Tröglitz/Rehmsdorf

5. Juni 1944 – 7. April 1945

Das Lager

Bei Luftangriffen 1944 wurde das Treibstoffwerk Tröglitz der Braunkohle-Benzin-AG (Brabag) schwer beschädigt. Für die Aufräum- und Bauarbeiten auf dem Werksgelände forderte das Unternehmen Häftlinge bei der SS an. Für sie gab es Anfang Juni 1944 zunächst zwei provisorische Lager: In der Ortschaft Gleina beschlagnahmte die SS den Saal der Gastwirtschaft Harnisch und einen leerstehenden Ochsenstall. Direkt neben dem Werk, an der Straße nach Rehmsdorf, schlug sie ein provisorisches Lager aus Mannschaftszelten auf. Wasser- und Abwasserversorgung waren dort improvisiert, die hygienischen und sanitären Anlagen standen im Freien, Häftlingsbad, Krankenbau und Entlausung befanden sich in Gleina. Ab Herbst 1944 ließ die Brabag durch die Organisation Todt in Rehmsdorf, auf einer Industriebrache oberhalb des Bahnhofs, ein Lager für 4.000 Häftlinge errichten. Es bestand aus zehn Unterkunfts- und weiteren Funktionsbaracken. Ein Stacheldrahtzaun, an dem fünf Wachtürme standen, umschloss das Häftlingslager. Anfang 1945 wurden alle Häftlinge in das neue Lager verlegt. Die SS führte das für die Brabag eingerichtete Außenlager unter dem Tarnnamen „Wille“.

Die Häftlinge

Ab dem 5. Juni 1944 richtete ein Vorkommando mit 200 Häftlingen, überwiegend Niederländer und Deutsche, die Lager in Gleina und Tröglitz ein. Bis September 1944 brachte die SS über Buchenwald rund 5.200 jüdische Häftlinge aus dem Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau nach Tröglitz. Die Mehrzahl von ihnen stammte aus Ungarn und den damals zu Ungarn gehörenden Nachbarregionen. Viele waren als Jugendliche in Auschwitz von ihren Familien getrennt worden, manche kamen mit Vater oder Geschwistern nach Rehmsdorf; die Jüngsten gerade zwölf Jahre alt. Insgesamt durchliefen rund 6.600 Häftlinge das Lager. Fast 3.000 von ihnen wurden nach wenigen Wochen als „arbeitsunfähig“ ausgesondert, nach Buchenwald geschickt, in Auschwitz ermordet oder ins Sterbelager Bergen-Belsen abgeschoben. Das Lager „Wille“ galt bei der SS als „jüdisches Außenlager“. Die SS besetzte die Schlüsselpositionen der Häftlingsverwaltung mit nichtjüdischen Häftlingen. Unter den deutschen Lagerältesten Hans Wolf und Hans Gentgow arbeiteten Schreibstube, Lagerschutz, Feuerwehr, Krankenbau, Küche, Blockälteste und Stubendienste, Kapos und Vorarbeiter – insgesamt über 270 Häftlinge.

„Das gewaltige Tor wird geschlossen, die erste Nacht in dem neuen Ort beginnt. Und noch immer kein Bekannter, ich bin allein.“
László Kovács
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Zwangsarbeit

Ohne einen freien Tag mussten die Häftlinge täglich in 12-Stunden-Schichten auf dem zerstörten Werksgelände der Brabag in Tröglitz arbeiten. Mit dem Umzug des Lagers nach Rehmsdorf kam ein täglicher Fußmarsch zum Werk hinzu. Die Häftlinge hoben Kabelgräben aus und verlegten Kabel, bauten Betonfundamente und Bunker, reparierten zerstörte Rohre, räumten Schutt, setzten Gleise, Straßen, Wege und Brücken im Werk instand, trugen schwere Lasten und räumten Blindgänger – körperliche Schwerstarbeiten, die schnell zur totalen Erschöpfung führten. Leichte Tätigkeiten gab es nicht, auch keine sogenannten Schonungskommandos für Geschwächte. Nach einem weiteren Luftangriff im Januar 1945 arbeiteten Häftlingskolonnen zudem bei der Bergung von Verschütteten im Ort, bei der Reparatur von Gebäuden und beim Verfüllen von Bombentrichtern. Die Häftlinge wurden als unqualifizierte Hilfsarbeiter geführt, die als leicht ersetzbar galten. Für jeden Mann und Jungen zahlte die Brabag pro Arbeitstag vier Reichsmark an die SS.

Krankheit und Tod

Die lange und erschöpfende Zwangsarbeit, mangelnde Ernährung und Bekleidung, die improvisierte Unterbringung und die provisorischen hygienischen Verhältnisse führten zu einem schnellen Verfall der körperlichen Kräfte. Der Häftlingskrankenbau, zunächst in Gleina, dann im Lager Rehmsdorf, arbeitete mit Häftlingsärzten und -pflegern. Der Monatsbericht des Krankenbaus vom September 1944 weist bei einer durchschnittlichen Lagerbelegung von 4.890 Häftlingen 233 ambulante und 658 stationäre Behandlungen aus. Regelmäßig sonderte die SS Kranke und Geschwächte aus. Die größte Selektion fand im September 1944 statt: Tausend jüdische Männer und Jungen schickte die SS am 23. September zurück nach Buchenwald und von dort weiter zur Ermordung nach Auschwitz-Birkenau. Vor Ort starben mindestens 926 Häftlinge. Zu den häufigsten Todesursachen zählten neben Herzschwäche typische Mangelerkrankungen, wie Fuß- und Beinphlegmone, Tuberkulose oder Magen-Darm-Krankheiten. Die Toten ließ die SS in den Krematorien Gera, Altenburg und Weißenfels einäschern oder seit Ende März 1945 in Massengräbern in der Braunkohlengrube Phoenix nahe Mumsdorf verscharren.

