Bochum (Bochumer Verein)

27. Juni 1944 – 17. März 1945

Das Lager

Der „Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation AG“ war einer der größten deutschen Rüstungsbetriebe mit Sitz in der Alleestraße in Bochum Mitte. Ab Juni 1944 ließ die Betriebsleitung auf dem Werksgelände ein bestehendes Barackenlager für Zwangsarbeitende aus der Sowjetunion zu einem KZ-Außenlager ausbauen. Das Areal an der damaligen Brüllstraße, heute Kohlenstraße bzw. Am Umweltpark, grenzte im Norden an die Produktionshallen und im Süden an die Eisenbahngleise. Nach dem Ausbau bestand das Lager aus etwa 17 steinernen Baracken. Der größte Teil von ihnen diente als Unterkünfte für die Häftlinge, die übrigen fungierten als Küche, als Vorratsbaracke, als Krankenstation sowie als Unterkünfte für die SS-Wachmannschaft. Gesichert war das Lager mit einem elektrisch geladenen Zaun und Wachtürmen. Die Werksleitung hatte die Verpflegung der Häftlinge zu gewährleisten. Teile des Lagers wurden bei einem Luftangriff Anfang November 1944 zerstört.

Die Häftlinge

Zusätzlich zu den über 5.000 ausländischen Zwangsarbeitenden im Werk forderte die Betriebsleitung des Bochumer Vereins Anfang 1944 erstmals bei der SS KZ-Häftlinge an. Werksingenieure reisten eigens nach Auschwitz, um über die Auswahl der Häftlinge zu verhandeln. Die ersten 446 Männer erreichten Bochum sehr wahrscheinlich am 27. Juni 1944 aus Buchenwald. Es waren ungarische Juden, die kurz zuvor aus Auschwitz überstellt worden waren, sowie zwölf nicht-jüdische Häftlinge, die die SS als Funktionshäftlinge einsetzte. Aus Buchenwald, Auschwitz und Neuengamme wurden bis Ende Oktober 1944 weitere Häftlinge nach Bochum gebracht. Mit über 1.700 Männern erreichte die Belegung des Lagers nun ihren Höchststand. Etwa zwei Drittel von ihnen waren jüdische Häftlinge unterschiedlicher Nationalität. Hinzu kamen rund 600 nicht-jüdische Häftlinge aus der Sowjetunion, aus Polen, der Tschechoslowakei, Italien und Frankreich. Da beim Bochumer Verein jüdische und nicht-jüdische Häftlinge tätig waren, führte die Buchenwalder SS das Lager als „gemischtes Männerkommando“. Insgesamt durchliefen mehr als 1.720 Häftlinge das Lager.

„Uns hatten die kältesten Wintermonate erwischt und wir hatten nicht die entsprechende Kleidung, um uns zu bedecken.“
Bernardo Hirsch
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Zwangsarbeit

Kommandiert von zivilen Vorarbeitern des Bochumer Vereins, mussten die Häftlinge zunächst in Schwerstarbeit das vorhandene Lager ausbauen. Später erfolgte der Einsatz in der Produktion. Hierzu ließ die Betriebsleitung in den Konzentrationslagern Häftlinge mit handwerklichen Vorkenntnissen auswählen. Ihr Einsatzort war der sogenannte Pressbau und die Geschossdreherei direkt neben dem Lager. Hier zwang die Werksleitung die Männer unter extremer Hitze glühende Eisenblocks zu verarbeiten oder im Akkord an Drehbänken Granatenhülsen herzustellen. Schutzkleidung gab es keine, Verbrennungen und Verletzungen waren die Regel. Für gewöhnlich wurde von 6 bis 18 Uhr gearbeitet mit einer 45-minütigen Mittagspause. Sonntags arbeitete nur ein Teil der Häftlinge, mitunter aber auch alle. Zur Trümmerräumung nach Luftangriffen wurden wiederholt Häftlinge eingesetzt. Obwohl viele Handwerksberufe hatten, sah die Werksleitung in den meisten Häftlingen nur ungelernte Hilfsarbeiter. Für den Häftlingseinsatz zahlte der Bochumer Verein insgesamt über eine Million Reichsmark als Leihgebühr an die SS.

Krankheit und Tod

Eine Baracke im Lager diente als Krankenstation. Für die Versorgung der Kranken hatte die SS den tschechischen Arzt Josef Burian und zwei Häftlingspfleger eingesetzt. Der SS-Sanitäter Unterscharführer Schneider beaufsichtigte sie. Der Werksarzt des Bochumer Vereins Dr. Eberhard Sommer unterzeichnete die Totenscheine. Die Zahl der Kranken war ab Ende 1944 durchweg hoch. Am 10. März 1945 etwa waren 159 Häftlinge wegen Krankheit nicht arbeitsfähig. Bis zur Räumung des Lagers wurden 127 Tote an das Hauptlager gemeldet. Die meisten von ihnen starben an Lungenkrankheiten, allgemeiner Körperschwäche oder infolge eines Luftangriffs. In den ersten Monaten wurden die Toten in Essen eingeäschert. Später erfolgten Erdbestattungen: Jüdische Häftlinge wurden auf dem jüdischen Friedhof an der Wasserstraße und nicht-jüdische Häftlinge auf dem Zentralfriedhof am Freigrafendamm beigesetzt. 198 schwer kranke Häftlinge brachte die SS Mitte Januar 1945 zurück nach Buchenwald. Rund die Hälfte von ihnen starb in den Tagen und Wochen danach an den Folgen der Zwangsarbeit beim Bochumer Verein.

