Aschersleben

14. August 1944 – 11. April 1945

Das Lager

Im Mai 1935 eröffnete die Junkers Flugzeug- und Motorenwerk AG ein weiteres Werk in Aschersleben, am Nordostrand des Harzes zwischen Magdeburg und Leipzig gelegen. Das Werk befand sich an der heutigen Walter-Kersten-Straße im Norden des Stadtzentrums neben einem Güterbahnhof. In der Flugzeugteile-Produktion setzten die Junkers-Werke seit Kriegsbeginn an ihren verschiedenen Standorten ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen ein. Für den Zweigbetrieb in Aschersleben forderte die Unternehmensleitung Mitte 1944 zusätzlich KZ-Häftlinge an. Das hierfür in Aschersleben eingerichtete Außenlager trug den Tarnnamen „Maus“ und war eines von rund einem Dutzend Buchenwalder Außenlagern, die für die Junkers-Werke entstanden. Die Unterbringung der männlichen KZ-Häftlinge erfolgte in einem Nebengebäude der Halle IV auf dem Werksgelände. Im Erdgeschoss befanden sich die Küche und die Waschräume, im ersten Stock die Schlafräume und die Krankenstation. Das Gebäude und vermutlich auch die angrenzende Werkhalle, in der die Häftlinge arbeiten mussten, waren von einem hohen, elektrisch geladenen Stacheldraht und Wachtürmen umgeben. Im Januar 1945 richtete das Unternehmen auf dem Werksgelände ein weiteres KZ-Außenlager für weibliche Häftlinge ein.

Die Häftlinge

177 Häftlinge aus dem Hauptlager Buchenwald trafen am 14. August 1944 in Aschersleben ein. Weitere Transporte folgten, so dass sich die Zahl der Häftlinge in Aschersleben bis Anfang September 1944 auf 411 erhöhte. Die Männer waren zumeist als politische Häftlinge kategorisiert und stammten aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, der Tschechoslowakei, Deutschland, den Niederlanden, Italien, Jugoslawien, Kroatien, Spanien, Griechenland und Albanien. Einige der zwischen 16 und 66 Jahre alten Jugendlichen und Männer hatten zuvor die Konzentrationslager Dachau oder Sachsenhausen durchlaufen, bevor die SS sie nach Buchenwald überstellte. Wiederholt wurden auch Häftlinge aus dem Außenlager Schönebeck („Julius“), das ebenfalls zu den Junkers-Außenlagern gehörte, nach Aschersleben gebracht. Mitte Dezember erreichte das Lager mit 653 Häftlingen seine Höchstbelegung. Einen Monat später reduzierte die SS die Belegung des Lagers, indem sie 194 Häftlinge in das Außenlager nach Langenstein-Zwieberge brachte, ebenfalls ein Junkers-Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Bei der Räumung des Lagers im April befanden sich noch über 400 männliche Häftlinge vor Ort in Aschersleben. Belegt sind mindestens acht Fluchtversuche.

Zwangsarbeit

Im „Junkers AG. Werk Aschersleben“ – so die offizielle Bezeichnung – mussten die Häftlinge Flugzeugteile, vor allem Rümpfe, für das Flugzeugmodell Junkers JU 88 fertigen. Die Anfangs nach Aschersleben gebrachten Häftlinge hatten zumeist keine auf die Erfordernisse der Arbeit im Werk hin ausgerichtete Berufsausbildung. Sie galten deshalb als ungelernte Hilfsarbeiter, für die das Werk pro Arbeitstag vier Reichsmark an die SS zahlen musste. Für die Produktion waren sie nach Sicht der Werksleitung nur bedingt tauglich, weshalb sie im September 1944 von der SS forderte, 50 bis 60 Häftlinge gegen gelernte Facharbeiter auszutauschen. Da die SS dies ablehnte, erfolgte das Anlernen der Häftlinge vor Ort in Aschersleben. Ab Oktober galt ein Teil der Lagerbelegung offiziell als angelernte „Flugzeug-, Rumpf-, Unter- und Obenschalenbauer“. Wie in der Rüstungsproduktion üblich, mussten die Häftlinge in 12-stündigen Tag- und Nachtschichten arbeiten. Arbeitsfreie Tage gab es nicht, da auch sonntags in reduzierter Form produziert wurde. Der Arbeitsplatz der männlichen Häftlinge befand sich neben ihrer Unterkunft in Halle IV des Werks. Wegen Materialmangels in der Fertigung sollen Häftlinge teilweise auch zu Tätigkeiten außerhalb des Werks eingesetzt worden sein, beispielsweise zum Bau von Luftschutzbunkern und zum Entschärfen von Bomben nach Luftangriffen.

