
Judy Cohen wurde am 17. September 1928 als Judith Weiszenberg im ungarischen Debrecen als jüngstes von sieben Kindern in eine orthodoxe jüdische Familie geboren. Nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn musste sie im Mai 1944 mit ihrer Familie in das Ghetto von Debrecen ziehen. Ende Juni 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert, ermordete die SS ihre Eltern gleich nach der Ankunft. Judith und drei ihrer Schwestern brachte die SS zur Zwangsarbeit in verschiedene Lager. Über das KZ Bergen-Belsen kam die 16-Jährige nach Aschersleben. Nach der Befreiung kehrte sie zunächst nach Ungarn zurück. Sie und zwei Schwestern waren die einzigen Überlebenden der Familie. 1948 wanderte sie nach Kanada aus, wo sie ihren Mann Sidney Cohen kennenlernte. Judy Cohen lebt heute in Toronto und engagiert sich als Zeitzeugin.
Aus den Erinnerungen von Judy Cohen
In Aschersleben
„Es war der 2. Januar 1945, als wir in das Zwangsarbeitslager Aschersleben, ein
Außenlager von Buchenwald, kamen. Es war unglaublich, wir hatten anständige Baracken – anständig natürlich nur im Vergleich zu den unmenschlichen Bedingungen von Auschwitz-Birkenau. Wir hatten einzelne Etagenbetten mit Strohmatratzen, die mit weißen Laken bezogen waren, allerdings ärgerlicherweise nicht ohne ein paar Bettwanzen hier und da. Wir hatten sogar eine warme Dusche zur Verfügung und duschten jeden Tag. Es war sehr wichtig, dass wir uns sauber halten konnten. Wir mussten sauber sein, um die Moral in der Fabrik aufrechtzuerhalten. Denn wir wurden nun sozusagen in die Zivilgesellschaft eingeführt. Das lag jenseits unserer wildesten Träume. Stellen Sie sich vor, die Baracken wurden sogar mit riesigen Warmwasserleitungen beheizt, die mitten durch die Baracken verliefen. Es war kaum zu glauben, dass wir dort waren.“
Hunger und Überleben
„Unsere Baracken waren nur einen kurzen Fußmarsch von der Fabrik entfernt, was ein Segen war, da es draußen bitterkalt war und wir nur sehr dünne Mäntel trugen. Die Appelle wurden schnell abgearbeitet. Es gab nie genug zu essen und wir waren immer hungrig, aber das Essen war von viel besserer Qualität als das, was wir gewohnt waren. Mittags schwammen echte Fleischstücke in der Suppe, und das Brot war schmackhafter als in den anderen Lagern. Hier war das Überleben möglich.”
Kontakte
„Wir arbeiteten in der Fabrik in wechselnden Schichten zusammen mit Hunderten von anderen Arbeitern, einige von ihnen waren polnische und ukrainische Zwangsarbeiter. Sie wurden bezahlt und lebten in der Stadt Aschersleben. Ich glaube, die meisten von ihnen waren keine Deutschen und viele von ihnen waren Kriegsgefangene. Einige waren flämische Freiwillige aus Belgien, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten. Mein Vorarbeiter, Argo, ein französischer Kriegsgefangener, warnte mich vor ihnen. Er war sehr nett.
Gelegentlich mischten wir uns unter die anderen, obwohl wir Frauen den ganzen Tag über von der Galerie aus von SS-Aufseherinnen beobachtet wurden. Wir waren Gefangene, auch wenn wir in einer privaten Fabrik arbeiteten. Es gab eine perfekte Koordination und Zusammenarbeit zwischen der SS und der privaten Kriegsindustrie in Deutschland. Die deutschen Industriellen, die ihre Arbeiter beschäftigten und ausbeuteten und in den meisten Fällen sadistisch misshandelten, waren wesentlicher Bestandteil des Holocaust.“
Latkes
„Es war unglaublich, ich, ein ungarisches jüdisches Mädchen, sah in den Baracken eines Zwangsarbeitslagers zum ersten Mal, wie Latkes [Anm.: Kartoffelpuffer; ein traditionelles jüdisches Gericht] hergestellt wurden. Neben Töpfen und Pfannen stellten die tschechischen Frauen auch Reiben her, indem sie viele Löcher in weggeworfene Metallstücke stanzten. Wir halfen alle mit, die Kartoffeln zu reiben und sie zu Fladen zu formen, natürlich ohne Eier, aber sie klebten trotzdem zusammen, weil die Stärke der Kartoffeln sie zusammenhielt. Wir legten die Kartoffeln auf diese riesigen runden Heizungsrohre, aus denen ständig heißes Wasser strömte, um sie zu ‚kochen‘. [...] Und so lernte ich in Aschersleben, was Latkes sind – und ich mochte sie, auch wenn man mir sagte, dass die echten viel besser seien, mit Zwiebeln, Salz und Ei und in Öl gebraten."
Aus: Judy Cohen, A Cry in Unison, Toronto 2020, S. 51 f. Used with permission, courtesy of the Azrieli Foundation © 2020. (Übersetzung aus dem Englischen)