradministration in Deutschland das HASAG-Werk in Taucha. Wann das Barackenlager abgerissen wurde, ist nicht bekannt. Heute befinden sich auf dem ehemaligen Lagerareal Wohnsiedlungen und Solaranlagen. Spuren der beiden Außenlager gibt es keine mehr. Seit 1963 erinnert eine Gedenkstätte am „Kleinen Schöppenteich“ an alle Opfer des Faschismus. In den 2010er-Jahren kamen Informationstafeln hinzu. Seit 2019 ist die Bürgerinitiative Solidarische Alternativen für Taucha (SAfT) in Taucha aktiv. Die Initiative kämpft darum, die letzten baulichen Spuren der HASAG in Taucha zu erhalten. Auf Anregung des Geschwister-Scholl-Gymnasiums wurde am 2022 auf dem Marktplatz in Taucha eine Stolperschwelle zur Erinnerung an Zwangsarbeitende und die KZ-Außenlager verlegt. Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig und die Initiative SAfT in Taucha haben virtuelle Rundgänge konzipiert. Einer dieser Rundgänge ist dem KZ-Außenlager Taucha gewidmet.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Mahnmals am „Kleinen Schöppenteich“ auf GoogleMaps
Link zum Standort der Stolperschwelle auf GoogleMaps

Kontakt:
SAfT e.V. – Solidarische Alternativen für Taucha

Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

 

Stolperschwelle am Tauchaer Marktplatz, 2022. Foto: Hendrik Peltzer
Stolperschwelle am Tauchaer Marktplatz, 2022. Foto: Hendrik Peltzer ©Geschwister-Scholl-Gymnasium Taucha

Literatur:

Charles-Claude Biedermann, Taucha (Männer), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 585-586.


Flemming Hinsch in seiner Polizeiuniform, undatiert
Flemming Hinsch in seiner Polizeiuniform, undatiert ©Familie Hinsch/Gedenkstätte Buchenwald
„Sicher war, dass man dann von den SS-Soldaten fürchterlich angeschrien wurde; sie drohten mit Strafe, weil man die Arbeit sabotierte.“

Flemming Johan Hinsch

Flemming Johan Hinsch wurde am 31. Juli 1918 in Kopenhagen, Dänemark, geboren. Nach dem Besuch einer Wirtschaftsschule und einer Zeit beim Militär trat er 1942 in den Polizeidienst ein. Er war einer von über 1.900 dänischen Polizisten, die von den deutschen Besatzern im September 1944 verhaftet wurden, weil sie sich geweigert hatten, die dänische Widerstandsbewegung zu bekämpfen. Aus Buchenwald kam er Ende Oktober 1944 für rund drei Wochen zur Zwangsarbeit nach Taucha. Mit den übrigen dänischen Polizisten überstelle die SS ihn Ende 1944 aus Buchenwald in ein Kriegsgefangenenlager in Mühlberg an der Elbe. Zurück in Dänemark arbeitete er wieder als Polizist. 1994 veröffentlichte er seine Erinnerungen. Sie basierten auf seinem Tagebuch und Zeichnungen, die er in den Lagern angefertigt hatte. Flemming Hinsch starb 1995 in Birkerød.



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