Bad Salzungen („Ludwig Renntier“)

5. Januar 1945 – 3. April 1945

Das Lager

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Westthüringen Salzgestein abgebaut. Ab Frühjahr 1944 rückte das Kalirevier an der Werra in den Fokus der Rüstungsindustrie. Die BMW Flugmotorenfabrik in Eisenach plante, Teile ihrer Produktion in unterirdische Kalischächte des Wintershall-Konzerns in der Nähe von Bad Salzungen zu verlagern. Hierfür richtete die SS Anfang 1945 zwei neue Außenlager in der Region ein. Geführt wurden die Lager unter den Decknamen der Bauvorhaben, bei denen die Häftlinge arbeiten mussten: „Ludwig Renntier“ und „Heinrich Kalb“. Die Mehrheit der Häftlinge des Lagers „Ludwig Renntier“ brachte die SS unter Tage in einem ausgesprengten Raum des Kalischachts Kaiseroda I (Gemeinde Hämbach) in rund 300 Metern Tiefe unter. Sie schliefen über Monate auf ausgelegtem Stroh, eine geregelte Wasserversorgung gab es nicht.
Neben dem unterirdischen Lager waren Häftlinge ab Februar 1945 in einem Fabrikgebäude auf dem Gelände des ehemaligen Kaliwerks in Leimbach untergebracht, wo es zu diesem Zeitpunkt eine Munitionsfabrik gab. Hier befanden sich auch das Krankenrevier, die Küche und die Kleiderkammer des Lagers. Über einen Transportschacht erfolgte von dort die Versorgung der Häftlinge unter Tage.

Die Häftlinge

Am 5. Januar 1945 verließen die ersten 500 Häftlinge Buchenwald in Richtung Bad Salzungen. Am 23. Februar folgten weitere 350 Männer. Wiederholt überstellte die SS kleinere Gruppen zurück in das Hauptlager und tauschte sie gegen andere Häftlinge aus. Die Hälfte der Männer im Außenlager „Ludwig Renntier“ stammten aus der Sowjetunion, die übrigen aus Polen, Jugoslawien, Frankreich, der Tschechoslowakei und einer Vielzahl weiterer Länder. Die meisten waren erst kurz zuvor aus den Konzentrationslagern Dachau, Sachsenhausen oder Groß-Rosen nach Buchenwald deportiert worden. Fast alle trugen den roten Winkel und galten somit als politische Häftlinge. Hinzu kamen Einzelne, die als Juden, Sinti und Roma oder als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden. Als Lagerältesten setzte die SS bis zu seiner Absetzung im März 1945 den langjährigen politischen Häftling Ernst Hausmann ein. Für die dreimonatige Existenz des Lagers sind 63 Fluchten und Fluchtversuche belegt. Allein in der Nacht vom 16. auf den 17. März kam es zu einer Massenflucht von mindestens 27 Häftlingen.

„Der Aufzug hielt in einer Tiefe von ungefähr dreihundert Metern an. Unten im Bergwerk war es feucht und klamm und aus den mäßig beleuchteten Stollen schlug uns schale, muffige Luft entgegen.“
Meijer Stad
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Bauleitung für den Ausbau und die Einrichtung der unterirdischen Produktionsanlagen von BMW lag bei der „Organisation Todt“ (OT). Für die Schwerstarbeit in den schlecht belüfteten Salzschächten wurden kaum technische Hilfsmittel bereitgestellt. Die Häftlinge galten als ungelernte Hilfsarbeiter. Sie mussten Böden planieren, betonieren und Abraum mit Loren beräumen. Für März 1945 sind 8- bis 10,5-stündige Tag- und Nachtschichten belegt, sonntags verkürzte Schichten mit sechs Stunden. Gut zwei Drittel der Männer lebte und arbeitete dauerhaft unter Tage. Vermutlich wurden sie nur in größeren Zeitabständen ausgetauscht und an die Oberfläche gebracht. In den halbfertigen unterirdischen Werkhallen kam es bis zur Räumung des Außenlagers „Ludwig Renntier“ zu keiner Produktion von Flugzeugmotoren und -komponenten. Neben der Arbeit in den Stollen waren Häftlinge über Tage in Leimbach beim Betrieb des Lagers und dem Bau von Unterkünften für Zivilarbeiter eingesetzt.

Krankheit und Tod

Im Krankenrevier im oberirdischen Lager in Leimbach kümmerte sich der Häftlingsarzt Alexej Gurin aus der Ukraine um die Kranken; zuvor war er im Außenlager in Schwerte in gleicher Position tätig. Die SS setzte ihn Mitte März 1945 ab, da er angeblich zu viele Häftlinge wegen Krankheit von der Arbeit befreite. Der SS-Sanitäter Willy August Carl beaufsichtigte ihn. Die extremen Bedingungen unter Tage führten zu einem hohen Krankheitsstand: Im März 1945 befanden sich täglich rund 70 Männer in stationärer oder ambulanter Behandlung. Die SS brachte regelmäßig nicht mehr Arbeitsfähige zurück nach Buchenwald. Der 27-jährige Niederländer Hermanus Cornelis Voorhoeve war der erste Tote des Lagers. Er starb am 6. Februar 1945 an den Folgen einer Lungentuberkulose. Bis zur Räumung des Lagers sind weitere 23 Tote belegt. Als Todesursachen wurden vor allem Herz-Kreislauf-Versagen und Lungenerkrankungen festgestellt. Elf der Männer starben während eines Rücktransports nach Buchenwald bei einem Fliegerangriff. Die vor Ort Gestorbenen ließ die SS in der Regel im Krematorium Bad Salzungen einäschern. Belegt sind zudem Erdbestattungen, vermutlich auf dem Husenfriedhof Bad Salzungen.

