Marcel Orset kam am 16. Mai 1902 im französischen Feillens zur Welt. Der Familienvater und Ingenieur schloss sich 1942 in Chalon-sur-Saône einer Widerstandsgruppe gegen die deutschen Besatzer an. Ein Jahr später wurde er denunziert. Die Gestapo verhaftete ihn und ließ ihn im Januar 1944 nach Buchenwald deportieren. Kurz darauf brachte die SS ihn zunächst in das Außenlager Dora und von dort in die Lager der SS-Baubrigade III entlang der Strecke der Helmetalbahn. Nach der Befreiung kehrte Marcel Orset nach Frankreich zurück. Drei Jahre später veröffentlichte er seine Erinnerungen an seine Verfolgung. Über sein Leben danach ist nichts bekannt.
Aus den Erinnerungen von Marcel Orset
Das Lager Osterhagen
„Man stelle sich ein Rechteck vor, mit Stacheldraht, 80 Meter lang, rund 60 Meter breit. Gegenüber vom Tor die einzige Lagerbaracke, in Nord-Südausrichtung: links die Küche, in der Mitte der Schlafsaal, im äußersten Süden die Unterkunft der Wärter – darin keine SS-Leute mehr, sondern Flakhelfer; sie waren oft nicht besser. Außerhalb vom Stacheldraht vier oder fünf Wachtürme.
Der Hof war schmutzig und uneben; früher wurde wohl Lehm in der Kuhle abgebaut. Am Eingang links ein paar wenige schartige und verdreckte Kloschüsseln, zweireihig auf einem Untergestell aus Holz; Waschbecken unter freiem Himmel. Wasser holte man sich – mit allergrößter Sparsamkeit – aus der benachbarten Tonne, die, wenn das Kaffeewasser entnommen war, nicht mehr dafür ausreichte, dass die verschmutzten, hinfälligen Männer tranken und sich wuschen. Gleich daneben eine Grube unter freiem Himmel, eine widerliche Kloake mit gefährlich glitschigen Rändern, die für Gestank sorgte und von Mücken nur so wimmelte.
Kein Strom, wie wir bereits wissen; der Anschluss erfolgte erst im Herbst. So sah es Anfang August 1944 im kleinen Lager Osterhagen aus. Wir mussten es in Ordnung halten, abends nach Rückkehr vom Arbeitseinsatz und sonntagsnachmittags, unter der Oberaufsicht vom Feldwebel der Luftwaffe.“
Zwangsarbeit
„Im Sommer ist Arbeitsende um 18 Uhr. Oft waren unsere Einsatzorte weit entfernt, mehrere Kilometer weit weg vom Lager; der Fußmarsch war lang, über Feld- oder Wiesenwege, die mit den herbstlichen Regenfällen schwer begehbar wurden. Wenn wir aus dem Wald kamen, dem am weitesten entfernten Ort für uns, belud man uns mit ziemlich langen und dicken Kieferstämmen, die dazu dienten, die Stacheldrahtzäune zu befestigen, oder auch als Ofenholz für die Lagerleitung. […] ‚Osterhagen‘, Bau einer normalen, doppelgleisigen Eisenbahnstrecke. Baumaßnahmen durch das Tal, Durchlässe, tiefreichender Erdabtrag, imposante Aufschüttungen. Zufahrtswege, Einsatz mehrerer Bagger; Schotter, Eisenbahnschwellen und -schienen; Schwerstarbeit; viel Dreck. Eine – wohl mächtige – Firma aus Berlin, Julius Berger. Meister, Kapos, Vorarbeiter; Schläge, enorm viel Leid.“
Die Lager der Helmetalbahn
„Osterhagen war Endstation; wir bauten fünf bis sechs Kilometer; weiter weg lag Nüxei; noch weiter weg Mackenrode. Zweihundertfünfzig bis dreihundert Mann in jedem der beiden erstgenannten Lager, rund sechshundert im dritten. Für alle drei war Wieda zuständig, das die Versorgung bewerkstelligte, die Kranken – zeitweise – abholte, die Toten auf dem Suppenwagen wegfuhr. Von den drei Lagern entwickelte sich Osterhagen allerdings schnell zu dem, das am meisten gefürchtet war; Sturköpfen in Nüxei oder Mackenrode wurde damit gedroht; man nannte es das ‚Todeslager‘ – mit einsetzendem Winter erwies sich das in hohem Maß als zutreffend.“
Aus: Marcel Orset, Misère et mort, nos deux compagnes, Chalon-sur-Saône 1948, S. 166 ff. (Übersetzung aus dem Französischen)