Krankheit und Tod

Im Außenlager Aschersleben gab es eine improvisierte Krankenstation. Für die medizinische Versorgung der Kranken setzte die SS den belgischen Mediziner Raymond Smelten als Häftlingsarzt ein. Ihm zur Seite stand der französische Medizinstudent Harry Girardot als Häftlingspfleger. Überwacht wurden sie durch den SS-Sanitäter SS-Oberscharführer Max Schönherr. Ein namentlich nicht bekannter Betriebsarzt der Junkers-Werke und später ein Vertragsarzt namens Dr. Echtle waren ebenfalls für das Lager zuständig. Die Zahl der kranken und als nicht-arbeitsfähig geltenden Häftlinge stieg von durchschnittlich 20 im November 1944 auf durchschnittlich 55 Häftlinge im März 1945 an. Rücküberstellungen von schwerer Erkrankten in das Hauptlager Buchenwald waren üblich. Bis Ende März 1945 wurden insgesamt neun Tote aus dem Außenlager Aschersleben an das Hauptlager Buchenwald gemeldet. Den offiziellen Unterlagen zufolge starben die meisten Häftlinge an Lungen- und Herzerkrankungen. Den polnischen Häftling Zygmunt Kazmierczak erschoss die SS am 9. November 1944, angeblich bei einem Fluchtversuch. Die SS ließ die Toten im Krematorium in Quedlinburg einäschern.

Bewachung

Als Kommandoführer fungierte ein SS-Hauptscharführer namens Reuter, über den bisher keine weiteren Informationen vorliegen. Im November 1944 umfasste die Wachmannschaft vor Ort insgesamt 39 SS-Männer. Mit dem Anstieg der Lagerbelegung vergrößerte sich auch die Zahl der Wachmänner. Zudem übernahm die Wachmannschaft des Männerlagers ab Januar 1945 auch die Bewachung des ebenfalls auf dem Werksgelände eingerichteten Frauenaußenlagers des KZ Buchenwald. Hierfür wurde sie um SS-Aufseherinnen ergänzt. Im März 1945 bestand die Lagerbewachung in Aschersleben schließlich aus 73 SS-Männern und 11 SS-Aufseherinnen. Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Häftlingstötungen während des Todesmarsches nach der Räumung des Lagers wurden 1975 ergebnislos eingestellt.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich in den beiden Außenlagern in Aschersleben noch 422 männliche und 495 weibliche Häftlinge. Die Räumung der Lager erfolgte vermutlich zwischen dem 6. und 11. April 1945. Die SS-Wachen trieben die Männer und Frauen zunächst zusammen in Richtung Osten nach Torgau. Unterwegs aufgeteilt in zwei Kolonnen, erreichte die zweite mit dem größten Teil der Männer am 14. April 1945 Mühlbeck, 40 Kilometer nördlich von Leipzig. Die Häftlinge wurden zwei Tage später mit einem Bahntransport nach Düben gebracht, wo rund 300 Häftlinge am 20. April 1945 ihre Befreiung erlebten. In Mühlbeck fand man später die Leichen von 68 Häftlingen. Vermutlich waren es Opfer von verschiedenen Todesmärschen, die den Ort passiert hatten. Wie viele der Toten aus dem Lager Aschersleben stammten, ist nicht bekannt. Ebenso unbekannt ist die Gesamtzahl der Menschen, die im Kontext der Räumung der beiden Lager in Aschersleben ums Leben kamen.

Spuren und Gedenken

In Aschersleben gibt es heute keine Spuren des Außenlagers mehr. Die sowjetische Militäradministration enteignete nach dem Krieg die Junkers-Werke. Die meisten Gebäude auf dem Gelände wurden zerstört. Heute befindet sich dort ein Industriegebiet.
Seit 1977 steht auf dem Werksgelände in der Wilslebener Straße ein Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Faschismus. In den 2000er-Jahren regte der Heimathistoriker Reiner Mühle an, zusätzlich eine Gedenk- und Informationstafel anzubringen, die ausdrücklich an die Häftlinge der beiden Außenlager des KZ Buchenwald erinnert. Sie konnte 2018 eingeweiht werden.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Faschismus, 2023
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Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Faschismus, 2023 ©Foto: Ronny H. Reitzig
Gedenk- und Informationstafel, die 40 Jahre später neben dem Denkmal eingeweiht wurde, 2023
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Gedenk- und Informationstafel, die 40 Jahre später neben dem Denkmal eingeweiht wurde, 2023 ©Foto: Ronny H. Reitzig