Böhlen

25. Juli 1944 – 28. November 1944

Das Lager

In ihren Treibstofffabriken in Magdeburg-Rothensee und Tröglitz/Rehmsdorf setzte die Braunkohle-Benzin AG (Brabag) bereits seit Juni 1944 Häftlinge aus Buchenwald zu Bauarbeiten ein. Gleichzeitig verhandelte der Betriebsdirektor der Treibstofffabrik in Böhlen Herbert von Felbert mit der SS über den Einsatz von KZ-Häftlingen an seinem Standort. Die ersten Häftlinge trafen Ende Juli 1944 in Böhlen, südlich von Leipzig, ein. Untergebracht wurden sie in einem bereits existierenden Barackenlager auf dem Brabag-Werksgelände in der heutigen Oststraße im Stadtteil Böhlen-Lippendorf. Es bestand aus Holzbaracken und war mit Stacheldraht umzäunt. Holzwachtürme sicherten das Lager zusätzlich.

Die Häftlinge

Im Gegensatz zu den Lagern in Magdeburg-Rothensee und Tröglitz/Rehmsdorf setzte die SS in Böhlen keine jüdischen Häftlinge ein. Die ersten 1.000 Männer kamen am 25. Juli 1944 aus Buchenwald in Böhlen an. Über die Hälfte von ihnen waren als politische Häftlinge registrierte Männer aus der Sowjetunion. Polnische Häftlinge bildeten die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Männern aus Frankreich, Italien, der Tschechoslowakei, Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Als Funktionshäftlinge (Lagerältester, Kapos, Vorarbeiter, Küchenpersonal) bestimmte die SS fast ausschließlich deutsche Häftlinge. Als Ersatz für Kranke oder nach Buchenwald rücküberstellte Häftlinge brachte die SS weitere Männer nach Böhlen. Ein größerer Transport mit 52 Männern erreichte das Lager am 29. September 1944 aus Buchenwald. In den vier Monaten, in denen das Lager bestand, gelang über 30 Häftlingen die Flucht. Insgesamt durchliefen rund 1.100 Häftlinge das Außenlager in Böhlen.

„Der SS-Mann beobachtete, daß ein Häftling von der Latrine, die in der Nähe der Wohnzelte stand, nicht zurück in seine Holzbaracke ging. Aller Wahrscheinlichkeit nach verirrte er sich im Halbschlaf und zielte die Rückseite des Blockes an.“
Josef Pasternak
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Wie die Brabag-Werke in Magdeburg-Rothensee und Tröglitz/Rehmsdorf wurde auch die Treibstofffabrik in Böhlen wiederholt das Ziel alliierter Luftangriffe. Die SS setzte die Häftlinge deshalb in Böhlen vor allem zur Räumung von Trümmern auf dem Werksgelände und in dessen Umgebung sowie beim Bau von Bunkern ein. Lediglich rund zehn Prozent der Häftlinge galten als Facharbeiter, alle anderen als ungelernte Hilfsarbeiter. Arbeitsfreie Tage gab es nicht. Auch an Sonn- und Feiertagen mussten die Häftlinge arbeiten, jedoch in reduzierter Form. Weitere Details über den Arbeitseinsatz sind bisher nicht bekannt.

Krankheit und Tod

Im Lager gab es eine Krankenstation, in der sich die beiden niederländischen Medizinstudenten Rene Raaijmaakers und Jacob De Graeff als Häftlingsarzt und Häftlingspfleger um die Kranken kümmerten. Der Betriebsarzt der Brabag AG, Dr. Eckardt, hatte die Aufsicht über die medizinische Versorgung der Häftlinge und der SS-Wachmannschaft. Ende Oktober 1944 waren zeitweise über 100 Häftlinge wegen Krankheit nicht arbeitsfähig. Dauerhaft kranke Männer schickte die SS zurück nach Buchenwald. Für die viermonatige Existenz des Lagers sind insgesamt acht Tote dokumentiert, ein weiterer Häftling starb während eines Krankentransports in das Hauptlager. Allein vier Häftlinge erschossen SS-Wachen bei angeblichen Fluchtversuchen. Die übrigen starben laut SS-Angaben an Herzschwäche, an Lungenentzündung, bei einem Arbeitsunfall oder durch Selbstmord. Mindestens ein Teil der Toten wurde im Krematorium auf dem Südfriedhof in Leipzig eingeäschert.

