Bochum (Eisen- und Hüttenwerke AG)

21. August 1944 – 17. März 1945

Das Lager

In der Castroper Straße, unweit der Bochumer Innenstadt, lag das Stahlwerk der Bochumer Eisen- und Hüttenwerke AG. Im Krieg wurden in erster Linie Rüstungsgüter produziert, unter anderem Stahlplatten für Panzer. Mitte 1944 arbeiteten in der Produktion neben der deutschen Belegschaft bereits mehrere tausend ausländische Zwangsarbeitende. Zusätzlich ließ die Werksleitung im Sommer 1944 auf dem Betriebsgelände ein Lager für KZ-Häftlinge einrichten. Wo genau auf dem Areal zwischen Karl-Lange-Straße, Castroper Straße und den angrenzenden Bahngleisen sich das Lager befand, ist nicht bekannt. Ebenso liegen bisher keine Informationen über die Unterbringung der Häftlinge vor. Die Buchenwalder SS führte das Außenlager ab Ende August 1944 unter der Bezeichnung „SS-Arbeitskommando Eisen- und Hüttenwerke A. G., Werk Bochum“ oder in der Kurzform als „EHW Bochum“.

Die Häftlinge

Am 21. August 1944 wurden die ersten 400 Häftlinge für den Einsatz bei der Eisen- und Hüttenwerke AG aus Buchenwald nach Bochum gebracht. Politische Häftlinge aus Polen bildeten die größte Gruppe unter ihnen, gefolgt von sogenannten russischen Zivilarbeitern aus der Sowjetunion. Sie alle waren erst wenige Tage zuvor aus Auschwitz nach Buchenwald überstellt worden. Zum ersten Transport gehörte auch rund ein Dutzend deutscher Männer, die die SS als Funktionshäftlinge einsetzte. Mitte September 1944 stieg die Belegung des Lagers mit 650 Insassen auf ihren Höchststand. Neben Männern aus Polen und der Sowjetunion stellten über einhundert politische Häftlinge aus Frankreich nun die drittgrößte Gruppe im Lager dar. Hinzu kamen einzelne Niederländer, Tschechen, Italiener, Belgier und Spanier. Der aus Emden stammende Max Windmüller war nach bisherigem Kenntnisstand der einzige als jüdisch geltende Häftling im Lager an der Castroper Straße.

„Das Leben in diesem Kommando war anders als das, was ich in Buchenwald erlebt hatte.“
René Pernot
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Zwangsarbeit

Zu welcher Zwangsarbeit die Häftlinge im Rüstungswerk eingesetzt wurden, ist bisher nicht bekannt. Zunächst in 12-Stunden-Schichten von 6 bis 18 Uhr mit einer Stunde Mittagspause tätig, galt später ein Mehrschichten-System mit abgestuften Arbeitszeiten von 7 bis 12 Stunden. An Sonn- und Feiertagen arbeitete lediglich ein Teil der Lagerinsassen im Werk. Etwas mehr als einhundert Häftlinge erkannte die Werksleitung als Facharbeiter an, für die täglich sechs Reichsmark an die SS zu zahlen war. Es waren Elektriker, Schlosser, Schweißer, Anreißer oder Schleifer, die eigens für den Einsatz bei der Eisen- und Hüttenwerke AG ausgewählt worden waren. Die meisten von ihnen hatten zuvor in der Rüstungsfabrik der Wilhelm-Gustloff-Werke in Buchenwald arbeiten müssen. Nach dem Luftangriff auf Buchenwald am 24. August 1944 kamen sie nach Bochum. Alle übrigen Häftlinge galten als Hilfsarbeiter.