Bewachung

Als Kommandoführer für das Außenlager „Wille“ setzte die Lagerverwaltung in Buchenwald SS-Untersturmführer Rudolf Kenn (1914-1987) ein. Der gelernte Tischler war seit Sommer 1933 Mitglied der SS und seit Kriegsbeginn im KZ Buchenwald als Blockführer und Rapportführer tätig. Von Mai 1943 bis Juni 1944 hatte er bereits als Kommandoführer das Außenlager bei den Erla-Werken in Leipzig-Thekla befehligt. Überlebende schildern das von ihm bestimmte Lagerregime als brutal und ihn selbst als gewalttätig. Die Wachmannschaft umfasste rund 310 SS-Männer. Nicht wenige unter ihnen waren sogenannte Volksdeutsche aus Rumänien.
Keiner der SS-Männer musste sich nach dem Krieg verantworten. Rudolf Kenn tauchte unter. Ein Anfang der 1970er-Jahre in der Bundesrepublik eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde 1976 „mangels Beweises“ eingestellt. Eine Verurteilung erhielt einzig der frühere Lagerälteste Hans Wolf. Ein amerikanisches Militärgericht verhängte über den ehemaligen Häftling 1947 in Dachau wegen Verbrechen im Außenlager „Wille“ die Todesstrafe. Die Vollstreckung erfolgte im Jahr darauf.

Räumung

Die SS räumte das Lager Rehmsdorf in der Nacht vom 6. zum 7. April 1945 und pferchte die Häftlinge in offene Kohlewaggons. Ziel war das Außenlager Leitmeritz des KZ Flossenbürg. Erst nach fast einer Woche, am 12. April, erreichte der Zug das 100 Kilometer entfernte Pockau-Lengefeld. An der nachfolgenden Station Marienberg-Gelobtland wurden 144 Tote ausgeladen und in Massengräbern verscharrt. Nach einem Tieffliegerangriff in Reitzenhain, bei dem Häftlinge flohen, setzte eine erbarmungslose Hetzjagd ein, an der sich Angehörige der Polizei, der NSDAP, des Volkssturms und der Hitlerjugend beteiligten. Am 18. April begann von dort der Fußmarsch nach Theresienstadt, der nochmals mindestens 354 Opfer forderte. Insgesamt wurden auf diesem Todesmarsch mehr als tausend Häftlinge des Außenlagers Rehmsdorf ermordet.

Spuren und Gedenken

Nach der Entdeckung der Massengräber nahe Mumsdorf wurden unter amerikanischer Besatzung bereits am 19. und 20. Juni 1945 insgesamt 290 Leichname auf einem Ehrenfriedhof neben dem Friedhof Mumsdorf beigesetzt. Im September 1945 fand dort eine erste Gedenkveranstaltung statt. Fast alle Namen der Toten waren zu diesem Zeitpunkt unbekannt, der Bezug zu Rehmsdorf ging im Laufe der Jahrzehnte langsam verloren. Die Namen der in den Krematorien Altenburg und Gera eingeäscherten Häftlinge sind auf Gedenksteinen festgehalten – in Weißenfels gibt es keinen solchen Hinweis. Gräber befinden sich auf den Friedhöfen Gleina und Rehmsdorf.
In Rehmsdorf wurde 1963 unterhalb der Baracken, die noch heute als Wohnungen dienen, eine Gedenkstätte eingeweiht. In der 1997 im Bürgerhaus eingerichteten Heimatstube wird ausführlich über die Geschichte des Außenlagers informiert. 2016 konnten zwei Baracken gesichert und als Gedenkort gestaltet werden. Ein Geschichtspfad vermittelt Informationen.

Link zum heutigen Standort und zur Gedenkstätte Rehmsforf auf GoogleMaps
Link zum Standort des Ehrenfriedhofs Mumsdorf auf GoogleMaps

Kontakt:
Büro Heimatstube u. Gedenkstätte
Brunnenplatz 5
06729 Elsteraue
Tel.: 03441 226477
E-Mail: gedenkstaette-rehmsdorf@gemeinde-elsteraue.de

Der Ehrenfriedhof Mumsdorf, 2022. Foto: Katharina Brand
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Der Ehrenfriedhof Mumsdorf, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Die Gedenkstätte Rehmsdorf, 2022. Foto: Katharina Brand
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Die Gedenkstätte Rehmsdorf, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Aufsteller des Geschichtspfades Rehmsdorf, 2022. Foto: Katharina Brand
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Aufsteller des Geschichtspfades Rehmsdorf, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald

László Lövi nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS
László Lövi nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS ©Arolsen Archives
„Das gewaltige Tor wird geschlossen, die erste Nacht in dem neuen Ort beginnt. Und noch immer kein Bekannter, ich bin allein.“

László Kovács

László Kovács kam am 26. Juli 1931 als László Lövi in einer jüdischen Familie in Nyíregyháza im Osten Ungarns zur Welt. Er wuchs im nahegelegenen Nagykállo auf. Im März 1944 wurde sein Vater zur Zwangsarbeit verschleppt. László war 12 Jahre alt, als die deutschen Besatzer ihn mit seiner Familie im Mai 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportierten. Er überlebte die Selektion. Nur auf sich gestellt brachte die SS László Lövi im Juni 1944 in das Außenlager „Wille“. Unter anderem musste er in einem Bombenräumkommando arbeiten. Er überlebte den Todesmarsch und wurde in Theresienstadt befreit. Sein Vater und er waren die einzigen Überlebenden der Familie. Nach dem Krieg nannte er sich Kovács, wurde Offizier in der ungarischen Armee und später Vertreter Ungarns im Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos. László Kovács starb 2019.



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