Hadmersleben

13. März 1944 – 10. April 1945

Das Lager

Die Apparatebau GmbH Oschersleben (kurz AGO) verlagerte Anfang 1944 aufgrund von Luftangriffen auf ihr Flugzeugwerk Teile der Produktion in bestehende unterirdische Steinsalzschächte in Hadmersleben, wenige Kilometer südlich von Oschersleben. Für das Untertageverlagerungsprojekt wurden seit März 1944 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald eingesetzt. Die Buchenwalder Lagerverwaltung führte das neue Außenlager im heutigen Sachsen-Anhalt unter den Tarnnamen „Hans“ oder „Hans A4“. Untergebracht waren die Häftlinge zunächst in einem Lager auf dem Gelände einer ehemaligen Zuckerfabrik in der Nähe des Bahnhofs von Hadmersleben. Es bestand aus einem großen Backsteingebäude und einer Baracke. Als dieses Lager zu klein wurde, zogen die Häftlinge im September 1944 in ein neues Lager am südwestlichen Ortsrand an der heutigen Ecke Heerstraße/Hadmerslebener Straße. Es umfasste sechs Unterkunftsbaracken mit zwei- bis dreistöckigen Betten und weitere Baracken mit Küche, Krankenstation und Waschräumen. Das Lager war umzäunt und von Wachtürmen umgeben. Die Unterkunft der Wachmannschaft lag unmittelbar neben dem Lager.

Die Häftlinge

Die SS brachte die ersten 100 Häftlinge am 13. März 1944 aus Buchenwald nach Hadmersleben. Durch weitere Überstellungen aus dem Hauptlager stieg die Zahl der Häftlinge bis Sommer auf über 500. Mit dem sukzessiven Hochfahren der Produktion in der unterirdischen Fabrik wuchs ihre Zahl weiter. Ende Januar 1945 befanden sich insgesamt 1.444 Häftlinge vor Ort. Hiermit war der Höchststand der Belegung erreicht. Die meisten Häftlinge kamen aus Buchenwald. Rund 200 polnische Männer schickte die SS Mitte November 1944 aus Auschwitz über das KZ Sachsenhausen nach Hadmersleben. Der Großteil der Häftlinge im Außenlager „Hans“ stammte aus der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien und anderen deutsch besetzten Ländern. Die meisten galten als politische Häftlinge. Eine kleine Gruppe deutscher Gefangener setzte die SS als Funktionshäftlinge ein. Bis zur Räumung des Lagers sind einige Dutzend Fluchtversuche aus dem Außenlager Hadmersleben belegt.

„Acht Stunden in den Tiefen des Bergwerks, zwei Stunden für den Hin- und den Rückweg, zwei Stunden für den Abendappell und die Suppe und dann können wir uns waschen, unsere Kleidung reparieren oder etwas ‚organisieren‘.“
Leopold Flam
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Zwangsarbeit

Der Einsatz der Häftlinge erfolgte in zwei verschiedenen Arbeitskommandos („A4“ und „Ago“). Das Kommando „A4“ musste die unterirdischen Schächte zu einer Produktionsstätte ausbauen. Auftraggeber waren der SS-Führungsstab A4, das für Bauvorhaben verantwortliche Ingenieurbüro Schlempp und unterschiedliche beteiligte Firmen. Unter Tage verrichteten die Häftlinge Erdarbeiten, transportierten Salz aus den Schächten, betonierten Räume und transportierten und verlegten Kabel. Parallel zum Ausbau startete im Mai 1944 bereits die Produktion für die AGO bzw. die Siebenberg GmbH – wie der verlagerte Betrieb später hieß – in Teilen der unterirdischen Anlage. Die Häftlinge im Kommando „Ago“ mussten Flugzeugteile fertigen. Sie bedienten spezielle Maschinen und die meisten von ihnen galten als Facharbeiter. Viele Häftlinge wechselten später vom Baukommando „A4“ zum Produktionskommando „Ago“. Im unterirdischen Flugzeugwerk arbeiteten sie rund um die Uhr zunächst in zwei, später in drei zeitversetzten Schichten zu je elf Stunden und unter der Aufsicht deutscher Vorarbeiter. Die rund drei Kilometer lange Strecke zwischen dem Lager und den Schachtanlagen mussten die Gefangenen marschieren oder sie wurden mit Lastwagen gefahren.