Krankheit und Tod

Über die Krankenversorgung im Lager ist wenig bekannt. Vor Ort eingesetzt waren ein Häftlingsarzt und ein Pfleger. Ein SS-Unterscharführer namens Schneider beaufsichtigte sie als SS-Sanitäter. Er hatte seinen Sitz beim Bochumer Verein in der Brüllstraße, dem zweiten Buchenwalder Außenlager in der Stadt. Im November 1944 befanden sich durchschnittlich zehn Häftlinge in Behandlung und waren deshalb von der Zwangsarbeit freigestellt. Bis zur Räumung des Lagers starben vor Ort vier Häftlinge. Ihre Leichname wurden auf dem Bochumer Zentralfriedhof am Freigrafendamm bestattet. Zehn kranke Häftlinge ließ die SS Mitte Januar 1945 nach Buchenwald zurückbringen, da sie als nicht mehr arbeitsfähig galten. Sieben von ihnen starben in den Tagen und Wochen danach an den Folgen der Zwangsarbeit im Bochumer Rüstungswerk.

Bewachung

Über die Bewachung des Außenlagers liegen nur wenige Informationen vor. Die Wachmannschaft bestand aus rund 40 SS-Männern. An ihrer Spitze stand SS-Oberscharführer Johann Schmidt (geb. 1912) als Kommandoführer. In den Jahren zuvor war er in Buchenwald unter anderem als Blockführer eingesetzt gewesen. Der höherrangige Kommandoführer des zweiten Bochumer Außenlagers beim Rüstungsunternehmen Bochumer Verein, SS-Obersturmführer Hermann Großmann (1901-1948), scheint zusätzlich eine Aufsichtsfunktion über das Außenlager innegehabt zu haben. Strafrechtliche Ermittlungen wegen Verbrechen im Außenlager bei der Eisen- und Hüttenwerke AG gab es in der Nachkriegszeit nicht.

Räumung

Am 17. März 1945 ließ die SS das Außenlager wegen der sich nähernden alliierten Truppen räumen. Per Zug wurden die Häftlinge zusammen mit den Insassen des Außenlagers beim Bochumer Verein nach Buchenwald gebracht. Aufgrund von zerstörten Strecken dauerte die Fahrt mehrere Tage. Am 21. März registrierte die SS im Hauptlager 616 eingetroffene Häftlinge aus dem Außenlager der Eisen- und Hüttenwerke AG. Viele von ihnen waren sterbenskrank. 16 Häftlinge aus den Bochumer Lagern hatten bereits die Fahrt nicht überlebt, weitere starben in den Tagen nach der Ankunft im Kleinen Lager von Buchenwald. Einen Großteil der Überlebenden trieb die SS Anfang April auf Todesmärsche in Richtung anderer Konzentrationslager.

Spuren und Gedenken

Mit Kriegsende wurde der Betrieb im Werk der Eisen- und Hüttenwerke nahtlos fortgeführt. Nach mehreren Eigentümerwechseln und zahlreichen baulichen Veränderungen produziert heute die Stahlwerke Bochum GmbH am Standort an der Castroper Straße. Vor Ort erinnert nichts an das ehemalige Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Auf dem Bochumer Zentralfriedhof am Freigrafendamm steht seit 1965 ein Gemeinschaftsgrabmal für die mehr als 1.700 auf dem Friedhof beigesetzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.

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Feld 19 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter
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Feld 19 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter ©Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation
Feld 19a als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter
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Feld 19a als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter ©Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation
Feld 34 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter
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Feld 34 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter ©Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation

René Pernot, 1943
René Pernot, 1943
©Familie Pernot
„Das Leben in diesem Kommando war anders als das, was ich in Buchenwald erlebt hatte.“

René Pernot

René Pernot stammte aus Cormatin in Frankreich, wo er am 22. Januar 1928 geboren wurde. Sein Vater, der eine Autowerkstatt besaß, war in der Résistance aktiv. Seine Gruppe wurde verraten. Da die Gestapo ihn nicht fassen konnte, verhaftete sie stattdessen im November 1943 seinen Sohn und deportierte den gerade 16-jährigen René Pernot im Januar 1944 nach Buchenwald. Er musste in der Rüstungsfabrik neben dem Lager arbeiten und kam im September 1944 nach Bochum. Nach einem Todesmarsch im KZ Dachau befreit, kehrte er in seine Heimat zurück. Er starb 2022 im Alter von 94 Jahren in Chalon-sur-Saône.



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