Mühlhausen (Frauen)

3. September 1944 – 28. Februar 1945

Das Lager

In den 1930er-Jahren ließ die Thiel Seebach GmbH unter dem Namen „Gerätebau GmbH“ eine Fabrik für die Fertigung von Zündern im Mühlhäuser Stadtwald bauen. Bis 1938 entstand zur Unterbringung der Belegschaft ein „Bereitschaftslager“ (kurz „B-Lager“) an der Weiße-Haus-Chaussee, rund zweieinhalb Kilometer von der Fabrik entfernt. Die Gerätebau GmbH, die schon seit 1942 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen einsetzte, vereinbarte im Sommer 1944 mit der SS, ein Außenlager für weibliche KZ-Häftlinge einzurichten. Nachdem das Lager- und Wachpersonal bereits im August eingetroffen war, brachte die SS Anfang September die ersten Häftlinge nach Mühlhausen. Sie wurden im „B-Lager“ in fünf mit Stacheldraht abgeriegelten Steinbaracken untergebracht. Die Unterkünfte waren mit Einzel- und Mehrstockbetten und Strohsäcken ausgestattet. In der Buchenwalder Lagerverwaltung lief das Lager unter der Bezeichnung „Gerätebau GmbH Mühlhausen“ oder „Arbeitskommando Mühlhausen“. Seit April 1944 existierte bereits ein Außenlager mit männlichen KZ-Häftlingen in der Stadt.

Die Häftlinge

Am 3. September 1944 trafen 500 Frauen aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück in Mühlhausen ein. Weitere 200 Gefangene brachte die SS Ende Oktober aus Auschwitz in das Lager der Gerätebau GmbH. Einzelne Häftlinge tauschte die SS aus, so dass insgesamt 712 weibliche Häftlinge das Lager durchliefen. Alle Frauen waren als Jüdinnen verfolgt worden. Mehr als drei Viertel von ihnen stammte aus Polen. Seit Kriegsbeginn der Verfolgung ausgesetzt, hatten sie zahlreiche Ghettos und Lager durchlaufen, bevor sie in das Außenlager Mühlhausen eingeliefert wurden. Die zweitgrößte Gruppe bildeten Jüdinnen aus Ungarn und den damals zu Ungarn gehörenden Nachbarregionen; zumeist im Frühjahr und Frühsommer 1944 aus ihrer Heimat nach Auschwitz deportiert. Einzelne Frauen kamen zudem aus der Tschechoslowakei, Litauen oder Deutschland. Die meisten der Gefangenen waren sehr jung, größtenteils in den zwanziger Jahren. Fluchtversuche aus dem Lager sind nicht dokumentiert. Da es sich ausschließlich um jüdische Häftlinge handelte, führte die Buchenwalder SS das Frauenaußenlager in Mühlhausen als eines der „jüdischen Arbeitskommandos“.

„Als ich auf dem Weg nach Mühlhausen war, sagte ich mir, daẞ ich jetzt alleine zurechtkommen muẞ, wenn ich überleben will.“
Orna Birnbach
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Zwangsarbeit

Mit Ausnahme von rund 40 Frauen, die als Funktionshäftlinge oder für Arbeiten im Lager eingesetzt waren, mussten alle Häftlinge als Hilfskräfte in der sogenannten Zünderproduktion der Gerätebau GmbH Zwangsarbeit leisten. Täglich marschierten sie zu Fuß die rund zweieinhalb Kilometer zum Werk. Sie arbeiteten unter der Aufsicht der Aufseherinnen und ziviler deutscher Meister und Vorarbeiter täglich zehn bis elf Stunden. Die Arbeit im Werk war in einem Dreischichtsystem mit je 45 Minuten Pause organisiert: von 7.15 bis 18.30 für die Normalschicht (samstags nur bis 15.30), von 5.15 bis 17.00 für die Frühschicht und von 17.15 bis 5.00 für die Spätschicht (außer samstags, da sie entfiel). Wegen Brennstoffmangels verkürzte sich die Arbeitszeit ab Mitte Februar 1945. An Sonntagen mussten die Frauen nicht im Werk arbeiten. Mitunter wurden die Häftlinge auch außerhalb der Fabrik eingesetzt, etwa zum Sammeln von Brennholz für die SS-Wachmannschaft.

Krankheit und Tod

In einer der Unterkunftsbaracken gab es eine improvisierte Krankenstation. Hier kümmerte sich zunächst nur eine Häftlingspflegerin um die Kranken. Später kamen weitere Pflegerinnen und die ungarische Häftlingsärztin Rozsi Havas hinzu. Die Aufsicht über die Krankenversorgung lag in den Händen des SS-Sanitäters Friedrich Arzt. Er war im Männeraußenlager in Mühlhausen eingesetzt. Zusammen mit dem dortigen Häftlingsarzt Erling Hansen besuchte er wiederholt das Frauenlager. In einigen Fällen, etwa bei Augenkrankheiten, wurden Frauen aus dem Lager auch von lokalen Mühlhäuser Ärzten behandelt. Die Zahl der ambulanten Behandlungen schwankte zwischen 20 und 40 Frauen täglich. Ende Oktober 1944 ließ die SS vier Frauen mit Lungenkrankheiten zurück nach Auschwitz bringen. Zwei Schwangere wurden im Januar 1945 in das KZ Bergen-Belsen geschickt. Vor Ort in Mühlhausen starben drei Frauen. Die SS ließ die Toten im städtischen Krematorium einäschern und die Urnen auf dem Mühlhäuser Friedhof beisetzen.

