Aschersleben (Frauen)

2. Januar 1945 – 11. April 1945

Das Lager

Im Mai 1935 eröffnete die Junkers Flugzeug- und Motorenwerk AG ein weiteres Werk in Aschersleben, am Nordostrand des Harzes zwischen Magdeburg und Leipzig gelegen. Das Werk lag an der heutigen Walter-Kersten-Straße im Norden des Stadtzentrums neben einem Güterbahnhof. In der Flugzeugteile-Produktion setzten die Junkers-Werke seit Kriegsbeginn an ihren verschiedenen Standorten ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen ein. Seit August 1944 griff die Werksleitung in Aschersleben zudem auf männliche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald zurück. Sie waren auf dem Werksgelände untergebracht. Im Januar 1945 schickte die SS zusätzlich 500 jüdische Frauen zur Zwangsarbeit nach Aschersleben. Die Frauen waren ebenfalls auf dem Werksgelände untergebracht, jedoch streng getrennt von den männlichen Häftlingen. Rund 200 von ihnen sperrte die SS Berichten zufolge in ein Nebengebäude von Halle V. Die Unterkünfte der übrigen befanden sich vermutlich an verschiedenen Stellen auf dem Werksareal; Überlebende berichteten von Baracken. Es gab Betten, Heizungen und fließendes Wasser. Bei Fliegeralarm mussten die Frauen tagsüber unter strenger Bewachung in den Bunker unter der Fabrik gehen – bei Alarm in der Nacht hingegen hatten sie in der Häftlingsunterkunft zu bleiben.

Die Häftlinge

Am 2. Januar 1945 brachte die SS 500 jüdische Frauen und Mädchen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen nach Aschersleben. Die zwischen 13 und 47 Jahre alten Mädchen und Frauen stammten mehrheitlich aus Polen und Ungarn. Eine kleine Gruppe kam aus Belgien sowie einzelne Frauen aus Deutschland, der Sowjetunion, Jugoslawien und der Slowakei. Vor Bergen-Belsen waren sie alle unterschiedlich lange im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz inhaftiert gewesen. Viele von ihnen verloren dort ihre Familien. Weil sie als arbeitsfähig galten, brachte die SS sie nach Bergen-Belsen und von dort nach Aschersleben. Die teils jahrelange Verfolgung und die Zeit in Auschwitz und Bergen-Belsen hatte die Frauen gezeichnet.
An der Belegung des Frauenaußenlagers veränderte sich während seiner dreimonatigen Existenz nicht viel. Weder gab es weitere Überstellungen nach Aschersleben, noch Rücküberstellungen nach Bergen-Belsen. Ende März 1945 befanden sich noch 495 Häftlinge im Frauenaußenlager Aschersleben. Fünf Frauen starben in den Monaten zuvor.

„Unsere Baracken waren nur einen kurzen Fußmarsch von der Fabrik entfernt, was ein Segen war, da es draußen bitterkalt war und wir nur sehr dünne Mäntel trugen.”
Judy Cohen
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Zwangsarbeit

Im „Junkers AG. Werk Aschersleben“ – so die offizielle Bezeichnung – fertigten die Häftlinge Flugzeugteile, vor allem Rümpfe, für das Flugzeugmodell Junkers JU 88 an. Die Frauen wurden hauptsächlich in der Werkhalle V in den Abteilungen Zuschneiderei, Zurichterei, Zerspanerei und Teilebau eingesetzt. Sie mussten beispielsweise Teile verschrauben und Bohrmaschinen bedienen. Von SS-Aufseherinnen überwacht, arbeiteten die Frauen mit anderen Zwangsarbeitenden und Zivilisten zusammen – täglich in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten. Arbeitsfreie Tage gab es nicht, da auch sonntags in reduzierter Form produziert wurde. Teile der Fertigung kamen im März 1945 vermutlich wegen Materialmangels zum Erliegen, so dass ab Mitte März 1945 nur noch knapp die Hälfte der Frauen im Werk tätig war. Luftangriffe störten die Produktionsabläufe zusätzlich.

Krankheit und Tod

Wie für das Männerlager gab es auch für das Frauenaußenlager eine improvisierte Krankenstation. Als Häftlingsärztin setzte die SS Rosemarie Haarburger ein, eine Ärztin aus Hamburg, die 1944 aus ihrem Versteck in den Niederlanden nach Auschwitz deportiert worden war. Ihr zur Seite stand die Häftlingspflegerin Toska Weltsch aus dem polnischen Tarnów. Der SS-Sanitäter Max Schönherr überwachte sie. Im März 1945 kamen jeden Tag durchschnittlich neun Frauen wegen Krankheit zur stationären und 44 Frauen zur ambulanten Behandlung. Fünf Frauen starben in den drei Monaten der Existenz des Lagers. Als Todesursachen vermerkte die SS in den Haftunterlagen Herzschwäche, Lungenentzündung und Bauchtyphus. Sie ließ die Toten vermutlich im Krematorium in Quedlinburg einäschern. Dokumentiert ist, dass mindestens eine Frau in einem Massengrab auf dem zentralen Friedhof in Quedlinburg begraben wurde.