Bewachung

Die Wachmannschaft umfasste Anfang September 1944 80 SS-Männer. Bis Ende Oktober wuchs sie auf 113 SS-Männer an. Kommandiert wurde die Wachmannschaft von SS-Untersturmführer Hans Adolf Bernstein (1915-1945). 1933 war er der SS beigetreten. Seit Kriegsbeginn zunächst im KZ Sachsenhausen und ab 1942 im KZ Majdanek in Lublin tätig, wechselte er Ende 1943 in das KZ Buchenwald und später in das Außenlager Böhlen. Bei einem Fronteinsatz nahmen ihn sowjetische Truppen im Januar 1945 fest. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn im März 1945 wegen Kriegsverbrechen und seiner Beteiligung an Vergasungen im KZ Lublin-Majdanek zum Tode. Er wurde im April 1945 hingerichtet. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Erschießungen im Außenlager Böhlen wurde 1973 wegen des Todes des Beschuldigten eingestellt.

Räumung

Am 28. November 1944, vier Monate nach der Gründung, löste die SS das Außenlager Böhlen wieder auf. Die Häftlinge wurden für ein Untertageverlagerungsvorhaben der Brabag in Königstein im Elbsandsteingebirge südlich von Dresden benötigt, wo ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg bestand. Mit zwei Transporten brachte die SS am 14. und 28. November rund 980 Häftlinge aus Böhlen nach Königstein. Im Februar 1945 soll es erneut zu einem Einsatz von KZ-Häftlingen in Böhlen gekommen sein. Dokumente hierzu sind nicht überliefert.

Spuren und Gedenken

Im Oktober 1945 nahm die Treibstofffabrik in Böhlen ihren Betrieb auf Veranlassung der sowjetischen Militäradministration wieder auf. Ab 1952 wurde das Werk als VEB Otto Grotewohl weiterbetrieben. Heute befindet sich auf dem ehemaligen Werksgelände ein Betrieb des Chemieunternehmens Dow Chemical. Vor Ort erinnert nichts an die viermonatige Existenz des KZ-Außenlagers. Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig bietet jedoch regelmäßig Fahrradrundfahrten zu Orten der Zwangsarbeit in Böhlen an.

Link zum heutigen Standort des Werksgeländes auf GoogleMaps

Kontakt:
Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

Literatur:

Tobias Bütow u. Franka Bindernagel, KZ-Außenlager Böhlen, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors, Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 402-404.


Josef Pasternak in Weimar, Juni 1945
Josef Pasternak (Mitte) in Weimar, Juni 1945 ©Verlag Josef Pasternak
„Der SS-Mann beobachtete, daß ein Häftling von der Latrine, die in der Nähe der Wohnzelte stand, nicht zurück in seine Holzbaracke ging. Aller Wahrscheinlichkeit nach verirrte er sich im Halbschlaf und zielte die Rückseite des Blockes an.“

Josef Pasternak

Josef Pasternak wurde am 30. November 1920 in Ostrava (Tschechoslowakei) geboren. Der gelernte Koch kam im April 1944 als politischer Häftling in das Konzentrationslager Buchenwald. Im Außenlager Böhlen war er vor allem in der Lagerküche eingesetzt. Mitte Oktober 1944 schickte ihn die SS zurück ins Hauptlager und im Februar 1945 in das Außenlager S III in Ohrdruf. Nach der Befreiung blieb er in Deutschland und lebte seit 1968 mit seiner Familie in Aschaffenburg. 1976 veröffentlichte er seine Autobiographie „Zwischenstation Buchenwald“. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.



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