Krankheit und Tod

In einer der Baracken des ab September 1944 genutzten Männerlagers befand sich eine Krankenstation. Sie bestand aus Räumen für die ambulante Behandlung, zwei Krankenzimmern, einem Schonungsraum, einem Raum für den Häftlingsarzt und -pfleger sowie aus Toiletten. Als Häftlingsarzt war der Franzose Maurice Dezès eingesetzt. Ihm stand mindestens ein Pfleger zur Seite. Die Aufsicht über sie hatte ein SS-Sanitäter namens Naumann. Ein in Hadmersleben ansässiger Arzt namens Weinrich fungierte als Vertragsarzt der SS. Regelmäßig wurden Häftlinge, die als „arbeitsunfähig“ galten, gegen neue Häftlinge aus dem Hauptlager ausgetauscht. Bis zur Räumung des Lagers sind in den Unterlagen der Lagerverwaltung 23 Todesfälle dokumentiert. Berichten zufolge sollen es mehr gewesen sein. Als Todesursachen gab die SS Lungenentzündungen, Herzerkrankungen, allgemeine Schwäche und Arbeitsunfälle an. Zwei Häftlinge wurden laut den SS-Dokumenten in Hadmersleben hingerichtet und mindestens drei Männer bei Fluchtversuchen erschossen.

Bewachung

Ende Februar umfasste die Wachmannschaft in Hadmersleben rund 120 bis 130 Mann. Beim Großteil von ihnen handelte es sich Berichten zufolge um an die SS überstellte ältere Luftwaffensoldaten. SS-Hauptsturmführer Michael Redwitz (1900-1946) kommandierte von März bis August 1944 das Außenlager Hadmersleben. Zuvor war er in verschiedenen Lagern eingesetzt gewesen, unter anderem als Schutzhaftlagerführer im KZ Dachau. Seine Nachfolge in Hadmersleben übernahm SS-Obersturmführer Eckhard(t) Schoeler (geb. 1898) – zuvor bereits in Buchenwald tätig –, der für seine Brutalität gefürchtet war.
Redwitz wurde 1945 von einem amerikanischen Militärgericht in Dachau wegen Verbrechen im KZ Dachau zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg stellte ein Ermittlungsverfahren zu den Geschehnissen im Außenlager Hadmersleben 1975 ergebnislos ein.

Räumung

Die Räumung des Lagers erfolgte vermutlich zwischen dem 7. und 10. April 1945. Die Häftlinge verließen in mehreren Gruppen das Lager. Einige konnten bereits nach wenigen Tagen unterwegs befreit werden. Die Hauptgruppe marschierte in südöstlicher Richtung über Dessau nach Coswig. Von dort wurden die Häftlinge, möglicherweise zusammen mit Männern aus anderen Außenlagern, in Schiffen über die Elbe in Richtung Tschechoslowakei gebracht. Auf den Schiffen herrschten katastrophale Bedingungen. Täglich starben Häftlinge. Die genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt. Fast drei Wochen blieben die Häftlinge auf den Schiffen, bis sie am 8. Mai 1945 in der Nähe von Lovosice in der Tschechoslowakei anlegten. Die Wachmannschaft verschwand und sowjetische Truppen befreiten die Häftlinge.

Spuren und Gedenken

Von den beiden Barackenlagern gibt es heute kaum noch bauliche Spuren. Eine Baracke des zweiten Lagers wurde später neben dem ehemaligen Lagergelände wiederaufgebaut und von einem Sportverein genutzt. Auf dem Werksgelände wurden nach Kriegsende die Schachtanlagen geflutet, die oberirdischen Gebäude nicht mehr genutzt und teilweise abgerissen. Einige Reste sind noch zu sehen. Auf dem ehemaligen Appellplatz des zweiten Barackenlagers ließ die Stadt 1975 einen Gedenkstein mit Gedenktafel errichten. 

Link zum heutigen Standort und zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Literatur:

Christian Wussow, Hadmersleben, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 452-454.


Leopold Flam, nach 1945
Leopold Flam, nach 1945 ©Leopold Flam, borststuk., tg:lhph:15849:m1, Collectie Stad Antwerpen, Letterenhuis
„Acht Stunden in den Tiefen des Bergwerks, zwei Stunden für den Hin- und den Rückweg, zwei Stunden für den Abendappell und die Suppe und dann können wir uns waschen, unsere Kleidung reparieren oder etwas ‚organisieren‘.“

Leopold Flam

Leopold Flam kam am 16. März 1912 in Antwerpen als Sohn osteuropäischer jüdischer Emigranten zur Welt. 1934 trat er als Student der Kommunistischen Partei Belgiens bei. Die Gestapo verhaftete Leopold Flam im März 1944. Im Mai kam er als politischer Häftling in das KZ Buchenwald und von dort zwei Wochen später nach Hadmersleben. Die Befreiung erlebte er im Mai 1945. Nach dem Krieg kehrte er nach Belgien zurück und arbeitete zunächst als Geschichtslehrer in Brüssel. 1960 wurde er Professor für Philosophie. 1988 veröffentlichte er seine Erinnerungen an die Deportation, die auf Notizen beruhen, die er während des Krieges gemacht hatte. Leopold Flam starb 1995 in Brüssel.



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