Bewachung

Die Wachmannschaft des Männerlagers unter dem Kommando des nicht näher bekannten SS-Hauptscharführers Reuter war auch für das Frauenaußenlager zuständig. Daher vergrößerte sie sich im Januar 1945 um einige SS-Aufseherinnen, die den inneren Betrieb des Frauenlagers kommandierten. Im März 1945 umfasste das Wachpersonal in Aschersleben insgesamt 73 SS-Männer und 11 SS-Aufseherinnen.
Ermittlungen der zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Häftlingstötungen während des Todesmarsches aus den beiden Lagern in Aschersleben wurden 1975 ergebnislos eingestellt.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich in den beiden Außenlagern in Aschersleben noch 422 männliche und 495 weibliche Häftlinge. Die Räumung der Lager erfolgte vermutlich zwischen dem 6. und 11. April 1945. Die SS-Wachen trieben die Männer und Frauen zunächst zusammen in Richtung Osten nach Torgau. Unterwegs aufgeteilt in zwei Kolonnen, erreichte die erste mit dem größten Teil der Frauen bis 14. April 1945 Delitzsch, 20 Kilometer nördlich von Leipzig. Von dort brachte man sie mit dem Zug nach Leitmeritz (Litoměřice). 252 dieser Frauen kamen am 24. April 1945 in Theresienstadt an, wo sie später befreit wurden. Die übrigen Frauen blieben in Leitmeritz und erlebten erst um den 8. Mai 1945 auf einem Bahntransport in Richtung Süden ihre Befreiung.

Spuren und Gedenken

In Aschersleben gibt es heute keine Spuren des Außenlagers mehr. Die sowjetische Militäradministration enteignete nach dem Krieg die Junkers-Werke. Die meisten Gebäude auf dem Gelände wurden zerstört. Heute befindet sich dort ein Industriegebiet.
Seit 1977 steht auf dem Werksgelände in der Wilslebener Straße ein Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Faschismus. In den 2000er-Jahren regte der Heimathistoriker Reiner Mühle an, zusätzlich eine Gedenk- und Informationstafel anzubringen, die ausdrücklich an die Häftlinge der beiden Außenlager des KZ Buchenwald erinnert. Sie konnte 2018 eingeweiht werden.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Faschismus, 2023
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Denkmal in Erinnerung an die Opfer des Faschismus, 2023 ©Foto: Ronny H. Reitzig
Gedenk- und Informationstafel, die 40 Jahre später neben dem Denkmal eingeweiht wurde, 2023
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Gedenk- und Informationstafel, die 40 Jahre später neben dem Denkmal eingeweiht wurde, 2023 ©Foto: Ronny H. Reitzig

Literatur:

Irmgard Seidel, Aschersleben (Frauen) in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 369-371.


Judith Weiszenberg (links) mit zwei Freundinnen in ihrer Heimatstadt Debrecen, 1945
Judith Weiszenberg (links) mit zwei Freundinnen in ihrer Heimatstadt Debrecen, 1945 ©Courtesy of the Azrieli Foundation
„Unsere Baracken waren nur einen kurzen Fußmarsch von der Fabrik entfernt, was ein Segen war, da es draußen bitterkalt war und wir nur sehr dünne Mäntel trugen.”

Judy Cohen

Judy Cohen wurde am 17. September 1928 als Judith Weiszenberg im ungarischen Debrecen als jüngstes von sieben Kindern in eine orthodoxe jüdische Familie geboren. Nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn musste sie im Mai 1944 mit ihrer Familie in das Ghetto von Debrecen ziehen. Ende Juni 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert, ermordete die SS ihre Eltern gleich nach der Ankunft. Judith und drei ihrer Schwestern brachte die SS zur Zwangsarbeit in verschiedene Lager. Über das KZ Bergen-Belsen kam die 16-Jährige nach Aschersleben. Nach der Befreiung kehrte sie zunächst nach Ungarn zurück. Sie und zwei Schwestern waren die einzigen Überlebenden der Familie. 1948 wanderte sie nach Kanada aus, wo sie ihren Mann Sidney Cohen kennenlernte. Judy Cohen lebt heute in Toronto und engagiert sich als Zeitzeugin.



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