Taucha (Frauen)

7. September 1944 – 19. April 1945

Das Lager

Der Leipziger Rüstungskonzern Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft (HASAG) richtete 1939 in Taucha, nordöstlich von Leipzig, ein neues Zweigwerk ein. Hier setzte das Unternehmen neben deutschen Männern und Frauen im Krieg verstärkt Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sowie Kriegsgefangene aus den deutsch besetzten Ländern ein. Wie an vielen anderen HASAG-Standorten forderte auch die Werksleitung in Taucha im Sommer 1944 KZ-Häftlinge von der SS an. Anfang September trafen die ersten weiblichen Häftlinge ein. Sie wurden in einem stacheldrahtumzäunten Lager mit Wachtürmen in der Freiherr-vom-Stein-Straße 3a (heute Matthias-Erzberger-Straße) untergebracht. Bevor die HASAG es erwarb, nutzten die Mitteldeutschen Motorenwerke das Lager für Zwangsarbeitende. Es befand sich in der Nähe des Bahnhofs und war rund einen Kilometer von den Arbeitsstätten im HASAG Werk entfernt. Neben dem Frauenlager richtete die SS einen Monat später ein KZ-Außenlager für Männer ein. Trotz der Trennung der beiden Lager durch Stacheldraht gab es für die weiblichen und männlichen KZ-Häftlinge Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren.

Die Häftlinge

Am 7. September 1944 brachte die SS die ersten 500 Frauen nach Taucha. Sie kamen aus dem HASAG-Außenlager Altenburg und hatten davor bereits in Schlieben für die HASAG arbeiten müssen. Es waren ausschließlich Sintizze und Romnja unterschiedlicher Nationalität, viele von ihnen Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Aus Ravensbrück überstellte die SS in den Wochen danach 600, als politische Häftlinge kategorisierte Frauen nach Taucha. Sie stammten aus Polen, der Sowjetunion, Deutschland, der Tschechoslowakei, Frankreich, Belgien, Italien und vielen weiteren Ländern. Am 10. Oktober 1944 schickte die SS zudem 400 jüdische Häftlinge aus Auschwitz nach Taucha. Die meisten der Frauen waren im Frühjahr 1944 aus Ungarn und den damals zu Ungarn gehörenden Nachbarregionen nach Auschwitz verschleppt worden. Daneben trafen wiederholt kleinere Gruppen aus anderen HASAG-Außenlagern ein, während die SS angeblich nicht mehr arbeitsfähige Frauen in andere Lager abschob. Die höchste Belegung erreichte das Frauenlager in Taucha im Februar 1945 mit 1.358 Häftlingen.

„Das Arbeitslager Taucha bei Leipzig bestand eigentlich aus zwei miteinander verbundenen Lagern. Durch das gemeinsame Eingangstor gelangte man zuerst ins Frauenlager, und ging man durch diesen Teil durch, so kam man ins Männerlager.“
Ruth Elias
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Frauen mussten vermutlich alle in dem 1944 in Betrieb genommenen zweiten HASAG-Werk in Taucha, dem sogenannten Werk II, an der Portlitzer Straße/Ecke Graßdorfer Straße arbeiten. Dort ließ das Unternehmen ausschließlich Panzerfäuste fertigen, während im nahegelegenen Werk I Infanteriemunition und Granaten produziert wurden. In verschiedenen Abteilungen eingesetzt, bauten die Frauen Panzerfäuste zusammen, arbeiteten an schweren Maschinen und waren mitunter giftigen Sprengstoffen ausgesetzt, die die Haut verätzten. Deutsche zivile Meister und Vorarbeiter leiteten die Häftlinge an und beaufsichtigten sie. Es gab 12-stündige Tag- und Nachtschichten und auch an Sonntagen musste ein Teil der Frauen in der Produktion Zwangsarbeit leisten.

Krankheit und Tod

Für das Frauen- und das Männerlager in Taucha setzte die SS wechselnde Häftlingsärzte und -ärztinnen bzw. Häftlingspfleger und -pflegerinnen ein. In der Anfangszeit kümmerten sich die beiden jüdischen Ärztinnen Myriam David aus Paris und Karola Leczycka aus Poznań sowie Oskar Engelberg aus Dej im heutigen Rumänien um die Kranken. Seitens der SS war ein SS-Sanitäter namens Dressler für die Krankenstation zuständig und zusätzlich der Vertragsarzt Dr. Lutze aus Leipzig dem Lager zugeordnet. Durchschnittlich befanden sich 50 bis 70 Frauen auf der Krankenstation oder im sogenannten Schonungsblock. Aufgrund der sehr schlechten hygienischen Bedingungen im Lager – lange Zeit gab es keinen Waschraum – traten Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Diphterie und Typhus auf. Bereits im Oktober schickte die SS 168 Frauen, hauptsächlich Sintizze und Romnja, zurück nach Auschwitz, weil sie als nicht mehr arbeitsfähig galten. Ebenso erfolgten Rücktransporte nach Ravensbrück. Anfang März 1945 schob die SS 150 weitere kranke Frauen in das KZ Bergen-Belsen ab. Bis zur Räumung des Lagers sind sechs Todesfälle belegt.

