Walter Paul

(1910-1974)

Walter Paul kam am 4. Februar 1910 in Gelsenkirchen zur Welt. Der gelernte Kaufmann wurde mehrfach als politischer Gegner der Nationalsozialisten verhaftet, unter anderem wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Im Sommer 1943 wies die Gestapo ihn in das KZ Natzweiler ein. Über das KZ Dachau brachte ihn die SS Mitte Dezember 1944 schließlich nach Buchenwald. Er gehörte zu den Männern, die am 20. Januar 1945 in das neue Außenlager „Heinrich Kalb“ überstellt wurden. Dort fungierte er als Vorarbeiter. Unter dem Pseudonym Udo Dietmar veröffentliche Walter Paul bereits 1946 seine Erinnerungen an die KZ-Haft. Er starb 1974 in seiner Geburtsstadt Gelsenkirchen.

„Auf dem fast völlig leeren Zechenplatz stand schon eine Gruppe von Häftlingen. Von monatelanger Untertagearbeit waren ihre hohlwangigen Gesichter wächsernbleich geworden. Aus den tiefliegenden Augen flackerte noch immer die Angst vor dem Ungewissen, stierte der ewige Hunger.“

Aus den Erinnerungen von Walter Paul

Ankunft im Lager unter Tage
„Die Luft war derartig salzhaltig, daß wir schon nach wenigen Minuten den Salzgeschmack auf der Zunge spürten, welchen wir auch während der ganzen Zeit unseres Aufenthaltes hier unten nicht mehr los wurden. Wir marschierten immer noch tiefer in den Berg, um dann endlich nach einer halben Stunde in einer weiträumigen Halle, die in den Salzfelsen gesprengt war, halt zu machen. Ihr glitzerndes Weiß mutete uns an wie ein riesiges Leichentuch, was es auch tatsächlich für viele von uns werden sollte. [...] Die Halle [...] sollte unsere neue Unterkunft sein.
Sie war zirka hundert Meter lang, zwanzig Meter breit und drei Meter hoch. Außer dem Eingang, vor dem die Postenkette Stellung bezog, bildete sie ein massives Ganzes. [...] Wenn das unsere Unterkunft sein sollte, in der sich weiter nichts befand als ein kleiner Stoß alter Bretter, so würden wir doch sicher noch heute arbeiten müssen, um die für eine gewöhnliche Häftlingsunterkunft benötigten Sachen, wie Schlafpritschen, Tische und Bänke herbeizuschaffen und einzurichten.“

Arbeit im Salzschacht
„Es handelte sich um Materialbewegungen. Das vorhandene, vorher losgesprengte Salz mußte in Loren verladen, fortgefahren und an einer entlegenen Stelle ausgekippt werden, bis die Halle die gleiche Form hatte wie alle übrigen. [...]
Die ganze Arbeitsstelle war in eine Art Wolke feinen Salzes eingehüllt, welches die Schleimhäute angriff, sich in Augen, Nase und Lungen fraß. Die eigentliche Arbeitszeit hier unter Tage war auf acht Stunden festgesetzt mit einer halbstündigen Pause, von der aber nur Gebrauch gemacht werden durfte, wenn die geforderten Leistungen innerhalb der vorgeschriebenen Arbeitszeit erreicht waren. […]

Körperlich fühlte ich mich so elend wie nie zuvor, denn das ununterbrochene Einatmen der stark salzhaltigen Luft beengte die Brust und legte sich auf die Atmungsorgane. Die Folgen blieben nicht aus. Alle wurden von einem schmerzhaften starken Husten befallen, insbesondere aber litten Magen, Luftwege und Lunge. Katarrhe waren an der Tagesordnung, auch traten Lungen- und Magenblutungen immer häufiger auf. Andere Organe wurden gleichfalls in Mitleidenschaft gezogen, so die Nieren, die bei vielen nur noch einen blutig-roten Urin absonderten. Mehr und mehr überfiel die Auszehrung den ganzen Körper und forderte Opfer über Opfer.“

Todesmarsch nach Buchenwald
„Auf dem fast völlig leeren Zechenplatz stand schon eine Gruppe von Häftlingen. Von monatelanger Untertagearbeit waren ihre hohlwangigen Gesichter wächsernbleich geworden. Aus den tiefliegenden Augen flackerte noch immer die Angst vor dem Ungewissen, stierte der ewige Hunger. [...] Sie waren soeben aus dem dunklen Schacht heraufbefördert worden, um, in Reih und Glied angetreten, auf den nächsten Schub aus der Grube zu warten. Alle paar Minuten verließ ein neuer Trupp den Förderkorb und schloß sich ihnen an. […]

Endlos schien die Straße, endlos der Weg des Grauens. – –
Fast bei jeder Kilometerlänge lagen ein oder mehrere erschossene Häftlinge. Würden wir bis heute Abend oder spätestens morgen früh nichts zu essen bekommen, würde sich die Zahl der Opfer vervielfachen.
Solche Überlegungen stellte ich gerade an, als wir an einem Pferdekadaver vorbeitorkelten. Wir baten einen der SS-Führer, das Pferd aufteilen zu dürfen, um das Fleisch im nächsten Quartier zu einer kräftigen Mahlzeit zu verwenden. Für die Arbeiten möchte er einige Mann unter Bewachung zurücklassen, die dann später nachkommen sollten. Er willigte schließlich ein, und mit den primitivsten Taschenmessern gingen acht bis zehn Mann an die Arbeit, wobei sich ein jeder in rücksichtslosem Heißhunger ein Stück rohes Fleisch abschnitt [...]. Im Nu waren die besten Teile des Pferdekadavers zerlegt, und eine gute Stunde später befanden sich die Kameraden mit dem Fleisch beladen wieder beim Kommando ein. [...]
So gestärkt, konnten wir wieder eine Zeitlang aushalten. Auf Umwegen, immer der näher rückenden Front ausweichend, ging es weiter in Richtung Buchenwald.
Manch einer fiel noch als Opfer und mehrte die Zahl der Toten, die den ganzen Weg bis Buchenwald in regelmäßigen Abständen als Zeugen des Grauens markierten.
Zwei Tage später befanden wir uns ausgehungert und vollkommen erschöpft, um hundert Mann und mehr reduziert, auf der Straße von Weimar nach Buchenwald.
Wir waren nur ein Teil jener Häftlingsmasse, die sich von den Außenkommandos aus allen Gegenden Thüringens zu gleicher Zeit konzentrisch nach Buchenwald bewegte.“

Aus: Udo Dietmar, „Häftling ...X... in der Hölle auf Erden!“, Weimar 1946, S. 104 ff.