
Gommert Krijger wurde am 12. März 1905 im niederländischen Rilland-Bath geboren. Er arbeitete als Arzt in einem Pflegeheim für geistig behinderte Kinder und Erwachsene in Noordwijk. Weil er sich mit seinem Kollegen weigerte, Gegenstände aus Kupfer, Zinn, Blei und Nickel an die deutschen Besatzer abzugeben, wurde er 1942 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen deportiert. Seit Oktober 1942 war er Häftlingsarzt in der SS-Baubrigade I mit unterschiedlichen Einsatzorten. Kurz vor der Räumung des Lagers in Kortemark gelang ihm die Flucht. Einheimische versteckten ihn bis zur Ankunft der Alliierten. Zusammen mit dem polnischen Überlebenden Jan Woitas schrieb er noch im gleichen Jahr einen ersten Bericht über seine Haftzeit und hielt Vorträge über seine Erfahrungen. Bis zu seinem frühen Tod mit nur 46 Jahren arbeitete er wieder als Arzt. Gommert Krijger hinterließ seine Frau und sechs Kinder.
Aus den Erinnerungen von Gommert Krijger
In Kortemark
„So kamen wir nach einer etwa vierwöchigen Reise ausgehungert, schmutzig und müde in Kortemark an und wurden in einer Schule eingesperrt.
Dann geschah etwas, was uns in der ganzen Zeit, in der wir im Konzentrationslager waren, noch nie geschehen war. Die Einwohner von Kortemark zeigten uns ihre herzliche Anteilnahme und setzten diese Anteilnahme in die Tat um und gaben uns Lebensmittel, Tabak und Zigaretten in so großen Mengen, dass wir in Verlegenheit gerieten. Darüber hinaus erhielten wir Hilfe vom Belgischen Roten Kreuz. Wir hatten Lebensmittel in Hülle und Fülle und spürten, wie unsere Kräfte zunahmen, und der Gedanke an Flucht verfolgte uns immer wieder.
Oft stand ich auf dem Schulhof, am Tor, und beobachtete die Umgebung, wie und wohin ich fliehen würde, wenn die Zeit gekommen war und ich eine Chance zur Flucht hätte. Der Lagerkommandant hat mich mehrmals unter Androhung von Strafen von diesem Tor weggeschickt. Aber ich hatte dann den Gedanken, ja Mensch, aber hier wird meine Freiheit kommen. Wie, das wusste ich damals nicht. Dass die Stunde kommen würde, in der ich frei sein würde, das war sicher. Hier in Belgien waren wir sicher, dass wir, wenn wir wegliefen, bei der Bevölkerung Unterschlupf finden würden und dass sie uns verstecken würden, so dass die SS uns nie finden würde.“
Die Krankenstation
„Den Patienten im Lazarett ging es besser als je zuvor, und die vom Roten Kreuz mitgebrachten Eier und Milch halfen vielen, wieder zu Kräften zu kommen.
Leider starben trotzdem drei Männer, die an schwerer Tuberkulose erkrankt waren. Sie wurden von ihrem Elend erlöst, und ich war froh, dass sie wenigstens in den letzten Wochen ihrer Krankheit besser versorgt worden waren und abends mit einem gut gefüllten Magen schlafen gingen. Denn das war ihnen seit Jahren nicht mehr passiert, und was das bedeutet, können nur diejenigen begreifen, die so lange mit einer kleinen, ausgewogenen Ration leben mussten, gerade genug, um nicht zu sterben.“
Räumung
„So kam der einunddreißigste August und man befahl uns, alles zu packen, denn am nächsten Tag würden wir in Autos zum Zug und nach Deutschland ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht werden. Wir hörten das mit großem Schrecken, denn wir hatten die Hoffnung gehegt, dass die alliierten Armeen bald in Belgien stehen und die Reise nach Deutschland unmöglich machen würden.
Leider waren die Armeen noch nicht so weit, aber wir wussten, dass sie schnell vorrückten, weil die Bevölkerung uns bei der Arbeit geheime Informationen gab.“
Flucht
„Jetzt war die Chance meines Lebens da, das merkte sogar mein Pfleger, als er plötzlich rief: ‚Doktor ... weg ... schnell ...‘. Als ich nach ihm schaute, war er schon weg und ich konnte ihn in der Dunkelheit nicht sehen; wie ein Pfeil vom Bogen war er davongelaufen. Ich jagte ihm nach, und wir liefen in die Richtung, wo nicht geschossen wurde. Mein Herz schlug mir in der Kehle, es pochte, denn die Angst vor den Kugeln war groß, aber keine wurde auf uns abgefeuert.
Ich lief etwa eine Stunde lang durch die Felder, in und unter Stacheldrahtzäunen hindurch, durch Hecken und Gräben. Ich rannte, so schnell ich konnte. Nach fünfzehn Minuten konnte ich nicht mehr und schleppte mich weiter, erschöpft und müde wie ich war. [...]
Als es hell wurde, hielt ich es für ratsam, mich hier und da in einer Scheune zu verstecken. Ich hatte meine KZ-Kleidung ausgezogen und weggeworfen und lief in einer schwarzen Hose mit einem grauen Pullover und einem Paar Kniestrümpfen herum, so dass ich zwar etwas seltsam aussah, aber nicht sofort als geflohener KZ-Häftling erkannt werden konnte. […]
Ich kam zu einem Bauernhof, wo ich mich verstecken wollte, bevor mich jemand erwischen konnte. Der Hund bellte fürchterlich und in meiner Angst lief ich in den ersten kleinen Schuppen, den ich sah. Es war ein Schweinestall. Dort gab es vier Verschläge. In dreien von ihnen war jeweils ein großes Schwein, der vierte war nur mit Stroh gefüllt. Ich legte mich in diesem leeren Stall ins Stroh und bedeckte mich mit einer Schicht, gerade dick genug, dass man mich nicht sehen konnte.
Dort lag ich den ganzen Tag bis sieben Uhr abends, ein paar Mal kamen die Bewohner des Hofes, um die Schweine zu füttern, aber der kleine Verschlag, in dem ich lag, blieb ungestört. [...]
Ich sagte jedoch nichts, denn der Gedanke, dass sie nach uns suchten, ließ mich nicht los, und wie ich später erfuhr, suchten siebzig Soldaten und dreißig SS-Männer fast den ganzen Tag nach uns. Sie fanden einen Gefangenen, der einen Beinschuss hatte und nicht mehr weiterkonnte; sie erschossen ihn auf dem Schulhof vor allen anderen Gefangenen, die nicht geflohen waren. […]
Der Hunger quälte mich nun sehr, denn ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen oder getrunken, aber das machte nichts, ich war frei, ich lebte bereits in Freiheit, meine Freude war groß, dass ich aus den Fängen dieser Banditen entkommen war und es ihnen nicht gelungen war, mich so zu verwunden, dass ich nicht entkommen konnte.“
Aus: Jan Woitas u. Gommert Krijger, Duitslands Folterkampen! Oranienburg-Sachsenhausen, Amersfoort, Duisburg, Dusseldorf en eiland Alderney, Kortemark o. J. [1944], S. 79 f.