Bewachung

Für die Bewachung des Frauen- und des Männerlagers war dieselbe SS-Wachmannschaft verantwortlich. Die Leitung des Kommandos wechselte wiederholt: Auf den SS-Scharführer Karl Schmidt (geb. 1892) folgte im Dezember 1944 SS-Unterscharführer Franz Langner. Ab März 1945 führte SS-Hauptscharführer Arthur Martin (geb. 1886) das Kommando. Eine Aufsichtsfunktion über das Lager scheint – wie bei den übrigen HASAG-Außenlagern auch – der Kommandoführer des HASAG-Lagers in Leipzig-Schönefeld, SS-Obersturmführer Wolfgang Plaul, innegehabt zu haben. Die Wachmannschaft in Taucha umfasste 42 bis 48 SS-Männer und 14 SS-Aufseherinnen. An der Spitze der Aufseherinnen stand die 33-jährige Charlotte Pusch als sogenannte Erstaufseherin.
Die ehemalige Aufseherin Thea Winkler (geb. 1922) wurde im Dezember 1945 im sowjetischen Speziallager Nr. 2 in Buchenwald interniert und blieb später in verschiedenen Zuchthäusern bis 1954 in Haft. Ermittlungen der westdeutschen Behörden gegen Karl Schmidt und Arthur Martin 1975 blieben ergebnislos.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich noch rund 1.200 Frauen und über 400 Männer in den Lagern in Taucha. Spätestens am 13. oder 14. April löste die SS beide Lager auf. In unterschiedlichen Kolonnen mussten die Häftlinge in Richtung Osten marschieren. Vermutlich schlossen sich manche Gruppen aus geräumten Leipziger Außenlagern an, die zum Teil erst nach wochenlangen Märschen durch die Rote Armee befreit wurden. Wie viele Frauen aus Taucha unterwegs ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Eine Gruppe von etwa 80 nicht marschfähigen Frauen und Männern blieb zusammen mit dem letzten Häftlingsarzt, Alexander Hermann aus Prag, und einigen Häftlingspflegern und -pflegerinnen im Lager. Angehörige des Volkssturms, die die Zurückgebliebenen bewachten, setzten sich am 18. April ab. Häftlinge des Lagers in Leipzig-Thekla, denen die Flucht bis nach Taucha gelungen war, berichteten über die Ermordung von kranken und entkräfteten Häftlingen am 18. April 1945 im dortigen Lager. Daraufhin beschlossen die in Taucha zurückgebliebenen Häftlinge, sich in einem angrenzenden Wald zu verstecken. Dort wurden sie vermutlich am folgenden Tag, dem 19. April 1945, von amerikanischen Truppen befreit.

Spuren und Gedenken

Nach dem Krieg enteignete die Sowjetische Militäradministration in Deutschland das HASAG-Werk in Taucha. Wann das Barackenlager abgerissen wurde, ist nicht bekannt. Heute befinden sich auf dem ehemaligen Lagerareal Wohnsiedlungen und Solaranlagen. Spuren der beiden Außenlager gibt es keine mehr. Seit 1963 erinnert eine Gedenkstätte am „Kleinen Schöppenteich“ an alle Opfer des Faschismus. In den 2010er-Jahren kamen Informationstafeln hinzu. Seit 2019 ist die Bürgerinitiative Solidarische Alternativen für Taucha (SAfT) in Taucha aktiv. Die Initiative kämpft darum, die letzten baulichen Spuren der HASAG in Taucha zu erhalten. Auf Anregung des Geschwister-Scholl-Gymnasiums wurde am 2022 auf dem Marktplatz in Taucha eine Stolperschwelle zur Erinnerung an Zwangsarbeitende und die KZ-Außenlager verlegt. Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig und die Initiative SAfT in Taucha haben virtuelle Rundgänge konzipiert. Einer dieser Rundgänge ist dem KZ-Außenlager Taucha gewidmet.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Mahnmals am „Kleinen Schöppenteich“ auf GoogleMaps
Link zum Standort der Stolperschwelle auf GoogleMaps

Kontakt:
SAfT e.V. – Solidarische Alternativen für Taucha

Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

Stolperschwelle am Tauchaer Marktplatz, 2022. Foto: Hendrik Peltzer
Stolperschwelle am Tauchaer Marktplatz, 2022. Foto: Hendrik Peltzer ©Geschwister-Scholl-Gymnasium Taucha

Literatur:

Irmgard Seidel, Taucha Frauen, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 582-585.

Rainer Karlsch u. Edmund Heckler, Die unauffällige Karriere eines Ingenieurs im Rüstungskonzern HASAG, in: ders., Stefanie van de Kerhof u. Andrea H. Schneider-Braunberger, Waffeningenieure im Zwielicht. Die Mauserwerke, die HASAG und die Gründungsgeschichte von Heckler & Koch, München 2024, S. 143-249.


Ruth Elias und ihr Mann Kurt am Tag ihrer Hochzeit, 18. April 1947
Ruth Elias und ihr Mann Kurt am Tag ihrer Hochzeit, 18. April 1947 ©United States Holocaust Memorial Museum
„Das Arbeitslager Taucha bei Leipzig bestand eigentlich aus zwei miteinander verbundenen Lagern. Durch das gemeinsame Eingangstor gelangte man zuerst ins Frauenlager, und ging man durch diesen Teil durch, so kam man ins Männerlager.“

Ruth Elias

Ruth Elias kam als Ruth Huppert am 8. Oktober 1922 in Ostrava in der Tschechoslowakei in einer jüdischen Familie zur Welt. Die deutschen Besatzer verschleppten sie mit ihrer Familie 1942 in das Ghetto Theresienstadt. Gemeinsam mit ihrem ersten Mann wurde sie von dort im Dezember 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Zu diesem Zeitpunkt war sie schwanger. Im August 1944 brachte sie in Auschwitz ein Kind zur Welt, das nur wenige Tage überlebte. Zwei Monate später schickte die SS sie nach Taucha. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Kurt Elias kennen, der im benachbarten Männeraußenlager Zwangsarbeit leisten musste. Beide kehrten nach der Befreiung in die Tschechoslowakei zurück und heirateten 1947. Zwei Jahre später wanderten sie nach Israel aus. Ruth Elias starb 2008 in Beit Yitzhak-Sha'ar Hefer.



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