Bewachung

Für die Bewachung des Lagers setzte die SS Männer und Frauen ein. Im November 1944 bestand die Wachmannschaft im Frauenaußenlager Mühlhausen aus 22 SS-Männern und 23 SS-Aufseherinnen. Die Aufseherinnen übernahmen die Aufsicht im Lager und während der Arbeit. Mehrheitlich handelte es sich um 20- bis 30-jährige Frauen. Zuvor hatten sie bereits für die Gerätebau GmbH gearbeitet und sich für den Dienst als Aufseherin gemeldet. Vor ihrem Dienst in Mühlhausen nahmen sie an einer Schulung im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück teil. Die SS-Männer – viele von ihnen ältere Wehrmachtsangehörige – sicherten den Lagerzaun und bewachten die Frauen auf ihrem Weg zur Arbeit. Zum KZ-Wachdienst waren sie an die SS überstellt worden. Das Kommando vor Ort führte SS-Sturmscharführer Otto Baus, über den keine weiteren Informationen vorliegen.
Neun ehemalige SS-Aufseherinnen wurden nach dem Krieg in sowjetischen oder amerikanischen Internierungslagern inhaftiert und teilweise zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt. Ermittlungen in der Bundesrepublik gegen Otto Baus blieben in den 1960er-Jahren ohne Ergebnis.

Räumung

Am 22. Februar 1945 erteilte die Kommandantur in Buchenwald den Befehl, das Frauenaußenlager Mühlhausen aufzulösen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch knapp 700 Frauen im Lager. Am 28. Februar oder 1. März trieb die SS die Frauen zum Bahnhof Mühlhausen. Von dort wurden sie mit dem Zug nach Celle gebracht. Nach der Ankunft in Celle mussten sie über 20 Kilometer zu Fuß in das Konzentrationslager Bergen-Belsen marschieren, wo sie am 3. März eintrafen. Wie viele der Frauen in den folgenden Wochen in Bergen-Belsen starben, ist nicht bekannt. Die Überlebenden wurden am 15. April 1945 befreit.

Spuren und Gedenken

Das Werk der Gerätebau GmbH wurde nach dem Krieg gesprengt und das Gelände des „B-Lagers“ seit 1945 für verschiedene Zwecke genutzt. In der DDR stand auf dem Areal eine NVA-Kaserne, die nach 1990 die Bundeswehr übernahm. Zwischen 1999 und 2002 war hier ein Asylbewerberheim untergebracht. Nach dem Verkauf des Geländes in private Hand im Jahre 2009 sollte auf dem ehemaligen Lagergelände ein Bratwurstmuseum entstehen. Aufgrund massiver Proteste, u.a. durch die jüdische Landesgemeinde, wurden diese Pläne verworfen. Der Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegeverein ließ bereits 2003 an der Wegstrecke, die die Frauen täglich zur Arbeit marschieren mussten, eine Gedenkstele errichten.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort der Gedenkstele auf GoogleMaps

Kontakt:
Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegeverein e.V.
 

Literatur:

Marc Bartuschka, Zwischen Auschwitz, Bergen-Belsen und Todesmarsch – Die KZ-Außenlager in Mühlhausen, Mühlhausen 2023.


Orna Birnbach, undatiert (nach 1946)
Orna Birnbach, undatiert (nach 1946) ©Gedenkstätte Buchenwald
„Als ich auf dem Weg nach Mühlhausen war, sagte ich mir, daẞ ich jetzt alleine zurechtkommen muẞ, wenn ich überleben will.“

Orna Birnbach

Orna Birnbach wurde am 19. Juni 1928 als Erna Blauer im polnischen Włocławek als einziges Kind in eine jüdische Familie geboren. Die deutschen Besatzer zwangen die Familie, in das Ghetto von Tarnów zu ziehen. Ab September 1943 musste die Familie im Arbeitslager Płaszów bei Krakau arbeiten. Im August 1944 deportierte die SS Orna nach Auschwitz-Birkenau, wo sie von ihrer Mutter getrennt wurde. Von dort kam die 16-Jährige Ende Oktober 1944 zur Zwangsarbeit nach Mühlhausen. Todkrank erlebte sie die Befreiung im KZ Bergen-Belsen. Über Frankreich emigrierte sie 1946 nach Palästina, wo sie vom Überleben ihrer Mutter erfuhr. In ihrer neuen Heimat baute sie sich ein Existenz auf und gründete eine Familie. In den 1960er- und 1970er-Jahren sagte sie wiederholt in Prozessen in Deutschland gegen NS-Täter aus.



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