Bewachung

Mit der zunehmenden Belegung des Lagers vergrößerte sich auch die Wachmannschaft. Von 54 SS-Männern im August 1944 wuchs sie auf 81 Männer im März 1945 an. Mindestens ein Teil von ihnen war erst 1944 von der Wehrmacht als Verstärkung für den KZ-Dienst zur SS versetzt worden. Obersturmführer Hermann Großmann (1901-1948), seit 1939 Teil der Buchenwalder Wachmannschaft, leitete das Kommando. Vor Bochum hatte er bereits das Außenlager in Wernigerode befehligt. Ab Ende März 1945 kommandierte er noch kurz das Frauenaußenlager in Raguhn. Ein US-Militärgericht verurteilte ihn 1947 in Dachau wegen Verbrechen in den Außenlagern zum Tode. Ein weiterer SS-Mann der Bochumer Wachmannschaft und ein ehemaliger deutscher Funktionshäftling erhielten in Dachau Haftstrafen. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelte Ende der 1940er-Jahre gegen Angestellte des Bochumer Vereins. Drei von ihnen wurden wegen Misshandlungen von Häftlingen beim Lageraufbau 1949 zu kurzzeitigen Haftstrafen verurteilt.

Räumung

Durch Tod, Fluchten und Rückverlegungen nach Buchenwald verringerte sich die Zahl der Häftlinge von ihrem Höchststand von über 1.700 (Ende Oktober 1944) bis Mitte März 1945 auf rund 1.340. Am 17. März 1945 wurde das Außenlager wegen der sich nähernden alliierten Truppen geräumt. Per Zug brachte man die Häftlinge zusammen mit den Insassen des Außenlagers bei der Bochumer Eisen- und Hüttenwerke AG nach Buchenwald. Aufgrund von zerstörten Strecken dauerte die Fahrt mehrere Tage. Am 21. März registrierte die SS im Hauptlager 1.326 eingetroffene Häftlinge aus dem Außenlager beim Bochumer Verein. Viele von ihnen waren sterbenskrank. 16 Häftlinge aus den Bochumer Lagern hatten bereits die Fahrt nicht überlebt, weitere starben in den Tagen nach der Ankunft im Kleinen Lager von Buchenwald. Einen Großteil der Überlebenden trieb die SS Anfang April auf Todesmärsche in Richtung anderer Konzentrationslager.

Spuren und Gedenken

Der Bochumer Verein nutzte das Areal an der Alleestraße in den Jahrzehnten nach dem Krieg weiter als Produktionsstandort. Das Barackenlager diente zeitweise als Notunterkunft. Wann es abgerissen wurde, ist nicht bekannt. Heute ist das Betriebs- und Lagergelände weitgehend überbaut und Wohngebiet und Industriestandort. Seit den 1980er-Jahren setzte sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten für die Errichtung eines Denkmals ein. Seit 2018 befindet sich am ehemaligen Lagerstandort, am Kreisverkehr Kohlenstraße, eine Stolperschwelle. Im Jahr darauf konnte in der Straße Obere Stahlindustrie ein Erinnerungszeichen des Bochumer Künstlers Marcus Kiel eingeweiht werden. Auf dem jüdischen Friedhof in der Wasserstraße erinnern heute Grabmale an die dort beigesetzten Toten. Auf dem Bochumer Zentralfriedhof am Freigrafendamm gibt es seit 1965 ein Gemeinschaftsgrabmal  für die unter anderem dort beigesetzten KZ-Häftlinge.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Stolperschwelle am Kreisverkehr Kohlenstraße, 2025. Foto: Sebastian Hammer
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Stolperschwelle am Kreisverkehr Kohlenstraße, 2025. Foto: Sebastian Hammer ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Grabmale für die Toten des Außenlagers auf dem jüdischen Friedhof in der Wasserstraße, 2025. Foto: Sebastian Hammer
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Grabmale für die Toten des Außenlagers auf dem jüdischen Friedhof in der Wasserstraße, 2025. Foto: Sebastian Hammer ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Feld 19 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter
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Feld 19 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter ©Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation
Feld 19a als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter
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Feld 19a als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter ©Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation
Feld 34 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter
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Feld 34 als Teil des Gemeinschaftsgrabmals von NS-Opfern auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm, 2025. Foto: Markus Lutter ©Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation

Literatur:

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Bochum (Hg.), Ein Bochumer Konzentrationslager – Geschichte des Buchenwald-Außenlagers des Bochumer Vereins. Aufsätze, Fotos, Dokumente, Bochum 2019.


Bernath Hirsch nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Juni 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS
Bernath Hirsch nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Juni 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS
©Arolsen Archives
„Uns hatten die kältesten Wintermonate erwischt und wir hatten nicht die entsprechende Kleidung, um uns zu bedecken.“

Bernardo Hirsch

Bernardo Hirsch wurde als Bernath Hirsch am 16. März 1919 im transsilvanischen Reteag – heute Rumänien – in eine orthodoxe jüdische Familie geboren. Er hatte neun Geschwister. Im Juni 1944 deportierte die SS ihn und seine Familie nach Auschwitz-Birkenau, wo sie viele seiner Angehörigen ermordete. Er überlebte die dortige Selektion und kam Ende Juni mit einem seiner Brüder über Buchenwald in das Außenlager beim Bochumer Verein. Die Befreiung erlebte er Anfang Mai 1945 in Theresienstadt. Er arbeitete später für das American Joint Distribution Committee und wanderte 1947 nach Argentinien aus, wo er 2018 im Alter von 99 Jahren starb.



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