Izrael Jurek Rotbalsam

(geb. 1909)

Izrael Jurek Rotbalsam, vor 1940
Izrael Jurek Rotbalsam, vor 1940 ©Archiwum Uniwersytetu Warszawskiego

Biografie

Izrael Rotbalsam wurde am 22. Juli 1909 in Warschau in eine jüdische Familie geboren. Als Arzt arbeitete er an verschiedenen Kliniken. Im Warschauer Ghetto beteiligte er sich an einer geheimen Studie zu den Folgen des Hungers für den menschlichen Körper. Über das Konzentrationslager Majdanek in Lublin und das Zwangsarbeitslager für Juden in Skarżysko-Kamienna kam er im August 1944 nach Buchenwald und von dort zunächst in das Außenlager Schlieben. Im Februar 1945 brachte die SS ihn nach Flößberg, wo er als einer von vier Lagerärzten eingesetzt wurde. Nach der Befreiung ging er über Paris nach Palästina und lebte in Tel Aviv.

Aus den Erinnerungen von Izrael Jurek Rotbalsam

Flößberg
„Nach Flößberg fuhren wir in Waggons, in denen entsetzliche Kälte herrschte. Nur von unserer zerschlissenen Bekleidung geschützt, zitterten wir wie im Fieber. Die Waffenfabrik in Flößberg war getarnt. Sie wurde aus Holzbalken erbaut, lag im Wald und nichts ließ erahnen, dass dort eine Waffenproduktion stattfand. Unsere Arbeit bestand darin, Panzerfaustgeschosse zu befüllen. Oberscharführer Lütsche[r], der am neuen Ort das Kommando über uns übernahm, begleitete uns auf dem Weg aus Schlieben. […]

Den Chefarztposten im Lager übernahm ein Jude, Dr. Ehrenfeldt, der aus Ungarn stammte. Insgesamt waren wir vier Ärzte im Lager, darunter ein Nicht-Jude aus der Tschechoslowakei. Der Feldscher und ein Sanitäter waren Russen. Das Krankenhaus war gut ausgestattet, es gab eine funktionierende Schädlingsbekämpfungskammer. Die Krankenhaussäle waren angemessen eingerichtet. Im Krankenhaus gab es zwei spezialisierte Ambulanzen: die Chirurgie und die Innere Medizin. Der sanitäre Zustand des Lagers war folglich nicht schlecht, trotzdem herrschte weiterhin eine hohe Sterblichkeit infolge der miserablen Verpflegung und der schweren Arbeit.

Im Lager gab es Häftlinge aus unterschiedlichen Nationen: Russen, Franzosen, Jugoslawen, Ungarn, Ukrainer aus der Sowjetunion und viele Juden.

Am Anfang war es in Flößberg sehr schwer. Die Ursache war, dass wir immer wieder von zwei Einheiten junger SS-Männer aufgesucht wurden. Als Kriegsversehrte waren sie nicht mehr waffendiensttauglich und erhielten die Aufgabe, uns regelmäßig einen Besuch abzustatten, um das Arbeitstempo zu beschleunigen. Immer wenn sie aus Leipzig kamen, erstarrte das gesamte Lager vor Angst. Sie schlugen erbarmungslos auf uns ein.“

Von Flößberg nach Mauthausen
„Eines Tages, die Amerikaner waren schon ganz nah herangerückt, wurden wir in Waggons getrieben. Die Ärzte nahmen die medizinischen Gerätschaften mit. In den Waggons herrschte entsetzliche Enge. Der Hunger trieb einen schlichtweg in den Wahnsinn. An siebzehn Tagen, die wir unterwegs verbrachten, bekamen wir nur zwei Mal Suppe und ein Stück Brot.

Im Waggon, in dem sich die Ärzte befanden, war die Lage etwas besser. Auf einer der Stationen wurde uns gestattet, einige Säcke Zucker zu kaufen. Täglich bekam jeder von uns ein halbes bis ein ganzes Glas Zucker. Das rettete uns vor dem Hungertod.

In den anderen Waggons war es viel schlimmer. Der Hungertod hielt reichliche Ernte, bei jedem Halt ertönten aus den Waggons die Rufe: ‚Arzt!‘. Wir konnten leider nicht helfen. Wir konnten lediglich den Tod feststellen. Kurioserweise galt unter solch makabren Umständen die größte Sorge der uns bewachenden Deutschen der Frage, ob die Häftlingsnummer der Verstorbenen schriftlich festgehalten wurde.

In einem der Waggons stellten wir einen Fall von Kannibalismus fest. Den Zug bestiegen 1.200 Menschen, am Ziel angekommen waren 700.

Schmidt, der stellvertretende Kommandant, wütete schlichtweg während der ganzen Fahrt. Beim kleinsten Vergehen gab er den Befehl ‚Erschießen!‘; ‚Ablegen‘, hörten wir immer wieder seine unheilbringende Stimme, was bedeutete, dass bald ein neues Opfer sterben würde. So brachte Schmidt während dieser gespenstischen Fahrt einige Menschen um.

Als wir Pilsen passierten, brachte uns die dortige Bevölkerung Lebensmittel zum Bahnhof. Insbesondere war das Essen dem mit uns fahrenden Tschechen zugedacht, einem Arbeiterführer namens Ciszka.

Noch auf der Fahrt zogen unsere Betreuer Zivilkleidung an. Wir dachten, sie würden uns endlich freilassen, um sich nicht vor der heranziehenden siegreichen Armee bloßzustellen, trotzdem schaffte es unser Zug, Mauthausen zu erreichen.

Wir wurden in Gusen entladen und von dort zu Fuß nach Mauthausen getrieben. Die durch die schreckliche Reise entkräfteten Menschen fielen unterwegs vor Erschöpfung um. Im Hof des Lagers in Mauthausen angekommen, warteten wir die ganze Nacht. Gegen Morgen kam der stellvertretende Kommandant und fragte, ob unter den Angekommenen Juden seien. Als er erfuhr, dass wir sehr viele waren, befahl er uns in das sog. ‚Russische Revier‘ hinüberzugehen. Zunächst gingen wir ins Bad, danach bekamen wir Schuhe und Hemden.

Den Saal, in den wir getrieben wurden, füllten ca. 1.000 Menschen. Wir lagen auf den Pritschen, eng aneinandergeschmiegt. Fünf Menschen belegten eine Pritsche. Wir wurden mit dünner Flüssigkeit versorgt, die unsere ganze Tageskost darstellen sollte. Unter solchen Umständen war die Sterblichkeit enorm. Täglich starben bis zu 25 Menschen.“

Aus: Bericht Izrael Rotbalsam aus dem Jahre 1961. (Yad Vashem) (Übersetzung aus dem Polnischen)