Oberndorf

16. November 1944 – 22. Februar 1945

Das Lager

In einem Waldgebiet nahe der ostthüringischen Gemeinde Oberndorf bei Hermsdorf betrieb die Luftwaffe der Wehrmacht seit 1934 eine sogenannte Munitionsanstalt, kurz Muna. Auf dem umzäunten Areal, das 1945 rund 250 Hektar umfasste, wurde Munition fertiggestellt und zwischengelagert. Die Anlage lag verkehrstechnisch sehr günstig: Es gab einen gesonderten Gleisanschluss an das Netz der Deutschen Reichsbahn (Strecke Weimar-Gera) und eine eigene Autobahnzufahrt. Neben besoldeten Militärangehörigen und deutschem Zivilpersonal waren auch ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in der Muna tätig. Ab Mitte November 1944 erfolgte zusätzlich der Einsatz von Häftlingen aus dem gut 50 Kilometer entfernten Konzentrationslager Buchenwald. Sie mussten Bomben verschiedenster Art transportieren und verladen. Die Buchenwalder SS führte das hierfür eingerichtete neue Außenlager unter den Bezeichnungen „Muna Oberndorf“ oder „L-Muna 5/IV Oberndorf Post Hermsdorf Thür.“. Das mit Stacheldraht gesicherte Barackenlager befand sich in unmittelbarer Nähe zur Munitionsanstalt und bestand vermutlich aus einigen Wohnbaracken und einem Sanitätsgebäude. Berichten zufolge wurden die Häftlinge durch die Werksküche verpflegt.

Die Häftlinge

Am Bahnhof der Muna trafen am Donnerstag, dem 16. November 1944, die ersten 100 Häftlinge aus dem Hauptlager Buchenwald ein. Über einen Monat später brachte die SS 100 weitere Männer nach Oberndorf. Im Ganzen durchliefen 232 Häftlinge aus 14 Ländern das Lager. Etwa 40 Prozent waren 25 Jahre oder jünger – mit 16 Jahren die jüngsten Häftlinge: die Schüler Eduard Zingis aus Dunika (Lettland) und Iwan Shishirun aus der Region Kiew. Fast alle trugen den roten Winkel und galten somit als politisch Verfolgte. Hinzu kamen einzelne Männer, die als Juden oder Sinti und Roma verfolgt wurden. Hinsichtlich der Nationalitäten bildeten Häftlinge aus der Sowjetunion, Ungarn, Polen und Italien die größten Gruppen. Als Lagerältesten setzte die SS den deutschen politischen Häftling Wilhelm Eglinsky aus Göttingen ein. Er war seit Ende Juli 1937 in Buchenwald inhaftiert. Im Zuge der Auflösung des Außenlagers Oberndorf konnte er sich absetzen und untertauchen. Weitere acht Fluchtversuche sind belegt, von denen mindestens zwei scheiterten.

Zwangsarbeit

Wahrscheinlich wurden die Häftlinge nicht bei der Befüllung von Munition mit Sprengstoff und zur Anbringung von Zündern (Laborierung) eingesetzt. In erster Linie übten sie Transportarbeiten aus: Sie verluden die angelieferten Sprengkörper und brachten diese in die Arbeitshäuser. Die nun gebrauchsfähige Munition wurde danach in Bunkern eingelagert oder getarnt im Freien gestapelt. Für die körperlich anstrengende Tätigkeit standen nur primitive Hilfsmittel wie Schleppschlitten aus Holz zur Verfügung. Daneben mussten sie Wege- und Holzfällerarbeiten durchführen sowie Betonpfeiler und Zäune errichten. Ungewiss ist, ob die Häftlinge auch das Barackenlager aufbauten. Ebenso unklar ist, ob sie bei Bombenentschärfungen in der Umgebung beteiligt waren. Nur zwölf Häftlinge galten als Facharbeiter wie Maurer, Schlosser oder Zimmerer und leisteten vermutlich in den Werkstätten der Munitionsanstalt Zwangsarbeit. Für alle begann die Arbeit wochentags um 6.30 Uhr und endete um 17 Uhr, unterbrochen von einer einstündigen Pause. An den Wochenenden arbeiteten die Häftlinge in verkürzter Form.

Krankheit und Tod

Über die Krankenversorgung im Lager liegen kaum Informationen vor. Vermutlich setzte die SS den ehemaligen Militärarzt der Sowjetarmee Semen Mazurin aus Charkiw als Häftlingsarzt ein. Unterstützung erhielt er von einem Pfleger. Ein in Klosterlausnitz ansässiger Arzt, Hellmuth Schreiter, beaufsichtigte sie. Am 22. November 1944 befanden sich drei Häftlinge in stationärer Behandlung. Fünf weitere waren als sogenannte Schonungskranke von der Arbeit freigestellt. Es ist davon auszugehen, dass der Krankenstand in den Wintermonaten 1944/1945 anstieg. Teilweise ließ die SS schwer Erkrankte zurück nach Buchenwald bringen, von denen manche später im Hauptlager starben. Vor Ort in Oberndorf gab es nachweislich zwei Tote: Der 34-jährige Franzose Georges Ducrot aus Nizza erlag am 11. Januar 1945 einer Lungenentzündung, der Ungar Jozef Fekette aus Budapest verstarb am 28. Januar 1945 mit 46 Jahren laut Angaben der SS an Entkräftung.

Bewachung

Die Bewachung des Außenlagers und des Arbeitseinsatzes erfolgte durch Angehörige der Luftwaffenmunitionsanstalt. Für November 1944 ist belegt, dass 14 Luftwaffensoldaten die Posten stellten. Aus Buchenwald versetzte die SS lediglich zwei SS-Männer nach Oberndorf, darunter den Kommandoführer des Außenlagers, Alfred Dieckmann (geb. 1890). Anfang Februar 1945 übernahm Dieckmann die Leitung des Frauenaußenlagers in Raghun. Die Räumung von Oberndorf befehligte nun ein SS-Unterscharführer unbekannten Namens. Strafrechtliche Ermittlungen wegen Verbrechen im Außenlager Oberndorf gab es nicht.

Räumung

Anfang Februar 1945 begann die Räumung des Außenlagers. Über die Gründe ist nichts Näheres bekannt. Erst Mitte April erreichte die U.S. Army das Gelände der Munitionsanstalt. Am 5. und 18. Februar 1945 brachte die SS 186 Häftlinge in zwei Transporten mit dem Zug nach Buchenwald. Zurück blieben vorerst der Lagerälteste und ein weiterer Funktionshäftling, der Pole Kazimierz Chalicki. Am 19. Februar floh der Lagerälteste Wilhelm Eglinsky. Kazimierz Chalicki wurde drei Tage später nach Buchenwald geschickt. Mindestens neun Männer starben in den Tagen und Wochen nach ihrer Rücküberstellung in das Hauptlager an den Folgen der Haft in Oberndorf. Wer als noch arbeitsfähig galt, den transportierte die SS nach kurzer Zeit im Hauptlager weiter in andere Lager zur Zwangsarbeit.

Spuren und Gedenken

Auf dem Gelände der Luftwaffenmunitionsanstalt wurden von der amerikanischen und sowjetischen Armee großflächige Sprengungen vorgenommen. Später nutzte es die Nationale Volksarmee der DDR. Nach jahrzehntelangen Beräumungen sind heute weite Flächen als Natur- und Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen oder werden gewerblich verwendet. Am ehemaligen Lagerstandort befindet sich ein Regenrückhaltebecken. Vor Ort erinnert nichts an die Existenz des Außenlagers.

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