Bewachung

Für das Außenlager „Ludwig Renntier“ sind verschiedene Kommandoführer belegt. Zunächst stand SS-Oberscharführer Gustav Dietrich (geb. 1897) an der Spitze der Wachmannschaft. Vermutlich war er von der Luftwaffe abkommandiert worden. Nach Aussagen des Lagerältesten Ernst Hausmann agierte er vergleichsweise human. Als Folge der Massenflucht vom 16. auf den 17. März 1945 löste ihn SS-Oberscharführer Walter Knauf (1914-1977) ab. Zuvor führte er das Kommando in den Außenlagern in Düsseldorf-Derendorf und Düsseldorf-Flingern. Mit der zunehmenden Belegung des Lagers vergrößerte sich auch die Wachmannschaft. Von 30 SS-Männern Ende Januar 1945 wuchs sie auf 57 im März. Es ist davon auszugehen, dass ein Teil von ihnen von der Wehrmacht für den Wachdienst an die SS überstellt worden war. Eine nicht genauer bekannte Funktion hatte ab März 1945 neben Walter Knauf SS-Hauptsturmführer Paul Sporrenberg (1896-1961), der ehemalige Kommandant des SS-Sonderlagers Hinzert, inne. Strafrechtliche Ermittlungen wegen Verbrechen im Lager „Ludwig Renntier“ blieben in den 1970er-Jahren ergebnislos.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich 693 Häftlinge im Außenlager „Ludwig Renntier“. Wahrscheinlich wurden die Männer am 3. April in Marsch gesetzt. Einen Tag später besetzten Einheiten der U.S. Army Leimbach. Am Freitag, dem 6. April, erreichte eine erste Gruppe von 484 Häftlingen das gut 90 Kilometer entfernte Buchenwald. Eine zweite Gruppe von 183 Häftlingen kam am 10. April im Hauptlager an. 26 Häftlinge waren unterwegs ermordet worden oder geflüchtet.

Spuren und Gedenken

An beiden Standorten des Außenlagers bei Hämbach und Leimbach befinden sich heute Gewerbe- und Industriegebiete, nachdem die Schachtanlagen in den 1990er-Jahren weitgehend abgetragen wurden. An mehreren Orten in der Umgebung lassen sich heute Gedenkzeichen an das Außenlager finden: Im Rathenau-Park in Bad Salzungen existiert seit 1956 eine monumentale Gedenkanlage mit einem Ehrenmal für die Opfer des Faschismus (KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen) in der Region. Die Asche von mindestens fünf Toten des Lagers „Renntier“ wurde vermutlich Anfang der 1980er-Jahre vom Husenfriedhof in den Park umgebettet. Zwischen Hämbach und Leimbach erinnert seit 1962 ein Gedenkstein an sechs dort ermordete und verscharrte Häftlinge. Die Leichname waren auf den Friedhof in Leimbach umgebettet worden. Im Dezember 2024 konnte auf Initiative von Schülern und Schülerinnen des Dr.-Sulzberger-Gymnasiums Bad Salzungen ein Gedenkstein am ehemaligen Kaliwerk Kaiseroda bei Hämbach eingeweiht werden. Er erinnert an alle Zwangsarbeiter vor Ort.

Link zum heutigen Standort des oberirdischen Lagers Leimbach auf GoogleMaps
Link zum Standort des Mahnmals im Rathenau-Park auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins in Hämbach auf GoogleMaps

Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Rathenau-Park in Bad Salzungen, 2025. Foto: Stefan Lochner
1/3
Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Rathenau-Park in Bad Salzungen, 2025. Foto: Stefan Lochner
©Gedenkstätte Buchenwald
Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Rathenau-Park in Bad Salzungen, 2025. Foto: Stefan Lochner
2/3
Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Rathenau-Park in Bad Salzungen, 2025. Foto: Stefan Lochner ©Gedenkstätte Buchenwald
Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Rathenau-Park in Bad Salzungen, 2025. Foto: Stefan Lochner
3/3
Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Rathenau-Park in Bad Salzungen, 2025. Foto: Stefan Lochner ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929-1945, 2. Auflage, Bad Langensalza 2017.


„Der Aufzug hielt in einer Tiefe von ungefähr dreihundert Metern an. Unten im Bergwerk war es feucht und klamm und aus den mäßig beleuchteten Stollen schlug uns schale, muffige Luft entgegen.“

Meijer Stad

Meijer Stad kam am 18. Oktober 1919 in Rotterdam zur Welt. Mit seiner Familie lebte er seit 1939 in Den Haag. Der begeisterte Sportler stammte aus einer jüdischen Familie. Während der deutschen Besatzung lebte er unter falschem Namen und engagierte sich im Widerstand. Er half, jüdische Familien zu verstecken. Im April 1944 wurde er in Den Haag verhaftet. Über die Konzentrationslager Herzogenbusch und Bergen-Belsen kam er Ende 1944 nach Buchenwald. Von dort schickte die SS ihn weiter nach Bad Salzungen. Auf einem Rücktransport ins Hauptlager wurde er im Februar 1945 bei einem Tieffliegerangriff schwer verletzt. Nach der Befreiung kehrte er in die Niederlande zurück, wo er als Geschäftsmann Karriere machte. Meijer Stad starb 2005.



weiterlesen